Agrarkraftstoffe: Blut für Öl
Landvertreibungen, Mord und Totschlag in Paraguay, steigende Maispreise in Mexiko, Sklaverei in Brasilien, brennende Wälder in Indonesien: Das vermeintlich grüne Image der Agrartreibstoffe verblasst bei näherer Betrachtung. Ihre Produktion ist mit schweren Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen verbunden.
Rudi Pagawaks Leben war kurz, zu kurz: Der 23-jährige Papua musste sterben, weil er auf dem Weg zu einer Telefonzelle vergaß, einen indonesischen Soldaten zu grüßen – Pflicht für einen Ureinwohner in der Provinz West-Papua, die 1962 von Indonesien besetzt wurde. Für sein "Vergehen" wurde Pagawak geschlagen und schließlich bewusstlos in einen Wassertrog geworfen, er starb wenige Stunden später in einem Krankenhaus.
Kolonialisierung mit der Palmöl-Plantage
Regierung und Unternehmen wollen schließlich verhindern, dass die Öffentlichkeit von den Menschenrechts- und Umweltsünden auf der Insel erfährt. Trotz Verbots wird Urwald gerodet, um Platz zu schaffen für neue Ölpalm-Kulturen, deren Produkte den westlichen Hunger und Durst nach Tierfutter und Agrartreibstoffen stillen sollen. Mindestens zwanzig Millionen Hektar möchte die indonesische Regierung dafür neu erschließen – geeignete Flächen dazu gibt es jedoch nur noch in den letzten Regenwäldern des Inselreiches in Papua, auf Borneo und Sumatra. Im Mittelpunkt standen vor allem das Schicksal von Sumatra-Tiger und Orang-Utan oder die gewaltigen CO2-Mengen, die bei der Brandrodung und dem Trockenlegen der Sümpfe freiwerden.
Weit weniger Aufsehen erregten bislang dagegen die gravierenden Verstöße gegen Recht und Gesetz im Umfeld der riesigen Palmöl-Anlagen, denn der Wald ist auch die Heimat zahlreicher indigener Völker oder liefert Kleinbauern zusätzliche Nahrung sowie Brennholz: "Es gibt Hunderte von Fällen von Menschenrechtsverletzungen, unrechtmäßiger Inbesitznahme von Land, Konflikte zwischen Unternehmen und Bevölkerung oder zwischen Bauern, Plantagenarbeitern und Indigenen. Dazu Verarmung und Zerbrechen der sozialen Gefüge."
Vieles davon hängt mit den latent schwelenden Unabhängigkeitsbestrebungen der Papua zusammen, die seit mehr als vierzig Jahren auf das ihnen versprochene Referendum zu dieser Frage warten. Die indonesische Regierung versucht jedoch auch über das Palmöl ihre eigenen Tatsachen zu schaffen, wie Klute an einem Beispiel erläutert: "Der Distrikt Merauke in Papua hat insgesamt etwa 250 000 Einwohner – darunter circa 40 000 indigene Papua. Hier sollen nun auf 1,3 Millionen Hektar Palmölplantagen geschaffen werden, das entspricht einem Drittel der Distriktfläche. Der Bedarf an Arbeitern für die Plantagen beträgt 300 000 Menschen. Dazu kommt die Stationierung neuer Militäreinheiten, und sicherlich lockt das Business viele Händler von anderen Inseln an."
Regenwald gilt als ungenutztes Brachland
Perfiderweise fallen den Waldbewohnern mitunter sogar Umweltschützer in den Rücken, wie Inge Altemeier in West-Papua aufdeckte. Der World Wide Fund for Nature (WWF) und andere Nichtregierungsorganisationen arbeiten am so genannten "Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl" mit den Palmölinvestoren zusammen. Ihre lokalen Büros bestimmen mit, welches Land in Palmölmonokulturen umgewandelt werden darf. Nach den Vorgaben des WWF Deutschland dürften "keine nachwachsenden Energierohstoffe aus Ländern mit Gewaltkonflikten zertifiziert und importiert werden (wie zum Beispiel Palmöl aus Kolumbien und Indonesien), wo für die Bioenergieproduktion akut die Lokalbevölkerung vertrieben und Menschenrechte durch (Para-)Militärs verletzt werden".
