Amerikanische Clovis-Kultur: Forscher entziffern DNA erster amerikanischer Ureinwohner
Erstmals haben Forscher ein komplettes Genom aus der Frühzeit der amerikanischen Besiedlung entziffert. Die DNA aus den zwölfeinhalbtausend Jahre alten Knochen eines Kleinkinds erzählt die inzwischen vertraute Geschichte: Amerikanische Ureinwohner kamen vielleicht schon vor rund 17 000 Jahren aus Asien nach Amerika – zunächst entlang der Westküste und nicht, wie lange geglaubt, über die Beringstraße.
Die Gruppe um Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen will damit auch endgültig eine umstrittene Theorie widerlegt haben, der zufolge die Angehörigen der über 13 000 Jahre alten Clovis-Kultur ursprünglich aus Europa stammten. Nach dieser so genannten Solutréen-Hypothese sollen Menschen entlang der Packeisgrenze den Atlantik überquert haben. Die Argumente dafür und dagegen haben wir ausführlich hier zusammengefasst.
Die Clovis sind berühmt für ihre filigran gearbeiteten Steinklingen, die sich in Reinform ab einem Zeitpunkt vor etwa 13 000 Jahren finden. Lange galten sie als die ersten Einwanderer überhaupt, die in sagenhafter Geschwindigkeit fast den gesamten amerikanischen Kontinent besiedelten. Inzwischen finden sich jedoch an Ost- und Westküste deutliche archäologische Hinweise auf ältere Menschengruppen. Die Vorläufer der Clovis-Steinklingen beschränken sich allerdings auf den Osten der USA. Und weil diese Menschen ihre Werkzeuge praktisch genauso herstellten wie die Angehörigen der Solutréen-Kultur in Spanien und Frankreich sollen der Theorie zufolge die Clovis aus den Europäern hervorgegangen sein.
Dem widersprechen Willerslev und Kollegen nun kategorisch: Das Kind, dessen Gene sie nun untersuchten, sei ein Angehöriger der Clovis-Kultur und trage nicht die Spur europäischen Erbguts, sondern ausschließlich asiatisches.
Ein stimmiges Bild der uramerikanischen Abstammung
Das Team hat den letzten Jahren entscheidend daran mitgewirkt, dass sich Wissenschaftler inzwischen ein sehr stimmiges Bild vom Ursprung der heutigen Ureinwohner machen können. Zuletzt identifizierten sie im Erbgut eines 24 000 Jahre alten sibirischen Individuums Hinweise auf die Population, aus der sich alle amerikanischen Einwanderer in genetischer Hinsicht speisen.
Nachfahren dieser sibirischen Bevölkerungsgruppe scheinen vor über 20 000 Jahren in das Gebiet der damals trocken liegenden Beringstraße vorgedrungen zu sein, woraufhin sich dort zwei genetisch leicht verschiedene Populationen entwickelten – aus einer von ihnen ging die erste Welle der Einwanderer hervor, zu denen das Kind gehörte und die schließlich auch Südamerika erreichten. Die mtDNA-Linie dieser Menschen findet sich vorwiegend an der Westküste. Später dürfte sich ein weiterer Trupp von Immigranten aufgemacht haben, der diesmal vielleicht den Landweg durchs heutige Kanada nahm. Diese Route war in den Jahrtausenden zuvor durch gewaltige Eisschilde versperrt.
Das Erbgut aller heutigen Ureinwohner Nord- und Südamerikas lässt sich zu diesen asiatischen Wurzeln zurückverfolgen. Mit den Jenisseischen Sprachen in Sibirien haben Linguisten außerdem mittlerweile einen viel versprechenden Kandidaten für eine sprachliche Verwandtschaft zwischen Asien und Amerika gefunden.
Clovis-Streit doch nicht beigelegt?
Der teils mit Haken und Ösen geführte Streit um die Ursprünge der Clovis-Kultur dürfte allerdings trotzdem noch nicht beigelegt sein, auch wenn die beiden Anthropologinnen Jennifer Raff und Deborah Bolnick von der University of Texas in einem begleitenden Kommentar [2] zur aktuellen Veröffentlichung vorschlagen, sich endlich "interessanteren Fragen zuzuwenden".
Willerslevs Aussage steht und fällt mit der Annahme, dass es sich bei dem in Montana ausgegrabenen Kleinkind, das nach seinem Fundort als Anzick-1 bezeichnet wird, tatsächlich um einen Angehörigen der Clovis handelt. Das aber ist durchaus fraglich.
Zwar wurde an Ort und Stelle auch ein typisches Werkzeuginventar der Clovis gefunden – wohl ein so genanntes Depot, wie es in ähnlicher Form noch an 23 weiteren Fundplätzen quer durch die USA auftaucht –, allerdings sind die datierbaren Knochenwerkzeuge darin mit einem Alter von etwa 13 000 Jahren deutlich älter als das Kind (12 600 Jahre), wie auch Willerslev und Kollegen einräumen. Die Werkzeuge datieren damit auf die Frühzeit der Clovis-Ära, das Kind selbst auf deren Ende. An anderen Clovis-Depots wurden zudem keine menschlichen Überreste gefunden.
Befürworter sehen keinen Anlass für Zweifel
Dennis Stanford vom Smithsonian National Museum of Natural History in Washington, der mit seinem Kollegen Bruce Bradley von der University of Exeter zu den prominentesten Vertretern der Solutréen-Hypothese gehört, sieht deshalb auch keinen Anlass, an seiner Theorie zu zweifeln: "Die menschlichen Überreste stammen wahrscheinlich von einem Angehörigen der Western Stemmed Tradition", schreibt Stanford in einer E-Mail an "Spektrum.de". Vertreter dieser Kultur fänden sich entlang der Westküste, was zur mtDNA-Linie des Kindes passe.
Stanford verweist unter anderem auf Aufzeichnungen des Ausgräbers des Anzick-Fundplatzes, Dee Taylor von der University of Montana, der seinerzeit schrieb: "Unglücklicherweise wurde das Material auf eine Art und Weise ausgegraben, dass die Schichten vollständig durchmischt sind. (…) Wir werden niemals beweisen können, dass Knochen und Artefakte definitiv zusammengehören."
Ähnlich äußerte sich auch Clovis-Forscher Michael Waters von der Texas A&M University in einer Studie von 2007 [3]. Zwischenzeitlich sei der Erkenntnisstand allerdings weiter fortgeschritten, so Waters, der auch an der aktuellen Studie beteiligt war. "Kurz gesagt, das ist ein Clovis-Begräbnis." Sowohl die Artefakte als auch die Skelettreste seien mit rotem Ocker bedeckt gewesen, was einen starken Hinweis darauf gebe, dass beide zusammen in die Erde gelangten. Die Knochenwerkzeuge seien offenbar durch die Generationen hinweg vererbt worden.
Damit bleibt für die Befürworter der rein asiatischen Immigration das Problem zu klären, wie und wann die Clovis ihre außergewöhnliche Werkzeugtechnologie entwickelten, und für die jetzt noch verbliebenen Vertreter der Solutréen-Hypothese das Problem, warum die Exeuropäer keine auffindbaren genetischen Spuren hinterließen. Eine eindeutigere Bestätigung der genetischen Herkunft der Clovis ist in nächster Zeit allerdings nicht zu erwarten: Weitere Begräbnisstätten der Clovis sind nicht bekannt.
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