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News: Vom Krebsnebel zur Tumordiagnostik

Deutschen Wissenschaftlern ist es gelungen, ein weltweit bisher einzigartiges System zur Früherkennung des Hautkrebses zu entwickeln. Der Clou: Ursprünglich war die Methode ausschließlich zur 'Diagnose' außerirdischer Objekte gedacht. Das theoretische Konzept wurde jetzt an knapp 150 Patienten evaluiert. Den Resultaten nach hat ein computergestütztes Früherkennungssystem nun Marktreife erlangt.
Wenn über Technologietransfer aus der Raumfahrt gesprochen wird, kommt vielen Zeitgenossen immer nur ein Beispiel in den Sinn: Die Teflonpfanne. Weit weniger bekannt ist, dass eine Reihe von Entwicklungen, die uns heute in ganz unterschiedlichen Technologiebereichen begegnen, ihren Ursprung in der Raumfahrt oder in der Satellitentechnik hatten. Eine besonders pfiffige Anwendung, welche die Frühdiagnose von Hautkrebserkrankungen revolutioniert, wurde von einem interdisziplinären Wissenschaftsteam unter Beteiligung von Physikern, Mediziner und Informatikern entdeckt und für den praktischen Einsatz vorbereitet.

Kern der Erfindung ist ein als "Scaling Index Method" (SIM) bezeichneter Algorithmus, der Wissenschaftlern des Garchinger Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Physik ursprünglich dazu diente, die von dem Röntgensatelliten ROSAT übermittelte Datenflut nach wertvollen Informationen zu durchforsten. ROSAT ist ein gemeinsames Projekt von Deutschland, den Vereinigten Staaten und England zur Untersuchung jener kosmischer Objekte, die wie von Geisterhand unentwegt unsichtbare Röntgenstrahlung ins Universum entsenden. Dazu gehören weit entfernte Galaxien, Neutronensterne oder überreste eines infolge einer Supernova explodierten Sterns, wie beispielsweise der 6.300 Lichtjahre entfernte Krebsnebel im Sternbild des Stiers.

In den vergangenen acht Jahren hat ROSAT das gesamte Universum durchforstet und über 120 000 neue Quellen von Röntgenstrahlung ausfindig gemacht. Die eigentliche Herausforderung bestand bei dem Vorhaben darin, aus der ungeheuren Datenflut jene schwachen Signale von "Störsignalen" zu trennen, die für die Charakterisierung kosmischer Röntgenquellen von Bedeutung sind. SIM erwies sich in diesem Szenario als wertvoller Kompass, der neben der Charakterisierung punktförmiger auch die flächenhafter oder diffuser Objekte erlaubte. Dabei kam den Forschern der Gedanke, dass sich das Verfahren nicht nur zur Untersuchung astrophysikalischer Quellen, sondern auch für bodenständige Anwendungen eignen könnte – so etwa im Rahmen der Analyse von Hautveränderungen, wo sich in Analogie zu kosmischen Objekten wertvolle Details oftmals im "Hintergrundrauschen" verbergen.

In Zusammenarbeit mit Wilhelm Stolz, leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie der Universität Regensburg, wurde aus der Idee ein als MELDOQ bezeichnetes System zur computerunterstützten Früherkennung des malignen Melanoms, des "schwarzen Hautkrebs", aus der Taufe gehoben.

Das maligne Melanom gehört zu den bösartigsten Tumorformen überhaupt. Seine Häufigkeit hat sich aufgrund einer erhöhten UV-Belastung in Europa in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt und nimmt weiterhin pro Jahr um etwa fünf bis sieben Prozent zu. Jeder vierte bis fünfte Patient stirbt an den Folgen der Metastasierung. Während die therapeutischen Möglichkeiten im fortgeschrittenen Stadium sehr gering sind, ist das maligne Melanom bei rechtzeitiger Erkennung heilbar. Das Heimtückische an der Erkrankung ist, dass selbst bei Dermatologen mit großer klinischer Erfahrung die diagnostische Trefferquote nur bei 75 Prozent liegt, bei Ärzten anderer Fachrichtungen ist sie deutlich niedriger.

MELDOQ basiert auf der digitalen Bildanalyse in Verbindung mit der Dermatoskopie. Das ist ein Verfahren, bei dem die Lichtreflexion an der Haut vermindert wird und die Strukturen auf das Zehnfache vergrößert werden. Mit Hilfe der SIM-Methode kann das System sowohl feinste Farbnuancen im Gewebe als auch charakteristische Muster erkennen, die mit dem Wachstum der bösartigen Zellen einhergehen. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, die sogenannte dermatoskopische ABCD-Regel erstmals zu quantifizieren. Hierbei steht A für Asymmetrie, B für Begrenzung, C für Farbe (Color) und D für Differentialstrukur.

"Die Zuverlässigkeit der Diagnose wird erhöht, während die Zahl der unnötigen Operationen abnimmt," berichtet Stolz. Ersten Ergebnissen zufolge könne nunmehr von einer Trefferquote von "mindestens 90 Prozent" ausgegangen werden. Knapp 150 Patienten sind in Regensburg, wo sich eine vorläufige Beta-Version des Geräts im Einsatz befindet, bereits erfolgreich untersucht worden. Im Juli soll das System in München auf einem Dermatologenkongress der internationalen Fachwelt vorgestellt werden.

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