News: Ein künstlicher Blick in die Welt
Der Mann konnte in seiner Jugend gut sehen, doch dann verlor er durch zwei Traumata im Alter von 22 und 36 Jahren nacheinander das Sehvermögen auf beiden Augen. Bereits 1978 hatte er sich 41-jährig Elektroden implantieren lassen, die mit einer externen Sehhilfe verbunden waren. Über diesen Zugang zu seinem Okzipitallappen haben die Forscher in den vergangenen 20 Jahren Experimente mit dem visuellen Cortex durchgeführt. Die dabei gemachten Erfahrungen nutzten sie jetzt, um ein moderneres und viel kleineres Gerät an die bereits vorhandenen Elektroden anzupassen.
Das System besteht aus einer winzigen CCD-Kamera mit 292 mal 512 Bildpunkten. Die Fokussierung erfolgt aus Gewichtsgründen mit einer Lochapertur, statt mit einer Linse. Eine elektronische Schutzschaltung verhindert, daß die Sensoren überlastet werden. Ein zusätzliches Ultraschallgerät mißt die Abstände zu den Objekten. Von der Kamera führt ein Kabel zu einem tragbaren Computer, in dem die Daten prozessiert werden. So arbeitet zum Beispiel ein spezielles Programm zur Randerkennung die Umrisse von Gegenständen und Personen aus der Informationsfülle heraus. Ein zweiter Minicomputer überträgt dann Signale an 68 Platinelektroden auf der Oberfläche des rechten Okzipitallappen. Nach Angaben der Wissenschaftler wäre auf jeder Gehirnhälfte am primären visuellen Cortex Platz für bis zu 256 Elektroden. In mehreren Schritten wollen sie die bestehende Anordnung ausbauen, in der Hoffnung, damit das Sehvermögen zu verbessern.
Bereits nach einem einzigen Tag konnte die Versuchsperson das System bedienen, danach übte sie zwei- bis dreimal die Woche für drei bis vier Stunden. Das Gerät liefert dem Mann ein kleines Schwarzweißbild von hellen Punkten vor einem dunklen Hintergrund. Die Sicht ist eingeschränkt, als würde man durch eine Röhre schauen: Bei einem Abstand von etwa einem halben Meter ist der Ausschnitt ungefähr 20 Zentimeter breit und acht Zentimeter hoch.
Mittlerweile kann sich der Mann anhand von Linien in einer fremden Umgebung orientieren, Personen von Gegenständen unterscheiden und ihnen ausweichen und sogar große Buchstaben lesen. Über ein Interface, das anstelle der Kamera an den Computer angeschlossen wird, hat die Versuchsperson Zugang zu Fernsehen und Internet. Allerdings erfolgt die Steuerung des Bildausschnittes dann über die Tastatur und nicht über einfache Kopfdrehungen. Entsprechend lange dauert es, den ganzen Bildschirm zu erfassen.
Das Institut plant, sein Gerät noch im Laufe des Jahres in den USA kommerziell zu vermarkten. Spätere Versionen sollen eine bessere Auflösung bieten und nicht mehr kosten als ein Blindenhund. Vielleicht der ersehnte Lichtblick für Blinde?
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 17.2.1999
"Durcheinander auf der Netzhaut" - Spektrum Ticker vom 11.6.1998
"Eine Brille für Blinde"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 29.5.1998
"Ein 'virtueller Blindenstock'"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich)
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