Diese Bestimmungen scheinen für Papua jedoch nicht zu gelten: "Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen haben in den vergangenen Jahren hunderte Fälle von gewaltsamen Vertreibungen durch Palmöl-Konzerne oder ihre Handlanger dokumentiert", so Altemeier. Im Falle von Sinar Mas soll die Plantage wiederum auf "ungenutztem Brachland" entstehen, doch wächst hier ein artenreicher Regenwald und sprudeln wichtige Trinkwasserquellen für die Bevölkerung. Die Papua leben von diesem intakten Wald und beschützen ihn entsprechend – wird er vernichtet, verlieren sie ihre Lebensgrundlage und müssen sich auf den Farmen für wenig Geld verdingen. Oder sie wandern in die Elendsviertel der Städte ab, wo Alkoholsucht und Aids unter ihnen grassieren.
Verlust der traditionellen Kultur
Die Unternehmen nutzen dabei die mangelnde Bildung und Benachteiligung der Indianer und Afroamerikaner aus: "Hier treffen zwei völlig verschiedene Kulturen aufeinander, denn die ahnungslosen Kleinbauern – zumeist bettelarm, Analphabeten und ohne jede Ausbildung – werden von skrupellosen, gut ausgebildeten Geschäftsleuten übers Ohr gehauen. Letztere versprechen den Kleinbauern Entwicklung, Straßen, Arbeitsplätze und Einkommen. Doch all das ist natürlich ausgeblieben. Heute haben die Bauern ihr Land, ihre Lebensgrundlagen und eng damit verbunden ihre traditionelle Kultur verloren. Viele sind in die Städte abgewandert," erläutert Schenck die üblichen Gepflogenheiten im Land.
Was Palmöl für Indonesien oder Ecuador ist, bedeuten Soja und Zuckerrohr für Brasilien: ein lukratives Exportprodukt als Tierfutter und Kraftstoffgrundlage, aber auch eine Triebfeder für Umweltzerstörungen und soziale Spannungen.
Sklaverei im Zuckerrohr
Besonders schlimme Bedingungen herrschen vor allem auf den Zuckerrohrfeldern, so Bickel unter Bezug auf Studien der katholischen Landpastoral (CPT), einer ökumenischen Einrichtung der katholischen Kirche, von Lutheranern und Methodisten für brasilianische Landarbeiter: "Bei der Ernte gelten Akkordvorgaben für die Arbeiter, die ohne festen Vertrag und Krankenversicherung arbeiten. Vor einigen Jahren lag das Soll bei acht Tonnen pro Tag, heute sind es zehn bis zwölf." Laut CPT starben in der Erntesaison 2005 bis 2006 allein im Bundesstaat Sao Pãulo mindestens 19 Zuckerrohrarbeiter an Erschöpfung. Neben der klimatischen Gunst Brasiliens machen vor allem diese Ausbeutung und Hungerlöhne das Zuckerrohr zu einem günstigen Produkt, das verarbeitet zu Ethanol nordamerikanische Autofahrer klimafreundlicher werden lassen soll.
Sprit statt Brot
Das verwundert wenig, sieht man die Zahlen beispielsweise des brasilianischen Landwirtschaftsministeriums: Seit 1990 nimmt die Produktionsfläche für Grundnahrungsmittel ab – für Bohnen beispielsweise um ein Fünftel, bei Weizen mehr als ein Zehntel –, während Monokulturen wie Zuckerrohr (plus 35,8 Prozent) und Soja (plus 99,8 Prozent) beständig expandieren. "Es besteht eine offensichtliche Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Für eine 95 Liter fassende Tankfüllung eines US-Wagens mit Ethanol benötigt man 200 Kilogramm Mais. Davon könnte man eine Person ein Jahr ernähren – vor dem Hintergrund, dass viele Menschen in Entwicklungsländern hungern, ist dies eine falsche Prioritätensetzung", empört sich Bickel deshalb über die Politik der EU und der USA, die auf Agrartreibstoffe gegen den Klimawandel setzen.
