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News: Planeten im Reagenzglas

Was haben die stürmischen Winde auf Jupiter mit den langsamen Konvektionsströmen geschmolzenen Gesteins im Innern unserer Erde gemeinsam? Sie sind Fluide, also Flüssigkeiten oder Gase, und damit gehorchen ihre Bewegungen den gleichen Gesetzen. Um die Dynamik dieser Bewegungen und Muster genauer zu untersuchen, simulierten Wissenschaftler die Vorgänge 1985 und 1995 an Bord des Space Shuttle mit einer Art 'Planet im Reagenzglas'. Ihre Ergebnisse bestätigten einige aus Computersimulationen abgeleitete Annahmen und erbrachten auch neue Erkenntnisse über die Dynamik der Prozesse in der Atmosphäre der Erde und anderer Planeten sowie über die Vorgänge im Erdmantel, die Grundlage für die Theorie der Kontinentalverschiebung sind.
Schon lange versuchen Forscher, die Prozesse in der Erdatmosphäre irgendwie nachzustellen, um sie besser zu verstehen. Anfang des 20. Jahrhunderts benutzten sie dafür rotierende Schalen, die sie mit Flüssigkeiten füllten. Diese hatten jedoch den Nachteil, dass sie das dreidimensionale, kugelförmige Gebilde unserer Atmosphäre nur verzerrt in einer Ebene darstellen konnten. In den letzten Jahrzehnten kamen computergestützte Methoden hinzu. Doch selbst die sind von den komplizierten Gleichungen überfordert, welche die Vorgänge beschreiben.

Also probierten es die Wissenschaftler aufs Neue mit einem Modell. Um den Einfluss der Erdanziehungskraft auf die Versuche auszuschalten, verlagerten sie ihr Labor in den Weltraum – an Bord der Raumfähre Space Shuttle. Dort in der Schwerelosigkeit konnten sie in ihrem Versuchsobjekt eine Art künstliche Gravitation erzeugen und die Auswirkungen verschiedener Feldstärken testen.

Eine Arbeitsgruppe um John Hart von der University of Colorado in Boulder entwickelte dafür das Schalenmodell Geophysical Fluid Flow Cell (GFFC). Ihr 'Planet im Reagenzglas' besteht aus einer nickelbeschichteten rostfreien Stahlkugel von der Größe einer Christbaumkugel, die von einer synthetischen Saphirkuppel halbseitig umschlossen ist. In dem Raum zwischen den beiden befindet sich Silikonöl, das zum Beispiel die Rolle der Jupiteratmosphäre oder des geschmolzenen Erdmantels übernimmt. Weiterhin besitzt das GFFC eine temperaturkontrollierte Drehscheibe, mit der die Kuppel bewegt werden kann, und spezielle Kameras, um die Muster der Flüssigkeitsbewegungen aufzunehmen. Die künstliche Schwerkraft erzeugen die Forscher, indem sie auf die Kugel eine elektrische Ladung bringen. Auf diese Weise wird das Öl zum Zentrum der Kugel hin gezogen, und Wärme wie Kälte würden sich von der Kugel zur Kuppel und zurück bewegen. Die Wissenschaftler hofften, dass sich bei drehender Kuppel ähnliche Muster in dem Öl zeigen würden wie in den Atmosphären der Sonne, Erde oder des Jupiters.

"Der erste Flug von GFFC war ein bisschen, als ob man in einem Labor bei ausgeschaltetem Licht ein Experiment durchführt", erinnert sich Fred Leslie. "Wir hatten keine Hinweise, wie die Flüssigkeiten auf die Einstellungen reagierte. Bei dem zweiten Flug hatten wir nicht nur eine Echtzeit-Videokamera, um die Strömungen zu beobachten, sondern die Besatzung hatte auch die Möglichkeit, über einen Computer das Experiment zu beeinflussen."

