Astrobiologie: Eine universelle Signatur des Lebens
Aliens könnten wir dank einer einzigartigen Signatur entdecken: Die Evolution hinterlässt überall ihren Stempel. Das testeten Forscher jetzt an computersimuliertem Leben.
Die Suche nach außerirdischem Leben steht vor zwei fundamentalen Herausforderungen: Zum einen benötigt man geeignete Instrumente, um einen fremden Planeten oder Mond nach Lebensspuren abzusuchen – dies ist das leichtere der beiden Probleme. Zum anderen müssen die dabei gewonnenen Daten daraufhin analysiert werden, ob sie Anzeichen von Leben aufweisen. Und hier beginnen die eigentlichen Schwierigkeiten.
Denn wie kann man etwas finden, von dem man gar nicht weiß, wie es aussieht? Und welche Bedingungen muss ein Phänomen erfüllen, damit wir bereit wären, in ihm den Ausdruck von Lebendigkeit zu sehen?
Beide Probleme verlangen nach einer Definition des Lebens. Dass diese nicht leicht zu finden ist, demonstriert eine kürzlich erschienene, aufschlussreiche Essaysammlung im Journal "Astrobiology" [1]. Astro- oder Exobiologen – Wissenschaftler also, die nach außerirdischem Leben fahnden – versuchen sich darin an der Frage "Was ist Leben?"
Dass sie dabei nicht zu einer einheitlichen Definition gelangt sind, braucht nicht weiter zu verwundern: Schon auf der Erde sind die Verhältnisse so komplex, dass nicht alle Erscheinungsformen befriedigend unter einen Hut gebracht werden können. Zählen Viren zu den Lebewesen, obwohl sie sich nicht ohne die Hilfe ihrer Wirte vermehren können?
Darwin im Weltall
Eine Kommission der NASA aus dem Jahr 1994 hat sich beispielsweise auf folgende Formulierung geeignet: Leben sei ein "sich selbst unterhaltendes chemisches System, das zu einer Evolution im Sinne Darwins im Stande ist". (Im Originalwortlaut: "... a self-sustaining system capable of Darwinian evolution") Manche Definitionen beziehen zusätzlich noch den Aspekt der Abgeschlossenheit gegenüber der Außenwelt mit ein; ganz so wie wir es von den irdischen Zellen gewohnt sind. Wiederum andere legen Wert auf ein thermodynamisches Schlüsselmerkmal: Jeder Organismus müsse freie Energie aus der Umgebung aufnehmen, um in seinem Innern einen höheren Grad an Ordnung zu schaffen, also sozusagen permanent gegen die Zunahme der Entropie ankämpfen. Für die meisten dieser Bedingungen finden sich diskussionswürdige Gegenbeispiele. Schlimmer aber noch: Es lässt sich nur bei genauer Kenntnis der außerirdischen Lebenskandidaten entscheiden, ob die Kriterien erfüllt sind.
Ein Merkmal der NASA-Definition hingegen könnte nach Meinung eines Wissenschaftlerteams die Anwesenheit von Leben selbst dann entdecken helfen, wenn nicht sicher ist, woraus es überhaupt besteht: die darwinsche Evolution, der alle Lebensformen der Definition zufolge unterliegen müssen. Sie verrate sich durch eine "Biosignatur", die universell genug sei, um sie sogar in einem System künstlich evolvierender Computerprogramme zu entdecken.
Dies demonstrierten jetzt die Forscher um Evan Dorn vom California Institute of Technology in Passadena und Christoph Adami, der am Keck Graduate Institute of Applied Life Sciences im kalifornischen Claremont lehrt, in einem auf dem arXiv-Server veröffentlichten Paper [2]. In jedem evolvierenden System, so ihr Grundgedanke, würden sich die relativen Häufigkeiten der Bausteine gegenüber dem unbelebten Normalfall verschieben: Während bei der zufälligen, abiotischen Synthese beispielsweise von Aminosäuren die Reaktionskinetik entscheidend ist – einfacher zu erzeugende Moleküle liegen in größeren Mengen vor –, würden in Proben aus belebten Substraten bestimmte Bestandteile häufiger oder seltener auftreten als erwartet.
Die "Monomer Abundance Distribution Biosignature"
Grund dafür sei die Evolution: Sie bevorzuge Bausteine, die sich als förderlich erweisen, und entferne oder unterdrücke nachteilige. Zu welcher Kategorie eine gegebene Substanz gehört, braucht der Forscher dabei nicht zu wissen. Entscheidend ist allein, dass es in der Häufigkeitsverteilung der mutmaßlichen Grundbausteine Unregelmäßigkeiten gibt. Die Idee hinter dieser "Monomer Abundance Distribution Biosignature" (zu deutsch: Biosignatur der Häufigkeitsverteilung von Monomeren) veröffentlichte Dorn bereits im Jahr 2003 [3].
Zur Untermauerung ihrer These analysierten die Autoren nun Daten über die Aminosäuren- und Karbonsäurenzusammensetzung von irdischen Sedimentproben (d.h. mit Lebensspuren) und verglichen sie mit solchen aus Meteoriten und Syntheseexperimenten aus dem Labor (keine Lebensspuren). Dabei zeigte sich genau der erwartete Effekt: Bei der künstlichen Herstellung von Aminosäuren entsteht beispielsweise immer ein vergleichsweise hoher Anteil von beta-Alanin. In den Sedimentproben tauchte sie jedoch praktisch gar nicht auf. Bei den Karbonsäuren überwiegen in unbelebten Proben kurzkettige Moleküle; in den Sedimenten waren hingegen längerkettige Moleküle überdurchschnittlich stark vertreten.