Menschenrechtsverletzungen und Hunger sind auch in einem anderen Schwerpunkt der Agrartreibstoff-Produktion an der Tagesordnung, wie Reto Sonderegger aus Paraguay berichtet. Der Schweizer ist Mitglied der Bauerngewerkschaft Uniterre; er arbeitet als Sozialforscher und Journalist in Asunción sowie als Berater für Bauernorganisationen vor Ort:
Verjagt und vergiftet
Immerhin wurden Sprüheinsätze aus dem Flugzeug vor einigen Jahren untersagt, weil es dokumentierte Todesfälle nach derartigen Einsätzen gab: "Es kam oft vor, dass die Farmer gleich ganze Dörfer, die ihnen lästig waren, überfliegen und besprühen ließen." Zum Einsatz kommen auch Substanzen, die in Europa oder den USA längst verboten sind wie Paraquat oder Atrazin, die in Lateinamerika aber weiterhin in großen Mengen auf dem Acker landen – schwere Gesundheitsfolgen für die Menschen inklusive. Das Gift Endosulfan, eine chlororganische Verbindung, etwa kann spontane Fehlgeburten und Missbildungen bei Kindern auslösen: "Frauen, die in Siedlungen wohnen, die von riesigen Sojakulturen umgeben sind, bekommen Angst, wenn sie merken, dass sie schwanger sind. Wenn möglich, gehen sie dann fort, um die Kinder bei Verwandten auszutragen," so Sonderegger. Dokumentiert ist auch mindestens ein Fall aus dem Jahr 2003, in dem ein dreijähriger Junge an den Folgen einer Pestizid-Vergiftung starb, sowie ein weiterer von 2007, als ein weiteres Kind an den Spätfolgen der Chemikalien umkam.
Die Spritzmittel schädigen die Menschen auch indirekt: In manchen Regionen töteten die Giftschwaden jedes Leben in den Flüssen und Bächen ab, sodass vom einst reichen Fischbestand als alternativer Eiweißquelle nichts mehr übrig blieb und zugleich das Trinkwasser verseucht ist. Mitunter verendet das Vieh und Geflügel der Kleinbauern, die sich in abdriftenden Pestizid-Wolken aufhielten, oder ihre Kulturpflanzen gehen ein, weil sie von Pflanzengiften verbrannt wurden. "2006 wurden 35 Millionen Liter Pestizide auf die 2,5 Millionen Hektar großen Soja-Plantagen gespritzt", ergänzt Bickel, deren Organisation auch in Paraguay engagiert ist.
Selbst vor Mord und Totschlag wird bei Widerstand nicht zurückgeschreckt: Die paraguayische Menschenrechtskoordination Codehupy listete in Zusammenhang mit dem Sojaanbau in einem mehrere hundert Seiten dicken Bericht detailliert 75 Morde an Kleinbäuerinnen und -bauern sowie Landlosen zwischen 1990 und 2005 auf, zwei weitere Personen gelten als vermisst. Etwa ein Drittel der Fälle geht auf das Konto von Polizeieinheiten, in den übrigen meist paramilitärische Kräfte, die von Großgrundbesitzern finanziert werden. In nur zwei Fällen verurteilte ein Gericht die jeweiligen Täter.
Der Widerstand wächst
Mindestens 90 000 Familien wurden in den letzten Jahren in Paraguay von ihrem Land vertrieben, weil sie der Expansion der Sojafelder im Weg standen. Die Menschen wandern in die Hauptstadt Asuncíon oder nach Buenos Aires ab, wo sie die Elendsviertel auffüllen. Oder sie erschließen neues Land im Chaco – einer artenreichen Savanne – mit den entsprechenden negativen Folgen für die Natur. Und ein Ende ist noch nicht absehbar: "Die Sojafarmer denken nun auch ernsthaft darüber nach, die traditionelle Winterkultur Weizen durch Raps und Hirse zu ersetzen, um europäische Autos und Lastwagen mit Ethanol zu beliefern, anstatt die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen", fasst Reto Sonderegger ein Strategietreffen von Landwirten und Politikern zusammen.
