Beschleuniger: Die Weltmaschine von morgen
Als die Teilchenphysiker am 5. Juli 2012 aufwachten, beschäftigte wohl viele eine besondere Frage im Hinterkopf: War der am Vortag bekannt gegebene Fund eines schweren Bosons tatsächlich das vom Standardmodell der Physik vorhergesagte Higgs-Teilchen? Oder ist es vielleicht sogar etwas noch Komplexeres und Interessanteres, das auf eine umfassendere Theorie hindeutet? Die Antworten darauf könnten die Zukunft der Teilchenphysik definieren.
Viele Physiker hoffen – und erwarten –, dass ihnen der Large Hadron Collider (LHC) in Genf in den nächsten Jahren ein paar Antworten liefern wird. Dennoch verfeinern sie bereits ihre Verkaufstaktiken, um eine Nachfolgemaschine für den LHC zu erhalten: eine Higgs-Fabrik, die eine neue Theorie mit deutlich präziseren Messungen als heute ausleuchten könnte.
"Wir wissen, dass es eine neue Physik jenseits des Standardmodells geben muss", erklärt Barry Barish vom California Institute of Technology in Pasadena. Das sei garantiert, argumentieren er und einige Kollegen, durch bestimmte Phänomene, die kaum ins gängige Standardmodell passen, wie das unsichtbare Gerüst an Dunkler Materie, das ein Viertel der gesamten Massendichte des Universums ausmachen soll, oder dass Neutrinos problemlos von einer Form zur anderen wechseln können. Barish leitet das weltweite Konsortium, das den International Linear Collider (ILC) entwickelt: einen der Kandidaten für die nächste Weltmaschine. Verschiedene Planungstreffen wie vom 10. bis 12. September in Krakau oder im Juni 2013 in den USA sollen die Forschungsprioritäten der Teilchenphysiker für die nächsten Jahre festzurren.
Pläne sind eine Sache, die Realität aber eine andere: In Zeiten wirtschaftlicher Krisen werde es eine gewaltige Herausforderung, überhaupt einen neuen Teilchenbeschleuniger finanziert zu bekommen, warnt Christopher Llewellyn-Smith von der University of Oxford und ehemaliger Direktor am CERN. "Es hängt davon ab, welche weiteren Teilchen im LHC detektiert werden, ob die neue Anlage einstimmig von der gesamten Physikergemeinschaft unterstützt wird und wie viel sie letztendlich kostet. Selbst wenn die theoretischen Überlegungen genauso fundiert sind wie beim LHC und die Kosten gedeckt sind, wird das ein harter Job", erklärt er.
Der LHC lebt
Zu den zentralen Fragen gehört, wie weit die LHC-Teams gehen können, um die Eigenschaften ihres neuen Teilchens messen zu können. Die beteiligten Physiker dürfen jedenfalls in den nächsten zehn Jahren noch viel mehr Daten und entscheidende Aufrüstungen an ihrem Gerät erwarten. Und sie konnten schon eine gute Nachricht verkünden: Die Masse des Higgs-Bosons liegt mit rund 125 Gigaelektronvolt (GeV) am leichten Ende der Gewichtsspannweite, die Theoretiker geschätzt hatten. Das hat zwei wichtige Folgen, denn es bedeutet, dass schon ein relativ bescheidener neuer Teilchenbeschleuniger Higgs-Partikel in Massen produzieren könnte. Und es stattet das neue Teilchen mit vielfältigen Zerfallsmöglichkeiten aus, so dass die Forscher einfacher seine Wechselwirkungen mit anderen Bestandteilen des Standardmodells vergleichen können.
