Ausgrabungsmarketing: Herodes in Disneyland
Vor ziemlich genau fünf Jahren, Anfang Mai 2007, verkündete der israelische Archäologe Ehud Netzer auf einer Pressekonferenz stolz, das Grabmal von König Herodes dem Großen (73 – 4 v. Chr.) entdeckt zu haben. Die Aufmerksamkeit der Welt war ihm gewiss. Das Gezerre, das seine Mitteilung auslöste, hatte er wohl nicht erwartet. Denn kaum war die Meldung in der Welt, meldeten die unterschiedlichsten Gruppen ihre Ansprüche an. Shaul Goldstein, der Sprecher eines Verbunds von Siedlungen im Westjordanland südlich von Jerusalem forderte, "den Fundort in den Status einer nationalen und religiösen Stätte zu erheben." Die palästinensische Autonomiebehörde beklagte, die israelischen Archäologen würden Fundstücke aus den besetzten Gebieten nach Israel verschaffen. Und eine Gruppe von orthodoxen Juden, die jüdische Bestattungen vor jedwedem Zugriff schützen wollen, empörte sich grundsätzlich über die archäologischen Arbeiten an einer Grabstätte. Es dauerte nur wenige Tage und der erste Streit um das Grab des Herodes war in vollem Gange. Jetzt, ein halbes Jahrzehnt darauf, ist es wieder so weit: Eine neue Kontroverse hat begonnen. Diesmal protestieren führende Archäologen.
Es gibt kaum ein Land, in dem die Archäologie und der Umgang mit Ausgrabungsstätten derart häufig und heftig debattiert werden wie in Israel. Aktuell spalten sich die Geister an einem Plan der Israel Nature and Parks Authority (INPA), das auf dem Herodion, einem Hügel rund 12 Kilometer südöstlich von Jerusalem, gelegene Grabmal des Königs wieder aufzubauen. Dass die Regierungsbehörde das zweistöckige, rund 25 Meter hohe Mausoleum aus Kunststoff errichten und als Besucherzentrum bereit stellen will, erregt besonderen Unmut unter den führenden Archäologen des Landes.
Zwar sind in Israel und vielen anderen Ländern an Ausgrabungsstätten Modelle von antiken Gebäuden oder auch Rekonstruktionen mit Originalmaterialen nicht ungewöhnlich. Eins-zu-eins-Nachbauten aus modernem Material sind jedoch äußerst selten – und unter Wissenschaftlern verpönt. Ein Forscher, der es vorzog nicht namentlich genannt zu werden, entrüstete sich gegenüber der Tageszeitung Haaretz: "Das ist verrückt! Die Archäologie ist doch nicht Disneyland." Gideon Foerster, Archäologe an der Hebrew University of Jerusalem, der bis zu seiner Emeritierung gemeinsam mit seinem Kollegen Ehud Netzer die Grabungen am Herodion leitete, stößt sich weniger am geplanten Baumaterial, sei Kunststoff doch günstig und könne zudem auch leicht wieder abgebaut werden. Aber: "Ein Mausoleum als Besucherzentrum wieder zu errichten finde ich absolut geschmacklos und falsch."
Shaul Goldstein, der frühere Sprecher des Siedlerverbunds, ist seit Januar als Leiter der für Naturschutzgebiete und Nationalparks zuständigen INPA nunmehr auch Herr über das Herodion. Die Rekonstruktion ist seine Idee. Auf die Einwände seitens der Wissenschaftler reagiert er betont gelassen: "Disneyland lockt jeden Tag 50 000 Besucher an." Natürlich sei auch er dagegen, die Vergangenheit in Zerrbildern darzustellen, befürworte aber zugleich jede Herangehensweise, die es ermögliche "eine Stätte wieder herzustellen." Das Gebäude wieder aufzubauen, sei eine solche Möglichkeit. "Wenn man aber nur einen Haufen Steine sieht, versteht kein Besucher, was das sein soll." Der Archäologe Haim Goldfus von der Ben-Gurion University of the Negev widerspricht: "Das Herodion ist beeindruckend genug. Die neue Konstruktion würde lediglich von der eigentlichen Stätte ablenken."
Imposant ist das Herodion allemal. Rund 90 Meter hoch erhebt sich der von Menschenhand aufgeschüttete kegelförmige Hügel am Rande der Wüste im Westjordanland. Hier ließ Herodes ab zirka 24 v. Chr. die zu ihrer Zeit wahrscheinlich größte Palast- und Festungsanlage im Einflussbereich des Römischen Reichs erbauen. Am Plateau des Hügels thront die mächtige, seinerzeit von Jerusalem aus mit dem bloßen Auge sichtbare Palastfestung. Am Fuße der Aufschüttung befand sich der zweite Teil der riesigen Anlage: Eine Gartenstadt mit einem weiteren Palast, einer über 350 Meter langen und 30 Meter breiten Terrasse sowie einer antiken "Wellness-Oase" mit Badehaus und einem mit Säulengängen gesäumten Wasserbecken. Dieses will Goldstein übrigens auch wieder füllen lassen, "damit Herodes’ Reichtum und die Macht erkennbar werden."