Immer lauter mahnen deshalb nicht nur Naturschützer, sondern ebenso Menschenrechts- und Entwicklungshilfegruppen ein Umdenken bei den Agrartreibstoffen an: Mehr als 150 Organisationen haben die Europäische Union aufgerufen, ein sofortiges Moratorium zum Import von Agrartreibstoffen zu erlassen, um weiteren Schaden von Mensch und Umwelt abzuwenden. Jean Ziegler, der UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, geißelt den "Biodiesel" und die dafür nötige Umwandlung von fruchtbarem Ackerland gar als "ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
Vor Ort beginnen sich die Menschen zu wehren: Ein Marsch von 800 Awa in die Hauptstadt Ecuadors brachte dem Volk die schriftliche Zusicherung, dass die Regierung ihre traditionellen Landrechte anerkennt und ihnen das Land in den bestehenden Grenzen zusichert.
Nur ein trauriger Exzess eines cholerischen Soldaten? Oder vielleicht auch ein Beispiel für eine neue Konfliktlinie im Kampf um Rohstoffe, um die Energieversorgung von morgen? Denn vorgefallen ist das Ganze auf der Plantage des chinesisch-indonesischen Palmöl-Giganten Sinar Mas, auf der Rudi Pagawak beschäftigt war und um deren Existenz immer wieder heftige Diskussionen entbrennen, wie die Hamburger Journalistin Inge Altemeier auf ihren Recherchen erfahren hat – obwohl West-Papua seit 2003 für Reporter offiziell nicht mehr zugänglich ist: "Gerne hätten wir auf den bestehenden Plantagen von Sinar Mas nachgeschaut und uns vor Ort ein Bild gemacht, wie nachhaltig hier Palmölplantagen betrieben werden, die indonesische Regierung erteilte uns jedoch keine Drehgenehmigung für West-Papua. Aber uns wurde heimlich gedrehtes Material zugespielt."
Kolonialisierung mit der Palmöl-Plantage
Regierung und Unternehmen wollen schließlich verhindern, dass die Öffentlichkeit von den Menschenrechts- und Umweltsünden auf der Insel erfährt. Trotz Verbots wird Urwald gerodet, um Platz zu schaffen für neue Ölpalm-Kulturen, deren Produkte den westlichen Hunger und Durst nach Tierfutter und Agrartreibstoffen stillen sollen. Mindestens zwanzig Millionen Hektar möchte die indonesische Regierung dafür neu erschließen – geeignete Flächen dazu gibt es jedoch nur noch in den letzten Regenwäldern des Inselreiches in Papua, auf Borneo und Sumatra. Im Mittelpunkt standen vor allem das Schicksal von Sumatra-Tiger und Orang-Utan oder die gewaltigen CO2-Mengen, die bei der Brandrodung und dem Trockenlegen der Sümpfe freiwerden.
Weit weniger Aufsehen erregten bislang dagegen die gravierenden Verstöße gegen Recht und Gesetz im Umfeld der riesigen Palmöl-Anlagen, denn der Wald ist auch die Heimat zahlreicher indigener Völker oder liefert Kleinbauern zusätzliche Nahrung sowie Brennholz: "Es gibt Hunderte von Fällen von Menschenrechtsverletzungen, unrechtmäßiger Inbesitznahme von Land, Konflikte zwischen Unternehmen und Bevölkerung oder zwischen Bauern, Plantagenarbeitern und Indigenen. Dazu Verarmung und Zerbrechen der sozialen Gefüge."
"Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen haben in den vergangenen Jahren hunderte Fälle von gewaltsamen Vertreibungen durch Palmöl-Konzerne oder ihre Handlanger dokumentiert"
(Inge Altemeier)
Dieser Anklage von Marianne Klute von der Organisation Watch Indonesia – zur Zeit unterwegs in Indonesien – kann Altemeier nur zustimmen: "Es gibt ganz viele Drohungen, und Papua verschwinden, werden gekidnappt. Das Militär hat immer das Gewehr im Anschlag, sie vergewaltigen. Viele Papua in den Grenzgebieten sind auf der Flucht und leben in Flüchtlingsgebieten." (Inge Altemeier)
Vieles davon hängt mit den latent schwelenden Unabhängigkeitsbestrebungen der Papua zusammen, die seit mehr als vierzig Jahren auf das ihnen versprochene Referendum zu dieser Frage warten. Die indonesische Regierung versucht jedoch auch über das Palmöl ihre eigenen Tatsachen zu schaffen, wie Klute an einem Beispiel erläutert: "Der Distrikt Merauke in Papua hat insgesamt etwa 250 000 Einwohner – darunter circa 40 000 indigene Papua. Hier sollen nun auf 1,3 Millionen Hektar Palmölplantagen geschaffen werden, das entspricht einem Drittel der Distriktfläche. Der Bedarf an Arbeitern für die Plantagen beträgt 300 000 Menschen. Dazu kommt die Stationierung neuer Militäreinheiten, und sicherlich lockt das Business viele Händler von anderen Inseln an."
