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News: Neue Zellen für neuen Lebensmut

Medikamente gegen Depressionen haben den Vorteil, daß sie meistens wirken, und den Nachteil, daß es Tage oder gar Wochen dauert, bis diese Wirkung endlich eintritt. Zwei amerikanische Wissenschaftler glauben nun, bei einer Gruppe von Wirkstoffen den Grund für die Verzögerung gefunden zu haben: Die Substanzen bewirken das Wachstum neuer Nervenzellen. Und das braucht eben seine Zeit.
Bis vor einem Jahr glaubten Biologen und Mediziner, unser Körper würde einmal abgestorbene Nervenzellen nicht mehr ersetzen. Dann entdeckten Forscher, daß bei Ratten, Meerschweinchen und Affen durchaus in jedem Lebensalter neue Neuronen entstehen können. Und schließlich gelang es, diesen als Neurogenese bezeichneten Vorgang auch beim Menschen nachzuweisen.

Barry Jacobs und Casimir Fornal von der Princeton University verknüpften die neuesten Erkenntnisse zur Regenerationsfähigkeit des Gehirns mit dem heutigen Wissen über Depressionen und deren Ursachen. So ist zum Beispiel bekannt, daß depressive Menschen einen verkleinerten Hippocampus haben – eine Hirnstruktur, die an Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt ist. Außerdem werden Depressionen durch Streß begünstigt. Und Experimente mit Ratten haben ergeben, daß Streß darüber hinaus die Neurogenese hemmt und die Bildung neuer Nervenzellen verlangsamt. "Da ging mir ein kleines Licht auf", sagt Jacobs. "Mir kam der Gedanke, daß genau dies der Punkt bei Depressionen sein könnte."

Die beiden Wissenschaftler vermuteten, daß der Neurotransmitter Serotonin als regulierendes Element an der Bildung von Neuronen beteiligt sein könnte. Sie aktivierten in Versuchen mit Ratten einen entsprechenden Rezeptor im Gehirn der Nagetiere und stellten in der Tat eine erhöhte Bildungsrate der Nervenzellen fest.

In einer zweiten Testreihe prüften die Forscher dann, ob eine bestimmte Klasse von Antidepressiva den gleichen Effekt hervorruft. Wie der Name selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer schon verrät, erhöhen diese Medikamente die Serotonin-Konzentration an der Verbindungsstelle zweier Nervenzellen dadurch, daß sie die sendende Zelle daran hindern, den Neurotransmitter wieder aufzunehmen. Infolgedessen bleibt dem Serotonin mehr Zeit, mit den Rezeptoren der Zielzelle zu reagieren. Der klassische Vertreter dieser Medikamente ist seit vielen Jahren unter dem Namen Prozac im Handel. Seine stimmungsaufhellende Wirkung ist gut, allerdings dauert es mehrere Wochen, bis sie einsetzt.

Jacobs und Fornal injizierten fünf Ratten über drei Wochen hinweg jeden Tag Prozac, während sie fünf Kontrolltieren eine Kochsalzlösung spritzten. In den letzten sieben Tagen verabreichten sie den Nagern zudem die Chemikalie Bromdesoxyuridin, mit der neu gebildete Zellen markiert werden. Ein Vergleich der Gehirne nach Ablauf der Testphase ergab, daß die mit Prozac behandelten Ratten 69 Prozent mehr neue Neuronen gebildet hatten als die Kontrolltiere.

Möglicherweise ist das Auf und Ab der Neurogenese im Hippocampus ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung, ob jemand depressiv wird oder nicht, meinen die Wissenschaftler. Dann wäre auch klar, warum die Wiederaufnahmehemmer wirken und weshalb sie erst so stark verzögert einen Effekt haben. "Die Zeit, in welcher die neu gebildeten Zellen ausreifen und geeignete Verbindungen [zu benachbarten Zellen] knüpfen, erklärt die therapeutische Lücke in der Behandlung von Depressionen", sagt Jacobs. Für gesunde Menschen rät er von einer "vorbeugenden" Einnahme von Prozac ab. "Deren Neurogenese wird vermutlich gerade im idealen Gleichgewicht sein."

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