Das dürfte der größte Bauherr des jüdischen Altertums indes kaum nötig haben, hinterließ er der Nachwelt doch eine ganze Reihe an außergewöhnlichen architektonischen Werken. Das bedeutendste war sicherlich der so genannte Zweite Tempel in Jerusalem (streng genommen ist es nach dem salomonischen und dem serubbabelischen der dritte), der im jüdisch-römischen Krieg 66 – 70 n. Chr. die letzte Zufluchtsstätte der Juden war und zuletzt zerstört wurde. Was davon übrig blieb, ist heute als Klagemauer einer der heiligsten Orte des Judentums. Darüber hinaus gründete Herodes die prächtige Hafenstadt Caesarea Maritima und ließ über das Heilige Land verstreut ein Dutzend Festungen entweder ausbauen oder neu errichten: Etwa Masada am Toten Meer oder eben Herodion.
Beliebt war der machtbewusste König bei seinen Untertanen dennoch nicht. Den Juden, besonders den gläubigen, war der Sohn eines Idumäers und einer Araberin schon durch seine Abstammung verdächtig. Dass Herodes sich selbst und damit auch sein Königreich in absoluter Loyalität an das Imperium Romanum band und sogar den heidnischen Göttern der Römer huldigte, förderte sein Ansehen nicht wirklich. Wie weit die Verachtung mancher ging, zeigte sich auch an den Funden in seiner Grabstätte. Im Inneren des Mausoleums von Herodion wurden drei Sarkophage gefunden. Allesamt wurden diese mit Hämmern zertrümmert – wahrscheinlich von jüdischen Kämpfern, die sich im Krieg gegen die Römer rund 70 Jahre nach dem Tod des Königs hier verschanzt hatten. Den Christen wiederum gilt er als "Kindermörder von Betlehem", der aus Angst vor dem Messias Jesus die Tötung unschuldiger Knaben befahl. So berichtet es das Matthäus-Evangelium. An dieser Sache dürfte allerdings nichts dran sein. Ein ziemlicher Tyrann war Herodes dennoch: Vermeintliche wie echte Konkurrenten und Verschwörer ließ er ohne Zaudern ermorden. Selbst seine innig geliebte zweite Ehefrau Mariamne und ihre Söhne lieferte er in einem Anfall von Paranoia Meuchelmördern aus. Kurz vor seinem Lebensende soll der König von Judäa sogar angeordnet haben, dass man bei seinem Tod angesehene Bürger seines Reichs töte, damit das Volk einen Anlass zur Trauer habe. Dieser letzte Befehl wurde allerdings nicht ausgeführt.
Dem modernen Israel gilt Herodes trotz seiner Schattenseiten als eine historische Identifikationsfigur. Zum einen war er einer der letzten und unbestritten der fähigste Herrscher eines eigenständigen jüdischen Staats im Altertum. Zum anderen gehen zwei der bedeutendsten nationalen wie religiösen Weihestätten Israels auf ihn als Bauherrn zurück: die Klagemauer und die Festung Masada, deren Verteidiger lieber den Freitod wählten, denn als Gefangene oder Sklaven den römischen Belagerern in die Hände zu fallen – ein jüdischer, ein israelitischer Mythos. Heute noch schwören Rekruten der israelischen Armee bei ihrer Angelobung: "Masada darf niemals wieder fallen!"
In Masada trat auch der studierte Architekt Ehud Netzer 1963 erstmals den Dienst bei einer Ausgrabung an. Die Archäologie sollte ihn nicht mehr los lassen – König Herodes ebenfalls nicht. Als Israel im Sechstagekrieg das Westjordanland erobert hatte, eröffneten sich den Archäologen des damals noch sehr jugendlichen Judenstaats neue Betätigungsfelder. Netzer blieb auf den Spuren des umstrittenen Königs. 1972 begann er mit den Ausgrabungen am Herodion und blieb ihnen treu – bis an sein Lebensende. Denn das Schicksal zeigt sich mitunter grausam sarkastisch: Ehud Netzer verstarb im Oktober 2010 an den Folgen eines Sturzes – an der Grabstätte von Herodes dem Großen hatte eine Brüstung nachgegeben.
So bleibt dem alten Herrn der israelischen Archäologie der neuerliche Streit um seinen Jahrhundertfund erspart. Bei diesem zeichnet sich unterdessen eine versöhnliche Lösung ab. Die Israel Nature and Parks Authority zeigt sich bereit, den Kritikern entgegenzukommen. Zwar hält Goldstein an seinem Plan fest, das Mausoleum als Besucherzentrum wieder aufzubauen, er hat sich aber bereit erklärt die Empfehlungen eines noch zusammenzusetzenden Expertenrats abzuwarten und zu berücksichtigen, ehe seine Behörde den Bau des Kunsstoffmausoleums veranlasst. Der Archäologe Gideon Foerster hofft weiter: "Vielleicht reicht ihnen ja doch ein kleines Modell."
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