Die Papua – oder auch die indigenen Dayak auf Borneo – halten zudem keine Besitzurkunden für ihr angestammtes Land, sodass sie sich gegen eine Enteignung kaum wehren können. "Die Regierung bestimmt das Land, das für Plantagen vorgesehen ist. Die Provinzen und Distrikte haben für die Umsetzung zu sorgen, die Bürgermeister für den Erwerb von Land, ohne dass die Bevölkerung beteiligt wird. Am Ende unterzeichnet der Bürgermeister oder der Clanchef einen Vertrag, von dem die Dorfgemeinschaft nichts weiß. Sie wird dann außerhalb der Kernplantage in bäuerlich bewirtschafteten Plasmaplantagen angesiedelt. Zwar erhalten die Menschen im Allgemeinen eine Entschädigung, aber oft weniger als versprochen wurde", beschreibt Klute die übliche Vorgehensweise.
Regenwald gilt als ungenutztes Brachland
Perfiderweise fallen den Waldbewohnern mitunter sogar Umweltschützer in den Rücken, wie Inge Altemeier in West-Papua aufdeckte. Der World Wide Fund for Nature (WWF) und andere Nichtregierungsorganisationen arbeiten am so genannten "Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl" mit den Palmölinvestoren zusammen. Ihre lokalen Büros bestimmen mit, welches Land in Palmölmonokulturen umgewandelt werden darf. Nach den Vorgaben des WWF Deutschland dürften "keine nachwachsenden Energierohstoffe aus Ländern mit Gewaltkonflikten zertifiziert und importiert werden (wie zum Beispiel Palmöl aus Kolumbien und Indonesien), wo für die Bioenergieproduktion akut die Lokalbevölkerung vertrieben und Menschenrechte durch (Para-)Militärs verletzt werden".
Diese Bestimmungen scheinen für Papua jedoch nicht zu gelten: "Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen haben in den vergangenen Jahren hunderte Fälle von gewaltsamen Vertreibungen durch Palmöl-Konzerne oder ihre Handlanger dokumentiert", so Altemeier. Im Falle von Sinar Mas soll die Plantage wiederum auf "ungenutztem Brachland" entstehen, doch wächst hier ein artenreicher Regenwald und sprudeln wichtige Trinkwasserquellen für die Bevölkerung. Die Papua leben von diesem intakten Wald und beschützen ihn entsprechend – wird er vernichtet, verlieren sie ihre Lebensgrundlage und müssen sich auf den Farmen für wenig Geld verdingen. Oder sie wandern in die Elendsviertel der Städte ab, wo Alkoholsucht und Aids unter ihnen grassieren.
Szenen, die der Diplom-Holzwirt Klaus Schenck, der den Hamburger Verein Rettet den Regenwald in Ecuador unterstützt, kennt. Dort verdrängen die Palmölplantagen die Indianer vom Volk der Awa und die afroamerikanische Bevölkerungsmehrheit im Pazifiktiefland des Chocos – eines der artenreichsten Regenwaldgebiete der Erde: "Ab 1995 begann Ecuador Palmöl zu exportieren, und heutzutage machen die Ausfuhren bereits die Hälfte der Produktion aus. Durch den Boom bei den Biokraftstoffen, die von den Menschen im Süden korrekterweise als Agrokraftstoffe bezeichnet werden, da sie industriell unter dem Einsatz von Kunstdüngern, Pestiziden und genmanipulierten Pflanzen erzeugt werden, hat sich die Lage dramatisch verschärft. Die ecuadorianische Firma La Fabril führt bereits Biodiesel in die USA aus. Dazu werden neue Regenwaldflächen gerodet."