Vorrangig wollen die Wissenschaftler zum Beispiel prüfen, wie das Higgs mit den Fermionen des Standardmodells interagiert, also mit Elektronen, Myonen und Quarks, deren Spin-Quantenzahl 0,5 beträgt. Die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung mit jedem Teilchen sollte proportional zu dessen Masse sein – nicht zuletzt weil laut Standardmodell erst diese Interaktion mit dem Higgs-Teilchen die eigentliche Masse erzeugt. Als zweite Priorität gilt es zu testen, ob der eigene Spin des neuen Teilchens dem Wert 0 aus dem Standardmodell entspricht. Die LHC-Physiker können bereits sagen, dass das neue Teilchen ein Boson ist, das einen Spin von 0, 1, 2 oder einer anderen ganzen Zahl aufweisen muss. Einen Spin von 1 können sie bereits ausschließen, da die Bosonen in Photonenpärchen zerfielen, die ebenfalls jeweils Bosonen und folglich Spin-1-Teilchen sind. Noch kein Physiker habe bislang verrückte Theorien aufgestellt, die Bosonen mit einem Spin von mehr als 2 einschließen, sagt Albert de Roeck vom CERN, der den Compact Muon Solenoid Detector am LHC koordiniert. Deshalb versuchten die Forscher nun festzustellen, ob es sich um ein Spin-2- oder Spin-0-Boson handele wie vorhergesagt.
Der LHC werde diese Frage klären, betont Rolf Heuer, der Generaldirektor des CERN. Noch unklar sei aber, wie weit seine Maschine gehen könne, um die Verbindungen zwischen dem Boson und anderen Teilchen aufzulösen – vor allem, was dem Higgs die eigene Masse verleiht. Bislang können die beteiligten Physiker nur belegen, dass sich die Wechselwirkungen des Higgs-Boson mit anderen Teilchen innerhalb der gegenwärtigen Messunsicherheiten von 30 bis 40 Prozent einigermaßen konsistent zu den Vorhersagen des Standardmodells verhalten. Laut de Roeck dürfte der Beschleuniger diesen Wert auf etwa 20 Prozent bis zum Ende 2012 drücken; innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre liegen sogar "sehr wenige Prozent" im Bereich des Möglichen.
Aber genau aus diesem Grund fordern viele Physiker einen neuen Teilchenbeschleuniger. Ein wirklich bindender Test des Standardmodells – der auch winzigste Abweichungen offenlegen und so den Weg zu einem noch besseren Theoriegebäude zeigen würde – verlangt Messgenauigkeiten der Higgs-Wechselwirkungen von maximal ein Prozent Abweichung. Optimal wären sogar Werte bis 0,1 Prozent, sollten sich die theoretischen Vorhersagen in den nächsten Jahren ebenfalls verbessern. Und das ist ein Niveau, das der LHC kaum erreichen kann.
Der Grobklotz unter den Maschinen
Denn die Maschine arbeitet wie ein Vorschlaghammer: In ihr prallen Ströme aus hunderten Milliarden Protonen auf einem Energieniveau zusammen, das sieben Teraelektronvolt (TeV) pro Strahl erreicht. Das begünstigt die Entdeckung neuer schwerer Teilchen, erschwert aber präzise Messungen, denn die Protonen bestehen aus einem chaotischen Schwall aus Quarks und Gluonen, die die Kollisionen chaotisch machen.
Stattdessen rufen die Physiker in ihren Anträgen nach einer Art Leptonen-Beschleuniger, denn die Leptonen – eine Gruppe leichter Partikel wie Elektronen, Myonen oder Neutrinos – entgehen dem Chaos, weil sie nicht an den starken Quark-Gluon-Interaktionen beteiligt sind, die wiederum diese Unordnung produzieren. Leptonen sind Elementarteilchen, die nur relativ gering über elektromagnetische und schwache Kräfte aufeinander einwirken. Deshalb funktionieren Leptonen-Beschleuniger eher wie Skalpelle und nicht wie Presslufthämmer: Ihre Zusammenstöße lassen sich fein auf die Masse des jeweiligen Teilchens einstellen, und die entstehende Wolke aus Teilchen wäre vergleichsweise sauber und einfach zu interpretieren.
Um Kosten zu sparen, plädieren einige Physiker dafür, die Röhren des neuen Beschleunigers einfach neben die des LHC zu setzen und darin gegenläufige Strahlen von Elektronen und Positronen kollidieren zu lassen. Dieser Vorschlag – als LEP3 bezeichnet (zu Ehren des Large Electron-Positron Colliders, der vor dem LHC den Tunnel unter Genf einnahm) – kam erst letztes Jahr auf, als sich erste Belege für das neue Teilchen ansammelten. LEP3 könnte Higgs-Bosonen mit nur 120 GeV pro Strahl erzeugen – einer Gesamtenergie von 240 GeV: Verglichen mit dem ursprünglichen LEP-Maximum von 209 GeV müsste er also nur einen kleinen Zahn zulegen. Neuere technische Entwicklungen könnten die Produktionsrate noch weiter steigern, denn sie ermöglichen eine Kollisionsrate, die 500-mal größer ist als die des ursprünglichen LEP.
