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News: Wie man Gene liest

Mit einem raffinierten Versuchsaufbau ist es Wissenschaftlern gelungen, dem Enzym, das die Gene 'abliest' bei seiner Arbeit über die Schulter zu schauen. Sie konnten in Echtzeit verfolgen, wie ein einzelnes Molekül der RNA- Polymerase über einen DNA-Strang flitzt und dabei eine Abschrift der Erbinformation anfertigt.
Im Zellinneren laufen ungeheuer komplexe Vorgänge ab. Unsere Erbinformationen liegen in der DNA gespeichert im Zellkern vor. Um gemäß den Anweisungen eines Gens ein Protein herzustellen, muss zunächst eine RNA-Abschrift von dieser Matritze angefertigt (transkribiert) werden, die durch kleine Poren in der Kernmembran ins Plasma der Zelle schlüpfen kann. Anhand dieser so genannten Boten- oder Messenger-RNA (mRNA) werden dann an den Ribosomen Proteine gebildet. Dieser Vorgang wird als Translation bezeichnet. Proteine sind an so ziemlich allen Lebensvorgängen beteiligt. Sie werden benötigt, um Zellwände aufzubauen, zum Atmen, Verdauen und Denken. Einen groben Überblick über das Geschehen in der Zelle haben die Molekularbiologen schon geschaffen. Jetzt interessieren sie sich zunehmend auch für Detailfragen.

Carlos Bustamante gehört zu einer Biophysiker-Gruppe von der University of Wisconsin in Madison und der University of California in Berkeley, die sich intensiv mit der Transkription beschäftigten. Es gelang ihnen jetzt, ein einzelnes RNA-Polymerase-Molekül (RNAP) dabei zu beobachten, wie es von der DNA-Vorlage eine RNA-Abschrift anfertigt (Science vom 31. März 2000).

Dazu verknüpften sie ein etwa 1000 Basenpaare langes Stück DNA mit zwei mikroskopische Kunststoffkügelchen und befestigten die eine Seite dieser winzigen Hantel an der Spitze einer Glaspipette. Das andere Kügelchen hielten die Forscher mit einer Laserpinzette. Je nach Lichtintensität war ihr "Griff" dabei mehr oder weniger fest, sodass sie Kräfte messen konnten, die an der DNA zogen. Ein ständiger Fluss des Reaktionsmediums hielt den Faden ruhig und führte verschiedene Testsubstanzen an ein Molekül der RNA-Polymerase, das auf der DNA saß. Waren alle Faktoren vorhanden, um eine mRNA herzustellen, wurde das Enzym aktiv. Während der Arbeit zog es am DNA-Faden und verkürzte dadurch den Abstand zwischen den beiden Kügelchen, was die Wissenschaftler im Mikroskop beobachten konnten.

Das Verfahren hat den Vorteil, dass jeweils nur ein einzelnes Molekül beobachtet wird. In bisherigen Untersuchungen untersuchte man immer eine größere Menge von Molekülen und folgerte aus den durchschnittlich ermittelten Bewegungen. Aufgrund dieser unpräzisen Daten ging man bislang davon aus, dass die RNA-Polymerase bei ihrer Arbeit an ganz unterschiedlichen Stellen auf dem DNA-Strang immer wieder ein Päuschen einlegt, manchmal sogar die Arbeit ganz einstellt, ohne jedoch dabei vom Matritzen-Strang zu fallen oder die gebildete RNA zu entlassen.

"Aber diese Untersuchungen waren etwa so präzise, als wollten sie aus den Bewegungen von tausend Menschen das Verhalten einer Einzelperson ableiten," meint Carlos Bustamante. "Ein zweifelhafter Versuch bei einem so komplexen Molekül wie der RNA-Polymerase." Ihre Untersuchungen konzentrieren sich hingegen auf das einzelne Molekül und würden somit gänzlich neue und bislang einzigartige Einblicke in den Transkriptionsvorgang gewähren.

Die Wissenschaftler konnten beobachten, dass die RNAP-Moleküle ein sehr individuelles Verhalten an den Tag legen: Sie scheinen unterschiedlich schnell zu sein und auch zu ganz verschiedenen Zeitpunkten zu pausieren. Einige Moleküle veränderten sogar ihre Transkriptionsgeschwindigkeit laufend, als würden sie über ein Getriebe geschaltet. Die Beobachtungen führten die Forscher zu der Annahme, dass andere Moleküle an die RNA-Polymerase binden und sie beeinflussen können. Sie vermuten demnach, dass die "Pausen" nicht willkürlich eingelegt werden, sondern von Faktoren abhängen, die der Regulation dienen. In Folgeexperimenten will das Team um Bustamante diese Hypothese belegen und die Faktoren isolieren, welche die Transkription auf dieser molekularen Ebene steuern.

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