Verlust der traditionellen Kultur
Die Unternehmen nutzen dabei die mangelnde Bildung und Benachteiligung der Indianer und Afroamerikaner aus: "Hier treffen zwei völlig verschiedene Kulturen aufeinander, denn die ahnungslosen Kleinbauern – zumeist bettelarm, Analphabeten und ohne jede Ausbildung – werden von skrupellosen, gut ausgebildeten Geschäftsleuten übers Ohr gehauen. Letztere versprechen den Kleinbauern Entwicklung, Straßen, Arbeitsplätze und Einkommen. Doch all das ist natürlich ausgeblieben. Heute haben die Bauern ihr Land, ihre Lebensgrundlagen und eng damit verbunden ihre traditionelle Kultur verloren. Viele sind in die Städte abgewandert," erläutert Schenck die üblichen Gepflogenheiten im Land.
Für die Awa kann die Vernichtung ihrer Regenwaldheimat das völlige Aus als Ethnie bedeuten, fürchtet der deutsche Entwicklungshelfer: "Als traditionelles Regenwaldvolk sind die Awa eng mit der Natur verbunden. Wird der Regenwald gerodet und das Land von Plantagen belegt, werden sie sozial und kulturell entwurzelt. Am Ende steht ihre Auslöschung als Kultur und Volk. Ob die Awa und das nun von drei Seiten von den Palmölplantagen bedrängte 117 000 Hektar große Awa-Territorium dem Druck von außen standhalten können, ist ungewiss."
Was Palmöl für Indonesien oder Ecuador ist, bedeuten Soja und Zuckerrohr für Brasilien: ein lukratives Exportprodukt als Tierfutter und Kraftstoffgrundlage, aber auch eine Triebfeder für Umweltzerstörungen und soziale Spannungen.
"Am Ende steht ihre Auslöschung als Kultur und Volk"
(Klaus Schenck)
Ulrike Bickel, Misereor-Fachreferentin für Menschenrechte, beklagt beispielsweise die weit verbreitete Sklaverei auf den Plantagen: "Allein im letzten Jahr wurden über 7000 Sklaven befreit – ein Großteil davon im Agrarbreich. Zunehmend sind die Plantagen aber mechanisiert, die prekären Arbeitsverhältnisse herrschen zumeist jetzt schon bei den Rodungsarbeiten." (Klaus Schenck)
Sklaverei im Zuckerrohr
Besonders schlimme Bedingungen herrschen vor allem auf den Zuckerrohrfeldern, so Bickel unter Bezug auf Studien der katholischen Landpastoral (CPT), einer ökumenischen Einrichtung der katholischen Kirche, von Lutheranern und Methodisten für brasilianische Landarbeiter: "Bei der Ernte gelten Akkordvorgaben für die Arbeiter, die ohne festen Vertrag und Krankenversicherung arbeiten. Vor einigen Jahren lag das Soll bei acht Tonnen pro Tag, heute sind es zehn bis zwölf." Laut CPT starben in der Erntesaison 2005 bis 2006 allein im Bundesstaat Sao Pãulo mindestens 19 Zuckerrohrarbeiter an Erschöpfung. Neben der klimatischen Gunst Brasiliens machen vor allem diese Ausbeutung und Hungerlöhne das Zuckerrohr zu einem günstigen Produkt, das verarbeitet zu Ethanol nordamerikanische Autofahrer klimafreundlicher werden lassen soll.
Der billige Kraftstoff für den Norden raubt den Armen des Südens jedoch die Nahrung – weil Anbauflächen umgewidmet würden oder Mais und anderes Getreide im Tank statt auf dem Teller landet. In Mexiko kam es dieses Jahr deshalb schon zu Unruhen, weil die Preise für Mais-Tortillas – Grundnahrungsmittel ärmerer Schichten – durch die Decke gingen: US-amerikanische Farmer belieferten Ethanolfabriken, weshalb die Exporte nach Mexiko sanken. Ein Phänomen, das sich auch immer deutlicher auf den Börsenmärkten zeigt: "Die Preise für Rohstoffe, die zur Agrarkraftstoff-Herstellung genutzt werden, sind immer deutlicher an die Energiepreise gekoppelt," mahnt Joachim von Braun, der Leiter des International Food Policy Research Institute in Washington, "in den letzten fünf Jahren waren die Preisschwankungen bei Ölsaaten, Weizen und Mais doppelt so hoch wie in den Jahrzehnten zuvor."
