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Atomphysik: Das Proton fällt kleiner aus

In einem Wasserstoffatom tauschten Physiker das Elektron gegen ein ungleich schwereres Myon aus, um so den Kernradius so genau zu bestimmen wie nie zuvor. Das Ergebnis überrascht: Protonen sind nicht so groß wie gedacht.
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Das Wasserstoffatom – ein gebundenes System aus Proton und Elektron – ist seiner Einfachheit halber ein beliebtes Studienobjekt für Physiker. Nicht nur Bohr begründete 1913 sein Atommodell anhand dessen Spektrallinien. Mitte des 20. Jahrhunderts veranlasste das Wasserstoffspektrum auch dazu, eine Quantentheorie des Elektromagnetismus zu entwerfen: Willis Eugene Lamb und sein Student hatten nämlich entdeckt, dass sich zwei Energieniveaus im Atom aufspalten, obwohl sie eigentlich dieselbe Energie besitzen sollten. Erst die Quantenelektrodynamik konnte diese so genannte Lamb-Verschiebung erklären.

Laser | Obwohl die Wissenschaftler insgesamt 250 Mal pro Sekunde auf das Gas feuerten, traf es der Laserpuls nur sechs mal in einer Stunde.
Seither beschreibt die Theorie die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie so exakt wie keine ihrer Vorgänger – und das bis heute. Auch das Wasserstoffatom hat für die Wissenschaft seinen Reiz noch längst nicht verloren. Mittlerweile messen Physiker die Übergangsfrequenzen darin auf 14 Nachkommastellen genau und vergleichen ihre Ergebnisse mit der Theorie. Bei solchen hochpräzisen Experimenten gerät die Quantenelektrodynamik allerdings allmählich an ihre Grenzen.

Exotische Atome

Denn erst wenn ihre Gleichungen mit einem Wert für die Protongröße gefüttert werden, liefert sie Ergebnisse. Bisher hatte man den Wert direkt aus Elektronenstreuung an Protonen oder indirekt aus der Spektroskopie des Wasserstoffatoms gewonnen. Die Unsicherheit der ersten Methode liegt bei rund zwei Prozent. Werte aus spektroskopischen Messungen sind zwar doppelt so genau, leiten sich aber erst mit Hilfe der Quantenelektrodynamik her und setzen deren Richtigkeit damit voraus.

Feinstrukturaufspaltung | Nach der diracschen Theorie besitzen der 2S- und der 2P-Zustand die gleiche Energie. Dass dies nicht der Fall ist, zeigten Lamb und sein Student Retherford im Jahr 1947: Sie wiesen eine winzige Energiedifferenz zwischen den beiden Niveaus nach und belegten damit erstmals einen Effekt der Quantenelektrodynamik experimentell.
Der recht ungenaue Wert für die Protongröße begrenzt derzeit den Abgleich von Theorie und Praxis. Um einen unabhängigen, noch präziseren Wert für den Kernradius – jenen Bereich, in dem sich die meiste Ladung aufhält – zu liefern, schlugen Wissenschaftler vor, das Elektron im Wasserstoffatom durch ein Myon auszutauschen. Dieses negativ geladene Elementarteilchen ist rund 200 Mal massereicher als ein Elektron, was das exotische Wasserstoffatom ungleich kompakter werden lässt.

Das Myon tritt mit dem Proton sehr viel stärker in Wechselwirkung, wodurch der Kernradius mehr Einfluss auf die atomaren Eigenschaften gewinnt. Insbesondere in der Lamb-Verschiebung, der 1947 entdeckten Energiedifferenz zwischen den ersten beiden angeregten Energiezuständen im Atom (2S- und 2P-Zustand), macht er sich bemerkbar. Infolgedessen lässt sich die Größe des Protons hier zehnmal genauer bestimmen als im Fall des gewöhnlichen Wasserstoffatoms.

Gutes Timing

Obwohl diese Idee bereits seit den 1960er Jahren herumgeistert, gelang es Randolf Pohl vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und seine Kollegen nun zum ersten Mal, das Experiment auch in die Tat umzusetzen. Dazu bremsten sie einen Strahl aus Myonen ab und lenkten ihn in eine Kammer voller Wasserstoffgas, wo sich die Teilchen mit den Protonen zusammenschlossen. Rund ein Prozent dieser Paare befand sich tatsächlich im gesuchten 2S-Zustand – allerdings nur für rund eine Mikrosekunde, dann zerfielen die Myonen wieder.

