Antibiotikaresistenzen: Keine Zeit für hohe Politik
Es ist kein Jahrhundert her, dass die Menschheit mit der Entdeckung der Antibiotika dem jahrtausendelangen Kampf gegen Infektionskrankheiten eine einschneidende Wendung zum Guten gegeben hat. Doch wo viele die Erreger schon dauerhaft besiegt und ein goldenes Zeitalter der Medizin in Reichweite sahen, stehen wir nun am Abgrund: Es droht ein dramatischer Rücksturz in eine Welt, in der Mikroorganismen wieder Herrscher über Leben und Tod sind.
Die Bedrohung, die von den zunehmenden Antibiotikaresistenzen ausgeht, ist existenziell, sowohl für jeden Einzelnen von uns als auch für die Staaten und Gesellschaften selbst. Es liegt nahe, dass die Weltgemeinschaft sich in einem überstaatlichen Gremium zusammentut, um ihr entgegenzutreten. Doch so verlockend die von Mark Woolhouse und Jeremy Farrar beschworene Vision eines Weltantibiotikaresistenzenrates ist, so verfehlt ist der Gedanke (siehe Artikel).
Es ist zwar richtig, dass es Parallelen zwischen Klimawandel und Antibiotikaresistenzen gibt, aber es gibt eben auch erhebliche – entscheidende – Unterschiede. Da ist zum einen der Zeitrahmen: Gletscher schmelzen in Jahrzehnten, Klimazonen verschieben sich über Jahrhunderte, der Meeresspiegel steigt über Millennia. Das ist sehr praktisch für das internationale Ringen um Maßnahmen und eine gemeinsame Linie, dessen Fortschritte den außen stehenden Beobachter gelegentlich an geologische Prozesse gemahnen. Die ersten Resistenzen gegen ein neues Antibiotikum tauchen derzeit binnen weniger Jahre auf.
Und dabei ist der Fall beim Klimawandel noch recht einfach gelagert, denn es gibt tatsächlich einen wissenschaftlichen Konsens, den man der Politik empfehlen kann. Bei Antibiotikaresistenzen ist das weitaus komplizierter. Es fehlen Daten an allen Ecken und Enden. Das Einzige, worauf sich so ein Panel beim derzeitigen Sachstand würde einigen können, wäre erheblicher Forschungsbedarf.
Für die Praxis wäre das ein fatales Signal: Erst gründet man ein großes, multinationales Panel, das der Politik die ultimativen Maßnahmen gegen Antibiotikaresistenzen empfehlen soll, und dann kann die Organisation kaum mehr sagen als: Nichts Genaues weiß man nicht. Die Gefahr ist groß, dass dann die meisten Akteure erst einmal warten würden, bis das Panel mit seinen Empfehlungen zu Potte kommt. Und anschließend müsste man ja noch auf Regierungsebene über diese Empfehlungen beraten – Empfehlungen, deren Datenbasis zu Anfang notwendigerweise dünn und lückenhaft ist. Den Profiteuren des Status quo wäre es ein Leichtes, ein solches Unterfangen auszubremsen – ebenso, wie es im Fall des Klimawandels ja auch versucht wird.
Deswegen sollten die Resistenzbekämpfer lieber die große Politik meiden und die bereits vorhandenen Netzwerke nutzen, um sich international zu koordinieren. Einfluss auf Politik und Unternehmen sollte die Wissenschaft im Zweifel lieber lokal suchen – es gibt, wie Woolhouse und Farrar selbst schreiben, diverse Beispiele für regionale Organisationen und Initiativen. Natürlich hat auch so eine kleinteilige Maßnahmenstruktur Nachteile, aber sie ist weitaus schneller umzusetzen. Und der Zeitfaktor ist hier entscheidend: Ein Wettrennen mit Bakterien muss man anders angehen als eines mit Gletschern.
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