Sprit statt Brot
Das verwundert wenig, sieht man die Zahlen beispielsweise des brasilianischen Landwirtschaftsministeriums: Seit 1990 nimmt die Produktionsfläche für Grundnahrungsmittel ab – für Bohnen beispielsweise um ein Fünftel, bei Weizen mehr als ein Zehntel –, während Monokulturen wie Zuckerrohr (plus 35,8 Prozent) und Soja (plus 99,8 Prozent) beständig expandieren. "Es besteht eine offensichtliche Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Für eine 95 Liter fassende Tankfüllung eines US-Wagens mit Ethanol benötigt man 200 Kilogramm Mais. Davon könnte man eine Person ein Jahr ernähren – vor dem Hintergrund, dass viele Menschen in Entwicklungsländern hungern, ist dies eine falsche Prioritätensetzung", empört sich Bickel deshalb über die Politik der EU und der USA, die auf Agrartreibstoffe gegen den Klimawandel setzen.
Menschenrechtsverletzungen und Hunger sind auch in einem anderen Schwerpunkt der Agrartreibstoff-Produktion an der Tagesordnung, wie Reto Sonderegger aus Paraguay berichtet. Der Schweizer ist Mitglied der Bauerngewerkschaft Uniterre; er arbeitet als Sozialforscher und Journalist in Asunción sowie als Berater für Bauernorganisationen vor Ort:
"Biodiesel ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit"
(Jean Ziegler)
"Die Situation ist momentan sehr gespannt, denn Anfang Oktober wurde wieder die Soja ausgesät. Und damit folgen wieder die ganzen Pestizid-Einsätze gegen Schädlinge und Krankheiten. In der Nähe von Kleinbauern-Siedlungen kommt es dann zu Konflikten, weil die Bewohner auf die Felder gehen, um die Spritzungen zu verhindern." (Jean Ziegler)
Eigentlich erließ die paraguayische Regierung strenge Gesetze, die verbieten, dass Agrarchemikalien in weniger als hundert Meter Entfernung von Siedlungen oder Straßen maschinell ausgebracht werden. Zudem müssten eigentlich Baumreihen zwischen den Feldern und angrenzenden Gemeinden gepflanzt werden, die den Abdrift der Sprühwolken verhindern sollen: "Daran halten sich die Sojafarmer jedoch nirgendwo. Deshalb wollen wenigstens die Dörfer dafür sorgen, dass die Bestimmungen eingehalten werden. Die Polizei steht allerdings auf der Seite der Farmer und vertreibt die Kleinbauern, sodass ungestört gespritzt werden kann", beschreibt Sonderegger einen der Hauptkonflikte im Land.
Verjagt und vergiftet
Immerhin wurden Sprüheinsätze aus dem Flugzeug vor einigen Jahren untersagt, weil es dokumentierte Todesfälle nach derartigen Einsätzen gab: "Es kam oft vor, dass die Farmer gleich ganze Dörfer, die ihnen lästig waren, überfliegen und besprühen ließen." Zum Einsatz kommen auch Substanzen, die in Europa oder den USA längst verboten sind wie Paraquat oder Atrazin, die in Lateinamerika aber weiterhin in großen Mengen auf dem Acker landen – schwere Gesundheitsfolgen für die Menschen inklusive. Das Gift Endosulfan, eine chlororganische Verbindung, etwa kann spontane Fehlgeburten und Missbildungen bei Kindern auslösen: "Frauen, die in Siedlungen wohnen, die von riesigen Sojakulturen umgeben sind, bekommen Angst, wenn sie merken, dass sie schwanger sind. Wenn möglich, gehen sie dann fort, um die Kinder bei Verwandten auszutragen," so Sonderegger. Dokumentiert ist auch mindestens ein Fall aus dem Jahr 2003, in dem ein dreijähriger Junge an den Folgen einer Pestizid-Vergiftung starb, sowie ein weiterer von 2007, als ein weiteres Kind an den Spätfolgen der Chemikalien umkam.