Die Ergebnisse der ersten Versuche bestätigten einige Annahmen, erbrachten aber auch einige neue Erkenntnisse (NASA Technical Memorandum vom September 1999, TP-1999-209-576 in PDF-Format). So entdeckten die Wissenschaftler zum Beispiel rasend schnell rotierende Säulen – die Forscher nannten sie banana cells –, die entstanden, wenn sie die Wärmeunterschiede verstärkten. Manche Wissenschaftler halten derartige Zellen unter der Oberfläche für ein Schlüsselement in der Struktur der Jupiteratmosphäre.

Von der zweiten Mission brachten die Forscher eine Reihe neuer Erkenntnisse mit, die insbesondere für die Prozesse im noch flüssigen Mantel der neu entstandenen Erde von Interesse waren. So stellten sie fest, dass sich selbst bei gleichen Außenbedingungen durch geringfügige und unbedeutend wirkende Unterschiede zum Zeitpunkt des Starts verschiedene Strömungsmuster ausbildeten. Zum Beispiel machte es einen deutlichen Unterschied, ob sie das Experiment mit schwacher Schwerkraft – also schwacher elektrostatischer Anziehungskraft auf das Öl – begannen und diese im weiteren Verlauf erhöhten, oder ob sie mit einem starken Gravitationsfeld einsetzten, das sie anschließend verringerten. Manchmal jedoch hatten diese Bedingungen keinerlei Einfluss und egal, welche Kräfte zu Beginn herrschten, am Schluss stimmten die Strömungsmuster überein. "Einer Extrapolation der GFFC-Ergebnisse zufolge hätten unterschiedliche Startbedingungen zu einer anderen Verteilung der Kontinente führen können", erklärt Hart. "Das ist zwar spekulativ, aber die Empfindlichkeit von langsam rotierenden Konvektionsmustern auf Veränderungen der Startbedingungen sollte weiter untersucht werden." Allgemein scheint jedoch zu gelten, dass eine Verteilung von Oberflächenstrukturen – wie den Kontinenten – aufgrund von konvektiven Vorgängen nichts Einmaliges ist.

Ein auf den Ergebnissen beruhendes Computermodell, das nach dem Flug erstellt wurde, zeigt eine hufeisenartige Strömung in den hohen Breiten. Es handelt sich dabei offenbar um einen Bruch in den abwärts gerichteten Bewegungen in den mittleren Breiten, wo die aufsteigenden Bewegungen der niedrigen und der hohen Breiten miteinander verknüpft sind.

In keinem ihrer Modellversuche konnten die Wissenschaftler jedoch bandartige Strukturen beobachten, wie sie aus der Jupiter- oder Saturnatmosphäre bekannt sind. "Es sieht so aus, dass entweder die experimentellen Möglichkeiten des GFCC weit überschritten werden, um solche multiplen Ströme nachzustellen, oder dass sogar andere physikalische Eigenschaften der Fluide benötigt werden", meint Hart. Außerdem erbrachten die Experimente Hinweise für barokline Wellen – instabile Zonen, wo kalte, dichte Flüssigkeitsmassen unter warme, leichtere Abschnitte gleiten. Diese Wellen sind besonders interessant, weil sie die Eigenschaften sowohl von normaler thermischer Konvektion als auch von rotierender, schräger Konvektion aufweisen – ein Befund, den Wissenschaftler bereits von Computersimulationen kannten. Diese Instabilität spielt in der Erdatmosphäre eine entscheidende Rolle.

Inwieweit sich die Daten des Modells nun auf die Erde oder die Atmosphäre ferner Planeten übertragen lässt, müssen die Wissenschaftler natürlich erst noch prüfen. Dazu gehört auch, dass sie versuchen werden, manches in Computersimulationen nachzustellen. Wir dürfen also gespannt sein, ob uns eine schneeballgroße Stahlkugel erklären kann, wie unsere Atmosphäre funktioniert und weshalb die Kontinente heute so auf der Erde verteilt sind.

  • Quellen
Space Science News

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