Der Weg der Myonen | In diesem Tunnel wird der Myonenstrahl zu einer mit Wasserstoff gefüllten Kammer geführt (vorne rechts). Die Krümmung ist notwendig, um die ebenfalls im Strahl enthaltenen Elektronen auszusortieren.
In diesem schmalen Zeitfenster musste nun ein maßgeschneiderter Laserpuls auf die Atome treffen, um sie vom 2S- in den nächsthöheren 2P-Energiezustand zu befördern – schließlich wollten die Forscher gerade diese Lamb-Verschiebung messen. Nur wussten sie leider nicht, bei welcher Frequenz das eingestrahlte Licht seinen Zweck erfüllen würde. Also sattelte die Gruppe das Pferd von hinten auf: Sie nahmen den Literaturwert für den Kernradius und schlossen damit auf die Lage der Energieniveaus im myonischen Wasserstoff. "2003 haben wir die ersten Messungen in einem uns sinnvoll erscheinenden Frequenzbereich gemacht – und kein Signal gesehen", berichtet Pohl.

Die Wissenschaftler schoben die misslungenen Experimente damals auf die mangelnde Qualität des Lasers. 2007 und 2009 führten sie den Versuch mit einer verbesserten Lichtquelle durch, blieben aber wieder erfolglos. "Dann haben wir uns gedacht, wenn wir im vernünftigen Bereich nichts finden, dann müssen wir eben im unvernünftigen suchen", erinnert sich Pohl. Eine gute Entscheidung: Wenig später stießen sie auf das lang gesuchte Signal.

Verblüffendes Ergebnis

Insgesamt 250 Mal pro Sekunde feuerten die Wissenschaftler mit dem Laserpuls auf das Gas – und brachten es doch nur auf sechs richtige Treffer in einer Stunde. Die durch den Beschuss erzeugten angeregten Zustände des Wasserstoffatoms fielen unter Emission eines Röntgenquants umgehend in den Grundzustand (1S) zurück und verkündeten so jeden Treffer.

Targetkammer | Hier lässt sich ein Blick in die Targetkammer werfen: Gefüllt ist sie mit Wasserstoffgas bei einem Druck von einem Millibar. Die Myonen treffen an der linken Seite (Mitte) ein. Der Laserstrahl schießt derweil aus der unteren linken Ecke hervor, wird fokussiert und an einem Spiegel (in der unteren rechten Bildhälfte) um 90 Grad abgelenkt – direkt in das Proton-Myon-Gemisch. Zwischen den beiden parallelen Spiegeln entlang des Strahlengangs reflektieren die Laserstrahlen rund 500-mal hin und her. Die schwarzen Rechtecke in der Mitte sind Fotodioden. Sie sollen letztlich die lang gesuchten Signale nachweisen: jene Röntgenstrahlung, die ein angeregtes myonisches Wasserstoffatom emittiert.
Aus der charakteristischen Anregungsfrequenz leiteten Pohl und sein Team schließlich den Kernradius ab. Mit einem überraschenden Ergebnis: Er weicht um vier Prozent vom bisher gültigen Wert ab. Warum das so ist, wissen die Physiker bisher allerdings noch nicht. "Im einfachsten Fall wären natürlich die quantenelektrodynamischen Rechnungen für den myonischen Wasserstoff fehlerhaft", sagt Pohl.

Schließlich sind langwierige und komplexe Rechnungen nötig, um aus den experimentellen Befunden einen Wert für die Größe des Protons zu erlangen. Die verantwortlichen Theoretiker halten das aber für äußerst unwahrscheinlich: Selbst wenn die Rechnungen nicht alle Effekte korrekt berücksichtigen würden, sei der resultierende Fehler viel zu klein, als dass er für die Diskrepanz aufkommen könnte.

Noch alles offen

Geht man davon aus, dass der neu gemessene Kernradius der Realität entspricht, hätte das beispielsweise Folgen für die Rydberg-Konstante, die sich wiederum aus anderen fundamentalen Naturkonstanten zusammensetzt und in den Gleichungen für Atomspektren auftaucht – etwa beim Wasserstoffatom. Bis es so weit ist, wird das überraschende Ergebnis aber noch viele Tests bestehen müssen.

"Die Theoretiker rechnen gerade wie wild nach, um die Ursache für die Diskrepanz zu finden", berichtet Pohl. Zudem sollen in Zukunft neben myonischem Wasserstoff auch entsprechende Heliumatome untersucht werden, um die quantenelektrodynamischen Rechnungen in solchen exotischen Atomen zu überprüfen. Und andere Forschergruppen hätten bereits angekündigt, den Wert der Rydberg-Konstante noch genauer zu bestimmen. Bis jetzt seien aber noch alle Fragen offen.
  • Quellen
Pohl, R. et al.: The size of the proton. In: Nature 466, S. 213–216, 2010.

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