News: Eine endlose Schreckensbilanz
Am schlimmsten betroffenen von der Epidemie sind immer noch die afrikanischen Länder südlich der Sahara. Über 25 Millionen Menschen tragen hier das Virus, davon 55 Prozent Frauen – damit ist es die einzige Region, in der die Zahl der infizierten Frauen größer ist als die der betroffenen Männer. Das Virus wird hier vor allem durch heterosexuelle Kontakte übertragen. Die Zahl der neu Infizierten ist leicht zurückgegangen, von vier Millionen 1999 auf 3,8 Millionen im Jahr 2000. Forscher führen dafür zwei Gründe an: Zum einen ist das Virus in der Bevölkerung bereits so weit verbreitet, dass die Zahl an Nicht-Infizierten, die dem Risiko einer Ansteckung ausgesetzt sind, immer kleiner wird. Zum anderen sind die Präventionsmaßnahmen in einigen Ländern, wie beispielsweise Uganda, sehr erfolgreich.
Richtiggehend explodiert sind die Zahlen hingegen in Osteuropa. Allein in der russischen Föderation haben sich 50 000 Menschen im Jahr 2000 neu infiziert – mehr als in allen vorherigen Jahren zusammen. Die Übertragung geschieht vor allem durch verunreinigtes Spritzbesteck. Insgesamt werden Ende des Jahres 2000 in Osteuropa und Zentralasien 700 000 Menschen mit dem Virus leben, Ende 1999 waren es noch 400 000. Die instabilen sozioökonomischen Verhältnisse in den betroffenen Ländern erschweren den Kampf gegen den Erreger, da sie ein risikoreiches Verhalten, zunehmenden Drogenmissbrauch und Prostitution fördern. Doch in einigen Staaten wie Weißrussland oder Kasachstan stellen sich Regierungen wie Nichtregierungsorganisationen mit Hilfs- und Überwachungsprogrammen dem Problem energisch entgegen.
Nach dem südlichen Afrika am stärksten von der Epidemie betroffen ist die Karibik. 2,3 Prozent der erwachsenen und sexuell aktiven Bevölkerung (15 bis 49 Jahre) tragen das Virus in sich. Insgesamt leben hier 390 000 HIV-Infizierte, davon haben sich 60 000 im Jahr 2000 angesteckt. Auch auf dem südamerikanischen Kontinent sind inzwischen 1,4 Millionen Menschen infiziert. Dank guter medizinischer Versorgung in einigen Ländern überleben die Betroffenen aber länger.
Die Lage in Asien muss für Süd- und Südostasien sowie Ostasien und die pazifischen Staaten getrennt betrachtet werden. Für Süd- und Südostasien rechnen die Wissenschaftler mit insgesamt 5,8 Millionen HIV-Infizierten, deren Zahl im Jahr 2000 um 700 000 gewachsen ist. Die Menschen infizieren sich hier vor allem über heterosexuelle Kontakte und verunreinigtes Spritzbesteck. In Ostasien und der pazifischen Region ist das Virus hingegen noch nicht sehr verbreitet. Zwar sind auch hier 640 000 Menschen infiziert, doch das entspricht nur 0,07 Prozent der erwachsenen und sexuell aktiven Bevölkerung im Vergleich zu 0,56 Prozent in Süd- und Südostasien. Allerdings fürchten die Forscher hier eine stärkere Zunahme in der Zukunft aufgrund von Bevölkerungswanderungen vor allem in China.
Für Nordafrika und den Nahen Osten liegen nur wenige Daten vor. Neueren Hinweisen zufolge steigt die Zahl der Neuinfektionen jedoch an. So gehen die Wissenschaftler davon aus, dass sich 80 000 Menschen im Jahr 2000 neu infiziert haben und somit Ende des Jahres etwa 400 000 Träger des Virus in der Region leben.
In den Industrieländern werden große Anstrengungen zur Prävention und Behandlung gemacht. Und trotzdem geben die Zahlen keine Entwarnung, denn die Zahl der neu Infizierten ist im Verhältnis zum Vorjahr nicht gesunken. Dabei stecken sich immer noch viele Männer durch ungeschützten Sexualkontakt zu anderen Männern an, weil sie sich aufgrund der Therapiemöglichkeiten in falscher Sicherheit wiegen. Anderen Studien zufolge hat der safer-sex-Gedanke an Bedeutung verloren, und die sexuellen Praktiken sind wieder riskanter geworden. Doch auch verunreinigtes Spritzbesteck ist für zahlreiche neue Fälle verantwortlich.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin schätzt, dass in Deutschland derzeit etwa 37 000 Menschen mit dem HI-Virus infiziert sind, davon etwa 8 000 Frauen. Die Zahl der infizierten Kinder liegt unter 400, und aufgrund von Vorbeugemaßnahmen sind es auch nur noch Einzelfälle, bei denen Mütter das Virus an ihre Kinder übertragen. Insgesamt sind seit Beginn der Epidemie in Deutschland etwa 18 000 Menschen daran gestorben, für das Jahr 2000 rechnen die Wissenschaftler mit 600 Todesfällen infolge von Aids.