"Jetzt ist es vielleicht an der Zeit, dass Europa sich dafür revanchiert"
Lyn Evans
Baute man LEP3 in den bestehenden LHC-Tunnel, könnten die Forscher nicht nur einige der Detektoren wiederverwerten, sondern auch die Infrastruktur des CERN nutzen, etwa die Stromversorgung oder die Datenverarbeitung. Diese Synergieeffekte brächen die geschätzten Kosten von LEP3 herunter auf ein bis zwei Milliarden Dollar – weit weniger als die sechs Milliarden Dollar, die der LHC am Ende gekostet hat. "Der Vorschlag hat etwas Überzeugendes", betont LEP3-Befürworter Alain Blondel von der Universität Genf. Er verweist darauf, dass ohnehin genügend Platz für den Leptonen-Beschleuniger vorhanden sei, ohne dass man den LHC entfernen müsse: Ursprünglich wurde der Tunnel darauf ausgelegt, beide Beschleuniger gleichzeitig aufzunehmen.
Myonen oder Elektronen
Allen Vorteilen als hochproduktive Higgs-Fabrik zum Trotz besitzt LEP3 jedoch auch einen großen Nachteil: Damit können keine Partikel untersucht werden, die schwerer als ein Higgs-Teilchen sind. Und das würde zum Problem, wenn das LHC weitere schwere Teilchen entdeckt, die Theoretiker anhand der Supersymmetrie prognostizieren, beziehungsweise wenn der Beschleuniger sogar Hinweise auf weitere Dimensionen liefern sollte. Es ist praktisch unmöglich, das Energieniveau von LEP3 so weit hochzuschrauben, dass er auch das Studium schwererer Teilchen erlaubt, da es dabei zum Verlust an Synchrotronstrahlung käme: jener elektromagnetischer Wellen, die Elektronen oder Positronen "ausstoßen", wenn diese durch ein Magnetfeld rasen und abgelenkt werden.
Bei den Protonen des LHC ist dies kein Problem, da Energieverluste durch Synchrotronstrahlung bei Teilchen höherer Masse drastisch abnehmen und Protonen 2000-mal so schwer sind wie Elektronen; beim LEP3 wäre dies aber schwer wiegend. Das Energieniveau des Beschleunigers ließe sich nur steigern, wenn sein Radius großer würde – was nicht ohne einen weiteren Tunnel ginge. Einige Physiker hatten deshalb schon vorgeschlagen, eine neue Röhre auch unter den Genfer See zu bohren, um eine Elektron-Positron-Maschine mit 80-Kilometer-Radius zu installieren. In absehbarer Zukunft sähe er dafür aber keine Chance, meint Heuer.
Rund um die Welt erörtern daher viele Wissenschaftler alternative Konzepte für die Higgs-Fabrik, die mit einem Umfang von 1,5 Kilometern deutlich kleiner wäre als der LEP3. Darin stoßen Myonenströme zusammen, die die 207-fache Masse eines Elektrons besitzen, ohne dass es dabei zu nennenswerten Synchrotronstrahlungsverlusten kommt. Zehntausende Higgs-Bosonen könnten dabei entstehen, obwohl die gesamte Kollisionsenergie nur 125 GeV und nicht 240 GeV wie beim LEP3 beträgt. Außerdem könnten die Techniker die Energiemengen so weit hochdrehen, dass sich auch schwerere Teilchen untersuchen lassen.
Ein Myonen-Beschleuniger trägt allerdings sein eigenes Bündel an Problemen. So zerfallen die Myonen bereits nach 2,2 Mikrosekunden in Elektronen, Myonneutrinos und Anti-Elektronneutrinos – was prinzipiell eine lange Lebensdauer im subatomaren Reich mit seinen milliardsteln Nanosekundenbereichen darstellt, das bedeutet für Ingenieure praktisch unmittelbar. Man müsste die Myonen produzieren, indem man einen Protonenstrahl in ein metallisches Ziel jagt, das Ergebnis dann in einen geregelten Strahl umwandelt und anschließend auf die nötige Energie beschleunigt. Und das alles muss innerhalb eines Zeitrahmens geschehen, der kürzer als ein Wimpernschlag andauert. Das Muon Ionization Cooling Experiment (MICE) am Rutherford Appleton Laboratory nahe Oxford geht diese Herausforderung immerhin an. Bis 2016 sollen Ergebnisse vorliegen und das Verfahren soll ausgereift sein, so dass es das CERN nutzen kann, um eine Neutrinoproduktion zu beginnen, die Strahlen aus Myonneutrinos durch die Erde zu Detektoren zu schicken, die tausende Kilometer entfernt stehen.