Die Spritzmittel schädigen die Menschen auch indirekt: In manchen Regionen töteten die Giftschwaden jedes Leben in den Flüssen und Bächen ab, sodass vom einst reichen Fischbestand als alternativer Eiweißquelle nichts mehr übrig blieb und zugleich das Trinkwasser verseucht ist. Mitunter verendet das Vieh und Geflügel der Kleinbauern, die sich in abdriftenden Pestizid-Wolken aufhielten, oder ihre Kulturpflanzen gehen ein, weil sie von Pflanzengiften verbrannt wurden. "2006 wurden 35 Millionen Liter Pestizide auf die 2,5 Millionen Hektar großen Soja-Plantagen gespritzt", ergänzt Bickel, deren Organisation auch in Paraguay engagiert ist.
Auch die Landnahme läuft nicht immer legal ab: Obwohl heute noch immer siebzig Prozent der Landesfläche Paraguays weniger als zwei Prozent der Bevölkerung gehören, versuchen vor allem Investoren aus Brasilien weitere Latifundien in Besitz zu nehmen. Meist kaufen sie das Land für wenig Geld von den Kleinbauern ab, weil sich diese verschuldet hatten. Andere werden aber auch bedroht und eingeschüchtert, damit sie ihre Felder abtreten, oder das Land wird illegal von Agrarbehörden über die Köpfe der Kleinbauern hinweg veräußert.
Selbst vor Mord und Totschlag wird bei Widerstand nicht zurückgeschreckt: Die paraguayische Menschenrechtskoordination Codehupy listete in Zusammenhang mit dem Sojaanbau in einem mehrere hundert Seiten dicken Bericht detailliert 75 Morde an Kleinbäuerinnen und -bauern sowie Landlosen zwischen 1990 und 2005 auf, zwei weitere Personen gelten als vermisst. Etwa ein Drittel der Fälle geht auf das Konto von Polizeieinheiten, in den übrigen meist paramilitärische Kräfte, die von Großgrundbesitzern finanziert werden. In nur zwei Fällen verurteilte ein Gericht die jeweiligen Täter.
Der Widerstand wächst
Mindestens 90 000 Familien wurden in den letzten Jahren in Paraguay von ihrem Land vertrieben, weil sie der Expansion der Sojafelder im Weg standen. Die Menschen wandern in die Hauptstadt Asuncíon oder nach Buenos Aires ab, wo sie die Elendsviertel auffüllen. Oder sie erschließen neues Land im Chaco – einer artenreichen Savanne – mit den entsprechenden negativen Folgen für die Natur. Und ein Ende ist noch nicht absehbar: "Die Sojafarmer denken nun auch ernsthaft darüber nach, die traditionelle Winterkultur Weizen durch Raps und Hirse zu ersetzen, um europäische Autos und Lastwagen mit Ethanol zu beliefern, anstatt die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen", fasst Reto Sonderegger ein Strategietreffen von Landwirten und Politikern zusammen.
Immer lauter mahnen deshalb nicht nur Naturschützer, sondern ebenso Menschenrechts- und Entwicklungshilfegruppen ein Umdenken bei den Agrartreibstoffen an: Mehr als 150 Organisationen haben die Europäische Union aufgerufen, ein sofortiges Moratorium zum Import von Agrartreibstoffen zu erlassen, um weiteren Schaden von Mensch und Umwelt abzuwenden. Jean Ziegler, der UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, geißelt den "Biodiesel" und die dafür nötige Umwandlung von fruchtbarem Ackerland gar als "ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
Vor Ort beginnen sich die Menschen zu wehren: Ein Marsch von 800 Awa in die Hauptstadt Ecuadors brachte dem Volk die schriftliche Zusicherung, dass die Regierung ihre traditionellen Landrechte anerkennt und ihnen das Land in den bestehenden Grenzen zusichert.
Keine Ahnung, woher dann das Palmöl für die EU kommen soll"
(Marianne Klute)
Und in Indonesien bekommt Marianne Klute langsam den Eindruck, dass die Bauern- und Indigenenbewegung zu erstarken beginnt: "Sie setzen auf verbürgte Landrechte. Die Etablierung von Neuplantagen wird nicht ohne harte Konflikte verlaufen! Ich bin inzwischen sehr davon überzeugt, dass die indonesischen Pläne deswegen nicht alle realisiert werden können. Keine Ahnung, woher dann das Palmöl für die EU kommen soll." (Marianne Klute)
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