Für ihre aktuelle Studie unterzog das Forscherteam die Hypothese einem Test unter verschärften Bedingungen: Würde sich die Signatur der Evolution auch in künstlichen Systemen finden lassen, die zwar funktionale Ähnlichkeiten mit biologischem Leben aufweisen, aber ausschließlich aus Bits und Bytes bestehen? Das Team verwendete dazu die von Adami Anfang der 1990er Jahre entwickelte und seitdem kontinuierlich ausgebaute Software "Avida". Sie überträgt die Prinzipien der darwinschen Evolution – Fortpflanzung, Zufallsmutation und Auslese – auf eine Population simulierter Wesen, die in einem Computer um Prozessorzeit konkurrieren und sich in einer ebenfalls simulierten 2-D-Welt befinden.
Die "Avidianer" bestehen im Wesentlichen aus einer zu einem Ring zusammengeschlossenen Kette von Programmierbefehlen, die nacheinander ausgeführt werden und damit das Verhalten des Kunstwesens bestimmen. In Analogie zum Einzeller betrachten die Entwickler diese Kette als das Genom der Avidianer [4].
Kopieren, kopieren, kopieren
In ihrer einfachsten Form erschöpft sich das Verhalten darin, schrittweise eine Kopie von sich selbst anzulegen, das heißt, die Anweisungskette in einen anderen Teil des Arbeitsspeichers zu schreiben. Allerdings greift die Simulationssoftware in diesen Kopiervorgang ein: Zufallsgesteuert werden manche Codeschnipsel durch andere ersetzt, ihre Reihenfolge wird getauscht oder Befehle werden hinzugefügt beziehungsweise entfernt. In vielen Fällen verlieren die so mutierten Agenten die Fähigkeit zur Selbstreplikation, manchmal bleibt der Eingriff folgenlos.
In einer geringen Anzahl von Fällen gewinnen die virtuellen Einzeller jedoch hinzu, etwa wenn der Zufall dafür sorgt, dass die Befehle in ihrer neuen Anordnung robuster gegenüber den Mutationen sind. Ganz wie in der Natur setzen sich solche positiven Eigenschaften dann auch in der Avidianerpopulation immer mehr durch.
Neben dieser allein durch den Mechanismus der Simulation vorgegebenen, impliziten Selektion hat Adami auch eine Art Zuchtprogramm eingeführt: Die Wesen sind unter anderem mit kleinen Ein- und Ausgabespeichern ausgestattet, in die sie Binärzahlen schreiben können. Darüber hinaus stehen ihnen Befehle zur Verfügung, um Rechenoperationen auf diesen Zahlen auszuführen. Gelingt es ihnen beispielsweise durch Kombination einfacher Befehle (etwa des Operators "Nicht-UND"), eine komplexere logische Operation durchzuführen (beispielsweise "ODER"), werden sie von der Simulation belohnt – sie können ihre Befehle nun schneller als ihre Konkurrenten ausführen und sich daher auch schneller fortpflanzen.
Evolutionsbiologie in silico
Der eigentlich Zweck von "Avida" und ähnlichen "Artificial-Life"-Anwendungen ist es, evolutionäre Prozesse modellhaft durchspielen zu können [5]: Innerhalb kurzer Zeit lassen sich mit wechselnden Parametern ein paar tausend Generationsabfolgen simulieren.
Um nun die Biosignatur ausfindig zu machen, zählten die Wissenschaftler wie oft jeder der rund 60 möglichen Befehle in der gesamten Population auftauchte. Tatsächlich zeigte sich auch hier ein ähnlicher Befund wie bei den Sedimenten: Obwohl alle Befehle mit gleicher Wahrscheinlichkeit durch Mutation in das Genom geraten, waren selbst nach zig Generationen neutrale Anweisungen überdurchschnittlich häufig vertreten. Befehle, die an bestimmten Schlüsselstellen des Kopiervorgangs eingreifen, tauchten hingegen extrem selten auf.
Den Vorteil ihrer Biosignatur sehen Dorn und Adami darin, dass eine grobe Vorstellung von den Grundbausteinen einer außerirdischen Lebensform genügt, um den Test durchzuführen. Es fehlt dann nur noch die abiotische Vergleichsprobe, um den Stempel der Evolution zu entdecken – zumindest in der Theorie, denn wie die Forscher selbst eingestehen, könnten auch gänzlich profane Prozesse das Ergebnis verfälschen.
Undeutliche Anzeichen
Aggressive Umweltbedingungen maskieren beispielsweise die Signatur, wenn sie komplexe Moleküle sofort vernichten, kaum dass sie der Außerirdische ausgeschieden hat. Dieselben Prozesse könnten aber auch ein positives Resultat vorgaukeln, wo sich gar kein Leben findet, etwa weil zur Herstellung der Vergleichsprobe entscheidende chemische Eigenschaften der Planetenoberfläche nicht berücksichtigt wurden.
Dorn und Adami spekulieren daher überhaupt nicht über einen Grenzwert, ab dem eine Abweichung von der Normalverteilung auf Leben hindeutet. Da die Fahndung nach der Biosignatur sowieso immer nur der Anfang der Erforschung eines potenziellen Lebensraums im All sein wird, ist das vielleicht auch überhaupt nicht erforderlich. Sollte sich die These der beiden Forscher auch nach Durchsicht weiterer, extrem diverser Proben aufrechterhalten lassen, hätten Exobiologen immerhin ein Instrument an der Hand, das ihnen Hinweise liefert, aus welchen Stoffen eines untersuchten Planeten die extraterrestrische Lebensform aufgebaut sein dürfte. Und dann könnten wir endlich mit der eigentlichen Suche beginnen.
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