Der Linearbeschleuniger
Dennoch sind viele Physiker skeptisch. "Ich bezweifle, dass ich noch während meines Lebens einen Myonen-Beschleuniger sehen werde", sagt Brian Foster von der University of Oxford. "Wir versuchen seit mehr als zehn Jahren, Myonen zu 'kühlen', was einfach nur extrem schwierig ist." Foster ist der europäische Regionaldirektor für das konkurrierende Projekt eines linearen LEP-Beschleunigers: ein langer, gerader Elektronenbeschleuniger, der direkt auf die Röhre eines genauso langen und geraden Positronen-Beschleunigers feuert, so dass sich ihre Strahlen genau in der Mitte treffen. Da es keine Kurven gibt, entstehen auch keine Verluste durch Synchrotronstrahlung. Außerdem kann man sie beliebig oft aufrüsten, indem man einfach ihre Endpunkte verlängert.
Erstmals tauchte diese Idee in den 1980er Jahren auf, die schließlich in zwei Konzepten mündeten. Der ILC etwa wäre 30 Kilometer lang und würde in der Praxis erprobte Technologien nutzen, um eine Energie von 0,5 TeV zu erreichen – mit der Möglichkeit, auf 2 TeV aufzustocken. Kostenpunkt: etwa 6,7 Milliarden Dollar. Der vom CERN favorisierte Compact Linear Collider (CLIC) erstreckte sich dagegen auf 50 Kilometer, würde aber auf neue Beschleunigertechnologien setzen, mit denen er auf eine Gesamtenergie von 3 TeV käme. Dessen Kosten sind bislang noch völlig unklar, aber immerhin eröffnet sein Energieniveau völlig neue Entdeckungsmöglichkeiten und präzisere Messungen. Um Kräfte zu bündeln, arbeiten Teilchenphysiker von ILC und CLIC unter Federführung des ehemaligen LHC-Direktors Lyn Evans daran, einen Vorschlag für einen einzigen Linearbeschleuniger bis 2015 auszuarbeiten.
Vernünftigerweise beginnt man mit einem Linearbeschleuniger, der 250 GeV erreicht, um damit das Higgs-Boson zu testen; anschließend wird dann die Energie schrittweise bis zu einem Wert von 500 GeV gesteigert, denkt Evans. Dann könnte er Higgs-Boson-Paare erzeugen, die Forscher hinsichtlich ihrer Bindungseigenschaften untereinander und Wechselwirkungen mit dem schwersten Materiateilchen überhaupt – dem top-Quark – untersuchen können. Höhere Energielevel sind dabei technisch machbar, verschlingen aber mehr Elektrizität, etwa die Produktionskapazität eines mittleren Kraftwerks. "Die Obergrenze für eine derartige Anlage liegt wohl im Bereich der maximal möglichen Energieversorgung am CERN. Gegenwärtig sind dies 300 Megawatt", so Evans.
Wo soll aber dieser Leptonen-Beschleuniger stehen? Die Faustformel lautet, dass das gastgebende Land etwa die Hälfte der Kosten übernimmt – in Erwartung langfristiger wirtschaftlicher Gewinne. Das ökonomische Umfeld erschwert momentan jedoch diese Argumentation, was vor allem für Projekte gilt, die in den Augen von Politikern kaum kurzfristige Vorteile für ihre Wähler versprechen.
Globalisierung der Beschleuniger
Sollte tatsächlich ein neuer Linearbeschleuniger in den nächsten Jahren beschlossen werden, so werde er wahrscheinlich nicht in Genf gebaut, denkt Evans. Trotz der überwältigenden technischen und politischen Infrastruktur hat das CERN noch lange genug mit dem LHC zu tun, der zudem frühestens 2014 seine maximale Energie von 7 TeV erreicht. Sogar erst für 2022 ist der Höhepunkt seiner schöpferischen Brillanz anvisiert.
