News: Prothesen parieren Phantomschmerzen
In einer myo-elektrischen Prothese spüren Elektroden die Muskelkontraktionen und senden elektrische Signale zum Motorantrieb etwa für die Handbewegungen. Der Neurologe Martin Lotze und seine Kollegen von der Universität Tübingen fragten sich, ob eher die taktile Stimulation durch die Prothese oder die erforderlichen Muskelaktivitäten die Ausbreitung einer benachbarten Gehirnregion in den ungenutzten Teil des kortikalen Zentrums verhindern. Wenn sich diese benachbarte Region, die die Lippenbewegungen kontrolliert, nicht weiter ausdehnt, so hoffen die Wissenschaftler, könnte dies eine Verringerung der Phantomschmerzen zur Folge haben.
Die Arbeitsgruppe befragte vierzehn Patienten über die Stärke ihrer Schmerzen und ihren Prothesengebrauch. Um Zugang zur cortikalen Neuverschaltung zu erhalten, baten sie die Patienten, ihre Lippen zu spitzen, während die Gehirnaktivität mit funktionaler Magnetresonanz-Tomographie gemessen wurde. Obwohl sich fast alle Patienten daran erinnern konnten, direkt nach der Amputation unter Phantomschmerzen gelitten zu haben, fanden die Wissenschaftler heraus, daß fünf Patienten, welche ihre Prothesen am längsten getragen und am meisten gebraucht hatten, mehr oder weniger schmerzfrei waren und keinerlei Ausbreitung der Lippenkontrollregion im Cortex aufwiesen.
Der Psychologe Ronald Melzack von der McGill University in Montreal begrüßt die in der Juni-Ausgabe von Nature Neuroscience publizierte Arbeit: "Es besteht kein Zweifel, daß der Gebrauch von Prothesen so schnell wie möglich eingeleitet werden sollte." Dies könnte Patienten davor bewahren, starke schmerzstillende Medikamente mit oftmals schwere Nebenwirkungen einnehmen müssen. Allerdings sind die höchst ausgeklügelten myo-elektrischen Geräte noch immer "eine sehr teure Luxusbehandlung" für Amputierte.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 13.11.1998
"Verlegte Schaltungen"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 26.1.1998
"Das Phantom im Gehirn"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 3/96, Seite 16
"Entsteht Phantomschmerz durch Reorganisation der Signalleitung im Gehirn?"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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