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News: Prothesen parieren Phantomschmerzen

Ausgeklügelte künstliche Gliedmaßen könnten für Menschen, denen ein Arm oder Bein fehlt, mehr tun, als nur einige ihrer Fähigkeiten wiederherstellen. Die Verwendung sogenannter 'myo-elektrischer Prothesen', die elektrische Signale vom Stumpf aufnehmen, um etwa eine fehlende Hand zu steuern, kann das Auftreten von 'Phantomschmerzen' verhindern - das Gefühl, daß das fehlende Gliedmaß schmerzt, auch wenn es nicht mehr vorhanden ist.
Fast alle Patienten, die sich einer Amputation unterziehen mußten, spüren scheinbar ihre fehlenden Glieder noch einige Wochen nach der Operation. Bei zwei von drei Patienten kann dieser Schmerz Jahre und sogar Jahrzehnte fortdauern. Die Quelle dieser Phantomschmerzen ist rätselhaft, aber sie scheinen mit der "Neuverdrahtung" des Cortex, dem übergeordneten Kontrollzentrum des Gehirns, zusammenzuhängen. Neuronen benachbarter Gebiete im Cortex gehen dabei Verbindungen mit Regionen ein, die vormals die abgetrennten Gliedmaßen kontrollierten, aber nun brachliegen. Auf der anderen Seite werden durch die sensorische Stimulation diejenigen Bereiche im Cortex ausgedehnt, die mit ihrer Kontrolle befaßt sind.

In einer myo-elektrischen Prothese spüren Elektroden die Muskelkontraktionen und senden elektrische Signale zum Motorantrieb etwa für die Handbewegungen. Der Neurologe Martin Lotze und seine Kollegen von der Universität Tübingen fragten sich, ob eher die taktile Stimulation durch die Prothese oder die erforderlichen Muskelaktivitäten die Ausbreitung einer benachbarten Gehirnregion in den ungenutzten Teil des kortikalen Zentrums verhindern. Wenn sich diese benachbarte Region, die die Lippenbewegungen kontrolliert, nicht weiter ausdehnt, so hoffen die Wissenschaftler, könnte dies eine Verringerung der Phantomschmerzen zur Folge haben.

Die Arbeitsgruppe befragte vierzehn Patienten über die Stärke ihrer Schmerzen und ihren Prothesengebrauch. Um Zugang zur cortikalen Neuverschaltung zu erhalten, baten sie die Patienten, ihre Lippen zu spitzen, während die Gehirnaktivität mit funktionaler Magnetresonanz-Tomographie gemessen wurde. Obwohl sich fast alle Patienten daran erinnern konnten, direkt nach der Amputation unter Phantomschmerzen gelitten zu haben, fanden die Wissenschaftler heraus, daß fünf Patienten, welche ihre Prothesen am längsten getragen und am meisten gebraucht hatten, mehr oder weniger schmerzfrei waren und keinerlei Ausbreitung der Lippenkontrollregion im Cortex aufwiesen.

Der Psychologe Ronald Melzack von der McGill University in Montreal begrüßt die in der Juni-Ausgabe von Nature Neuroscience publizierte Arbeit: "Es besteht kein Zweifel, daß der Gebrauch von Prothesen so schnell wie möglich eingeleitet werden sollte." Dies könnte Patienten davor bewahren, starke schmerzstillende Medikamente mit oftmals schwere Nebenwirkungen einnehmen müssen. Allerdings sind die höchst ausgeklügelten myo-elektrischen Geräte noch immer "eine sehr teure Luxusbehandlung" für Amputierte.

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