Unwahrscheinlich sei auch, dass die USA zum Zuge kommen, vermutet Pier Oddone, der Direktor des Fermilabs: "Da müsste schon ein drastisches Umdenken einsetzen." Nachdem der Tevatron-Beschleuniger des Fermilabs geschlossen wurde, verlagerte sich der Schwerpunkt der Hochenergieteilchenphysik nach Europa. Die amerikanischen Forscher konzentrieren sich hingegen auf das Intensitätsgebiet und untersuchen, wie sich seltene Teilchen untereinander verhalten, indem sie beispielsweise intensive Neutrinoströme produzieren. Und dennoch, so Oddone, "wurde unser Budget dieses Jahr stark gekürzt, und wir hatten Schwierigkeiten, eine Einrichtung standesgemäß zu betreiben, die nur ein Zehntel des ILC kostet". Außerdem sei es "sehr schwierig" zurzeit, dass die USA nennenswert zu einem Leptonen-Beschleuniger beitragen könnten, der andernorts gebaut wird.
"Wahrscheinlich entscheidet darüber ein Telefongespräch zwischen einem Präsidenten und einem Ministerpräsidenten"
Pier Oddone
Viele Beobachter denken daher, dass Japan der aussichtsreichste Kandidat für den Standort der zukünftigen Maschinen sein wird. Das Land habe zum Beispiel Mitte der 1990er Jahre einen gewichtigen Beitrag zum LHC geleistet, als dieser in finanzielle Schwierigkeiten geriet. "Jetzt ist es vielleicht an der Zeit, dass Europa sich dafür revanchiert", meint Evans. Der japanische Premierminister äußerte sich im letzten Dezember ebenfalls positiv über ILC, kurz nachdem die vorläufigen Ergebnisse zum neuen Boson veröffentlicht wurden. Und es gibt sachte Hinweise auf zusätzliche Fördergelder, da der neue Beschleuniger als Teil eines größeren Wirtschaftsplans diskutiert wird: Er soll die im letzten Jahr von einem Erdbeben und Tsunami verwüstete Region ökonomisch wieder auf die Beine bringen.
Die Maschine soll als Dreh- und Angelpunkt einer "internationalen Stadt" dienen, die weitere Forschungseinrichtungen, Industriegebiete und Bildungszentren umfasst. Und schließlich blieb der ILC auf der Wunschliste japanischer Teilchenphysiker weiterhin ganz oben, als sie ihren neuesten Fünf-Jahres-Plan vor Kurzem aufgestellt hatten.
Kann man den ILC also als sichere Wette bezeichnen? "Guter Gott, nein!", ruft Foster aus. "Aber er ist unsere größte Chance, die wir seit langer Zeit haben." Womersley schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass die Maschine gebaut wird, auf 50 zu 50. "Wir sollten die Fianzierung nicht als gegeben betrachten, nur weil das Higgs gefunden wurde." Zehn Jahre würde es vom Spatenstich bis zum funktionsfähigen ILC dauern, schätzt Oddone; dazu käme die Vorbereitungszeit. "Wir sprechen also frühestens über das Jahr 2025. Aber wer startet schon ein derartiges Projekt, bevor bekannt ist, was der LHC noch entdecken könnte? Vielleicht existieren ja noch Dinge, die viel exotischer als das Higgs-Boson sind."
Insgesamt träumen viele Teilchenphysiker von einer Gesamtkonstellation, die alle drei Bereiche umfasst: Das LHC forscht an der Hochenergiefront in Europa, verschiedene Neutrinoexperimente in den USA gehen die Intensitätsgrenze an, und ein neuer Leptonenbeschleuniger in Japan nagelt alle Details weiterer exotischer neuer Teilchen fest, die das LHC bislang nicht detektiert hat. Ob dieser Traum jedoch wahr wird, hänge nicht nur von den Wissenschaftlern ab, denkt Oddone: "Wahrscheinlich entscheidet darüber ein Telefongespräch zwischen einem Präsidenten und einem Ministerpräsidenten."
Der Originaltext erschien unter dem Titel "The new particle landscape" in Nature 488, S. 572-575.
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