News: Mit fremden Federn geschmückt
Bisher standen auf dem Gebiet der sexuellen Selektion genetisch determinierte Präferenzen für Paarungspartner im Vordergrund der Forschung. Aber in letzter Zeit wird deutlich, dass auch soziale Faktoren die Partnerwahl entscheidend beeinflussen können. Erfahrungen in frühen Phasen des Lebens können auf die spätere Wahl des Sexualpartners Einfluss nehmen. Bei Vogelarten, bei denen beide Geschlechter die Jungen füttern, entsteht eine feste Bindung zwischen Eltern und Jungen. Während dieser Zeit, der sogenannten sensiblen Phase, lernen die Jungvögel bestimmte Merkmale der Eltern. Die Prägung auf visuelle Merkmale der Eltern beginnt zum Beispiel bei Prachtfinken mit dem 10. Tag, wenn die Jungvögel ihre Augen öffnen, und endet spätestens dann, wenn die Jungen selbstständig werden und die Bindung zu den Eltern abbrechen. Bei der späteren Partnerwahl bevorzugen die Jungen dann Partner, die den Eltern in bestimmten Merkmalen ähnlich sehen. Dann spricht man von sexueller Prägung.
Lassen sich die Nachkommen künstlich geschmückter Eltern sexuell auf die rote Scheitelfeder prägen? Bevorzugen später die Jungen bei der Wahl des Sexualpartners geschmückte Artgenossen? Sexuelle Prägung auf natürliche Merkmale der Eltern wurde bereits häufig an Zebrafinken untersucht. Noch völlig unklar ist, ob sexuelle Prägung auf ein künstliches Schmuckmerkmal bei einer Prachtfinkenart möglich ist. Wenn ja, würde dies einen Mechanismus aufzeigen, wie sich neue Merkmale in einer Population durchsetzten und erhalten könnten. Darüber haben Klaudia Witte und Ulrike Hirschler von der Fakultät für Biologie der Ruhr-Universität Bochum mit Java-Bronzemännchen Lonchura leucogastroides Experimente durchgeführt (Ethology vom April 2000, Abstract). Dieses hat nur braune, weiße und schwarze Federn, und beide Geschlechter sehen gleich aus. Das natürliche Gefieder bietet daher einen "reizarmen" Hintergrund für ein neues auffälliges Merkmal. Als künstlichen Schmuck wurde eine rote Scheitelfeder verwendet. Die Farbe als auch die Form des Schmucks ist für diese Prachtfinkenart evolutiv neu.
Zunächst wurden Elternpaare einzeln in Zuchtkäfigen gehalten. Die Eltern wurden in vier Prägungsgruppen unterteilt. In einer Gruppe trug nur der Vater die rote Scheitelfeder, in der zweiten Gruppe war nur die Mutter geschmückt, in einer dritten Gruppe trugen beide Eltern den Schmuck, und in der vierten Gruppe waren beide Eltern "schmucklos". Sie dienten als Kontrolle. Die Jungvögel blieben bis zum 60. Tag bei ihren Eltern und kamen dann mit anderen Jungvögeln derselben Prägungsgruppe in eine Gruppe. Zu dieser "Teenager-Gruppe" wurden zwei erwachsene Tiere, die wie die Eltern der Jungvögel geschmückt waren, hinzu gegeben. Diese Altvögel sollten die Jungvögel an das Aussehen der Eltern erinnern. Nachdem die Söhne und Töchter erwachsen waren, wurden sie getestet, ob sie eine Vorliebe für geschmückte potentielle Partner zeigen oder nicht. Die Weibchen hatten die Wahl zwischen einem Männchen mit roter Scheitelfeder und einem Männchen ohne diese Feder. Es wurde die Zeit gemessen, die das Weibchen mit einem Männchen verbrachte. Dasjenige Männchen, mit dem sie mehr Zeit zusammen war, galt als das gewählte Männchen. Die Männchen hatten die Wahl zwischen einem geschmückten und einem ungeschmückten Weibchen. In diesen Versuchen wurde die Häufigkeit der Balz vor den Weibchen gemessen. Das Weibchen, vor dem das Männchen häufiger balzte, war das erwählte.
Die Söhne ungeschmückter Eltern lehnten geschmückte Weibchen ab. Sie balzten signifikant häufiger "schmucklose" Weibchen an. Die Söhne, deren Mütter die rote Scheitelfeder trugen, waren von den geschmückten Weibchen begeistert und balzten diese signifikant häufiger an. Das gleiche galt für Söhne geschmückter Eltern. In der Gruppe "Vater mit Schmuck" gab es leider keine männlichen Nachkommen. Söhne, deren Eltern oder nur die Mutter den Schmuck trugen, wurden auf die rote Scheitelfeder sexuell geprägt. Es scheint auch, dass diese Männchen den Schmuck in Verbindung mit dem Geschlecht des Schmuckträgers gelernt haben.
Töchter, deren Eltern geschmückt waren, bevorzugten eindeutig Männchen mit Schmuck. Das gleiche galt für Töchter, deren Mutter die Feder trug. Töchter, deren Väter geschmückt warenn zeigten immerhin eine schwache Präferenz für geschmückte Männchen. Hier war allerdings die Stichprobe mit fünf Tieren sehr klein. Die Töchter ungeschmückter Eltern zeigten keine Präferenz für geschmückte Typen. Weibchen, deren Eltern oder nur ein Elternteil geschmückt waren, wurden sexuell auf die rote Scheitelfeder geprägt und bevorzugten geschmückte Männchen im Wahlversuch. Weibchen, die schon frühe Erfahrungen mit dem künstlichen Schmuck machen konnten, übertrugen diese Erfahrung auf die Präferenz für potentielle Partner.
Die Ergebnisse zeigen, dass sexuelle Prägung auf ein künstliches, der Art völlig fremdes Merkmal, stattfinden kann. Die Jungen lernen das neue Merkmal beider Eltern oder nur eines Elterntieres und bevorzugen bei der eigenen Partnerwahl Tiere, die ebenfalls das elterliche Merkmal tragen. Das bedeutet, sexuelle Prägung ist ein effizienter Mechanismus, der die Durchsetzung und Erhaltung eines neuen Merkmals in einer Population bewirken kann. Eine erlernte Partnerpräferenz kann viel schneller evolvieren als eine genetisch verankerte Präferenz. Sexuelle Prägung ist ein Beispiel für eine nicht genetische Weitergabe von Partnerpräferenzen. Sie ist ein Mechanismus der kulturellen Evolution. Durch sexuelle Prägung werden sicher noch neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Evolution gewonnen werden.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 25.10.1998
" Schönheit macht das Leben leichter"
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.