In den letzten Jahren ist die Zahl der neu Infizierten wahrscheinlich weitgehend konstant geblieben. Für das Jahr 2000 geht das RKI von 2000 neuen Betroffenen aus, wobei den größten Anteil an neu gemeldeten Befunden mit 39 Prozent bi- oder homosexuelle Männer darstellen. An nächster Stelle steht der Anteil von Personen aus Ländern mit hoher HIV-Prävalenz (18 Prozent), wobei nicht sicher ist, wo die Infektion stattfand. Danach folgen die durch heterosexuelle Kontakte Infizierten (17 Prozent), deren Anteil ebenfalls leicht zugenommen hat. Gesunken ist hingegen der Anteil an Betroffenen, die sich durch verunreinigtes Spritzbesteck angesteckt haben. Die Gesamtzahl der HIV-Infizierten steigt seit 1996 leicht an, da jährlich etwa gleich viele Neuinfektionen hinzukommen, sich aufgrund verbesserter Behandlungsmethoden die Lebenszeit aber verlängert hat. Die Zahl der neu diagnostizierten Aids-Kranken ist jedoch nicht mehr so stark zurückgegangen wie in früheren Jahren. Hier rechnen die Forscher sogar damit, dass die Menge der Aids-Neudiagnosen in den kommenden Jahren wieder ansteigen wird.
Das Motto des Welt-Aids-Tages 2000 lautet: "Männer stellen sich der Verantwortung". Bis heute zahlen sie den höheren Preis, denn abgesehen von den afrikanischen Ländern südlich der Sahara sind weitaus mehr Männer als Frauen HIV-infiziert und an Aids erkrankt. Frauen jedoch haben ein besonderes Risiko, da sie oft wenig oder sogar keinen Einfluss nehmen können, ob, wann und wie sie sexuelle Kontakte haben.
Die Welt-Aidskampagne der Vereinten Nationen (UNAIDS) führt verschiedene Gründe an, warum sie die Männer in den Mittelpunkt ihrer diesjährigen Aktion stellt. Zum einen nehmen Männer ihre Gesundheit oft nicht ernst genug – kommen aber gleichzeitig mit schwierigen Situationen wie einem Leben mit Aids meist sehr viel schlechter zurecht. Weiterhin gefährden sie sich mit ihrem Verhalten selbst, da sie in vielen Dingen unvorsichtiger sind, seien es ungeschützte Sexualkontakte oder gemeinsam benutztes Spritzbesteck. Da zudem Homosexualität in vielen Ländern ein Tabu-Thema ist, sind dort entsprechende Präventionsmaßnahmen selten und auch wenig erfolgreich. HIV-infizierte Männer gefährden aber auch Frauen und Kinder: So können vor allem bisexuelle Männer das Virus an ihre Partnerinnen oder ihre Familie weitergeben. Dabei ist nicht zu vergessen, dass eine Übertragung von einem Mann auf eine Frau sehr viel einfacher ist als umgekehrt. Hier nennt UNAIDS auch die sexuelle Gewalt, die Männer Frauen gegenüber ausüben. Zudem müssen Männer lernen, mehr Verantwortung für Kinder und kranke Familienangehörige zu übernehmen und die Folgen ihrer Infektion ernster zu nehmen. Bisher lastet die Versorgung der Betroffenen noch weitgehend auf den Frauen, und die Zahl der nicht versorgten Aids-Waisen in verschiedenen Ländern steigt.
Die Welt-Aidskampagne hat sich darum besonders das Ziel gesetzt, dem weit verbreiteten Rollenverständnis und Konzepten von "Männlichkeit" entgegenzuwirken. Sie will Männer ermutigen, Frauen als gleichberechtigte Partner zu sehen und sich auch mehr an der Pflege von erkrankten Familienmitgliedern und der Betreuung von Kindern zu beteiligen. Sie will unter anderem Diskussionen über Geschlechterbeziehungen, Sexualität und Gewalt anregen und fördern, staatliche und nicht-staatliche Maßnahmen gegen Gewalt unterstützen und den Zugang zu Informations-, Beratungs- und Betreuungsangeboten erleichtern.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 14.7.2000
"Tod durch Infektionskrankheiten"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 12.7.2000
"Bekommen Männer eine HIV-Behandlung eher als Frauen?"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 30.6.2000
"Aids Spezial: Demographische Veränderungen erwartet" - Spektrum Ticker vom 29.6.2000
"Aids-Spezial: Die neuesten Fakten der weltweiten Plage" - Spektrum der Wissenschaft 11/00, Seite 42
"'Nie sagen, dass Hilfe vergebens ist'"
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