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News: Futterneid macht erfinderisch

Wenn sich Paare nicht einig werden, können Kompromisse weiterhelfen - so zumindest bei Kolibris auf der westindischen Insel St. Lucia, die sich um die begehrten Blüten der Heliconia-Pflanzen zankten. Darum richteten sich die weiblichen und männlichen Vögel einer Art im Laufe ihrer Evolution darauf ein, ihren Nektar aus ganz verschiedenen Heliconia-Blüten zu sammeln, damit sie sich nicht mehr in die Quere kommen. Doch der Streit veränderte nicht nur ihre Fressgewohnheiten, sondern auch ihr Äußeres: Die Schnäbel der Weibchen und Männchen sind unterschiedlich gekrümmt und auch verschieden lang. Jeder Vogel ist so optimal an die Form seiner bevorzugten Heliconia-Blüte angepasst und dürfte daher kaum mehr in Verlegenheit geraten, von den Blüten des Partners zu naschen.
Evolutionsbiologen erklären das verschiedenartige Aussehen von Männchen und Weibchen derselben Art im Allgemeinen als Folge von sexueller Selektion. Das bedeutet, dass manche Geschlechtspartner zur Fortpflanzung bevorzugt werden, da sie für das andere Geschlecht "attraktiver" erscheinen, während die "unattraktiven" ihre Gene nicht an die nächste Generation weitergeben können. Zusätzlich können offenbar aber auch äußere Faktoren, wie zum Beispiel die Aufteilung von Nahrungsressourcen, zum unterschiedlichen Aussehen von Weibchen und Männchen einer Art führen. Bisher war allerdings nur ein Beispiel bekannt, das diese Vermutung stützt: Während die Mundwerkzeuge von Männchen einiger Moskito-Arten auf das Trinken von Nektar spezialisiert sind, haben sich diejenigen ihrer Weibchen an das Stechen und Saugen von Blut angepasst. Bereits Charles Darwin, der Vater der Evolutionstheorie, vermutete vor mehr als 100 Jahren, dass der Konkurrenzkampf um Nahrungsressourcen bei männlichen und weiblichen Kolibris zu unterschiedlichen Schnäbeln führen oder diese Unterschiede erhalten könnte.

Und anscheinend hatte Darwin mit seiner Vermutung in manchen Fällen tatsächlich recht, wie der Biologe Ethan J. Temeles vom Amherst College in Massachusetts und seine Mitarbeiter nun berichten. Nach Ansicht der Forscher führte der Streit der Geschlechter um die besten Blüten letzendlich im Verlauf der Evolution dazu, dass die Männchen einer bestimmten Kolibri-Art auf der westindischen Insel St. Lucia andere Schnäbel besitzen als ihre Weibchen (Science vom 21. Juli 2000). Um herauszufinden, ob die Kolibris mit ihren unterschiedlich gekrümmten Schnäbeln auch tatsächlich aus verschieden geformten Blüten ihren Nektar sammeln, überwachten die Biologen vier Wochen lang unterschiedliche Stellen mit Heliconia-Pflanzen, der Nahrungspflanze der kleinen Vögel. Das Ergebnis war deutlich: Alle 15 Männchen sammelten ihren Nektar an Plätzen mit Heliconia caribaea, während elf der 18 beobachteten Weibchen nur Pflanzen der Art H. bihai besuchten. Anschließend inspizierten die Forscher die Architektur der Schnäbel und der besuchten Blüten. Ihre Messungen ergaben, dass die Kolibri-Männchen einen Schnabel besitzen, der relativ kurz ist und sich in einem 15 Grad Winkel nach unten biegt. Auch die von den Männchen bevorzugten Blüten krümmten sich nur schwach um etwa 21 Grad. Die Mundwerkzeuge der Weibchen waren dagegen mit 30 Grad doppelt so stark gebogen wie diejenigen ihrer Partner, und auch ihre bevorzugten Blüten waren im Mittel mit 31 Grad deutlich stärker gekrümmt. "Beide, Männchen und Weibchen des Kolibris fressen so schneller – und vermutlich effizienter – an derjenigen Blüte, die am besten für ihren Schnabel geeignet ist", meint Temeles.

Der Biologe spekuliert nun darüber, wie es im Detail zu dieser Anpassung gekommen sein könnte. Er vermutet, dass vor Tausenden von Jahren, als die ersten Kolibris St. Lucia erreichten, die größeren und dominanten Männchen möglicherweise H. caribaea bevorzugten, weil sie mehr Blüten trägt als H. bihai. Die Weibchen mussten sich dann mit den weniger ergiebigen H. bihai-Pflanzen begnügen. Mit der Zeit, so Temeless, passten sich schließlich die Schnäbel der männlichen und weiblichen Vögel an die Blüte ihrer Wahl an. So konnte jedes Geschlecht seine Nahrungsquelle optimal nutzen.

Siehe auch

  • Quellen

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