News: Ribosomenstruktur teilweise aufgeklärt
Ribosomen sind Zellorganellen, die für die Proteinsynthese zuständig sind. Sie kommen in allen Zellen vor. Wie eine Fabrik erhalten sie aus dem Zellkern genetisch kodierte Produktionspläne, die mRNA, nach denen sie am laufenden Band Proteine anfertigen – die wichtigsten Komponenten des Körpers und Grundlage sämtlicher über Enzyme vermittelten Lebensprozesse. Das Verständnis der Proteinbiosynthese gilt daher einerseits als wichtiges Tor zur Entschlüsselung des Lebens an sich. Andererseits öffnet es zugleich den Zugang zu den eher dunklen Seiten des Lebens, den Krankheiten, denn diese haben ihre Ursache häufig in Störungen der Proteinsynthese. Dies erklärt auch, warum die Ribosomen derart im Mittelpunkt vielfältiger Forschungsanstrengungen stehen. Dennoch haben sich diese zentralen biologischen Produktionsstätten über vier Jahrzehnte Forschung hinweg einer wissenschaftlichen Analyse ihrer Funktionsweise erfolgreich widersetzt.
Zur Untersuchung mikroskopisch kleiner Strukturen setzt man in der Forschung häufig die Röntgenkristallographie ein, bei der Kristalle des untersuchten Materials hochintensiven Röntgenstrahlen ausgesetzt werden. Aus der Beugung der Röntgenstrahlung durch den Kristall ergibt sich ein Beugungsmuster, das die Anordnung und den Aufbau der Moleküle im Kristall widerspiegelt. Um diese Strukturinformationen gewinnen zu können, benötigt man jedoch zusätzliche Informationen über die Differenz zwischen dem natürlichem Beugungsmuster und leicht modifizierten Kristallstrukturen einer Substanz, sowie eine hochentwickelte Computer-Analyse. Beim Ribosom handelt es sich allerdings um einen höchst instabilen, sehr großen Proteinkomplex, der schon deshalb eine wissenschaftliche Herausforderung erster Ordnung für die Kristallographie darstellt. Was die Sache noch komplizierter macht, ist das Fehlen einer inneren Symmetrie, die es zum Beispiel bei Viren erleichtert, den Aufbau anderer biologischer Bestandteile zu interpretieren.
Dennoch ist es Ada Yonath aus der Abteilung Strukturelle Biologie des Weizmann Instituts in Rehovot/Israel und zugleich Leiterin der Arbeitsgruppe Ribosomenstruktur der Max-Planck-Gesellschaft am DESY in Hamburg mit Hilfe neuartiger kristallographischer Techniken gelungen, diese Barriere zu überwinden. In ihrer Studie wird die Elektronendichte der kleinen ribosomalen Untereinheit des Bakteriums Thermus thermophilus bei 4.5 Å bildlich dargestellt (1Å = 10-10 Meter).
Im Gegensatz zu anderen Studien, die sich indirekter, nichtkristallographischer Modelle bedienen, deren Zuordnung keineswegs eindeutig ist, weist die neue Elektronendichtekarte von Yonath eine unabhängige Positionierung der ribosomalen Komponenten auf.
So wurden erst kürzlich verschiedene Arbeiten publiziert, die sich mit der Kristallstruktur ribosomaler Partikel befassen. Im Vergleich dazu hat die Studie von Yonath jedoch zwei ganz entscheidende Vorteile: Zum einen ist die erzielte Auflösung wesentlich höher, wodurch sich die Anzahl der Reflexe, und damit quasi der Informationsgehalt, verdoppelt. Details können besser erkannt und zugeordnet werden. Zum anderen kann die experimentell gemessene Elektronendichte eindeutig der molekularen Struktur, also dem Bauplan, der wiederum die Funktion des Ribosoms bestimmt, zugeordnet werden. Das ist bei den erwähnten Studien, die sich indirekter, nicht-kristallographischer Modelle bedienen, bei weitem nicht so klar.
Die Einzigartigkeit des Forschungsansatzes von Yonath bestand darin, spezifische, an der Proteinbiosynthese beteiligte Molekülen so mit schweren Atomen zu markieren, daß sie aufgrund ihrer hohen Elektronendichte wie Fähnchen aus der ribosomalen Elektronendichtekarte herausragen. Dank dieser Markierungen wird die genaue Lage einzelner Funktionseinheiten innerhalb des Ribosoms erheblich leichter bestimmt. "Um die räumliche Struktur des Ribosoms bei hoher Auflösung zu untersuchen, stellen wir sogenannte Derivatkristalle her, die aus dem ursprünglichem Material bestehen, an das Schweratome in Schlüsselpositionen gebunden wurden", erklärt Yonath.
Das entstehende Bild ermöglicht einen weitreichenden Einblick in die mikroskopische Welt des Ribosoms, und macht spezielle, bisher nicht beobachtete Details deutlich. Dazu gehören der Ort, an dem die Proteinproduktion beginnt, außergewöhnlich klare RNA-Doppelstränge und die Position verschiedener Proteine, die integraler Bestandteil des Ribosoms sind.
Ribosomen bestehen aus einer kleineren und einer größeren Untereinheiten. Die kleinere, sogenannte 30S-Untereinheit ist entscheidend für den Beginn der Proteinbiosynthese und die Dekodierung der genetischen Information. Sie lag im Zentrum der Untersuchungen von Yonath. Hierbei ging es nicht nur um die Strukturaufklärung, sondern auch darum, Schnappschüsse von der 30S-Untereinheit in ihrer aktiven Form aufzunehmen – also genau in dem Moment, wenn die Proteinbiosynthese beginnt. Die Wissenschaftler mußten dazu zunächst einen Weg finden, die Ribosomenpartikel innerhalb der Kristallgitter zu aktivieren und darin eine Proteinbiosynthese auszulösen.
Doch Moleküle werden durch Kristallgitter normalerweise in ihrer Bewegungfähigkeit eingeschränkt und behindern dadurch auch Konformationsveränderungen. Yonath machte jedoch die Tatsache zunutze, daß Ribosomen durch kontrollierte Erwärmung aktiviert werden können. Sie ging das Risiko ein, daß dadurch die Kristalle zerfallen könnten. In einem weiteren Schritt gelang es ihrem Forschungsteam, eine mRNA in das Ribosom einzuschleusen. "Der Botenstoff muß sich an eine bestimmte Stelle binden, damit die Tür zur Eiweißproduktion geöffnet werden kann, die ansonsten fest verschlossen ist", erklärte Yonath. Nachdem der Botenstoff angebunden hat und die Proteinsynthese in Gang gekommen ist, versuchten die Wissenschaftler, die 30S-Untereinheit in ihrem aktiven Zustand bildlich einzufangen – ein Kunststück, das ihnen schließlich durch "Schockgefrieren" der Ribosomen-Kristalle auf Kryotemperatur (-185 Grad Celcius) tatsächlich gelang.
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine vorwiegend von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung der Grundlagenforschung. Sie betreibt rund achtzig Max-Planck-Institute.
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