Angelsachsen: Der rätselhafte Riese von Cerne Abbas
Der ithyphallische Gott der Angelsachsen
Mit Hacken hatte man einst die Umrisse der Figur in die Grasnarbe geschlagen und anschließend mit Kreide verfüllt: Auf 55 Meter Länge erstreckt sich das Bild des nackten Keulenschwingers. Mit breiter Brust und deutlich erigiertem Glied prangt er bis heute auf einem Hang bei Cerne Abbas in der Grafschaft Dorset im Südwesten Englands. Das berühmte Scharrbild hat erstmals 1694 ein Kirchenvorsteher in einem Dokument erwähnt – er hatte die Figur restaurieren lassen –, die genaue Entstehungszeit war bisher jedoch unbekannt.
Nun haben Archäologinnen und Archäologen des englischen National Trust mit Hilfe naturwissenschaftlicher Datierungsmethoden festgestellt, dass die Figur irgendwann zwischen 700 und 1100 angelegt wurde, also in der späteren angelsächsischen Zeit. Das Forscherteam hatte Sedimentproben aus den tiefsten Schichten der Konturen genommen und per optisch stimulierter Thermolumineszenz datiert.
Mit dem Ergebnis hätten die Wissenschaftler nicht gerechnet. »Viele Archäologen und Historiker gingen davon aus, dass [das Scharrbild] prähistorisch oder nachmittelalterlich ist, aber nicht mittelalterlich«, sagt der am Projekt beteiligte, freischaffende Geoarchäologe Mike Allen laut einer Pressemitteilung. Zu jener Zeit, als die Figur entstand, im Jahr 987 war nahebei das Kloster von Cerne gegründet worden. »In einigen Quellen wird die Vermutung geäußert, dass die Abtei errichtet wurde, um die Bewohner vom Glauben an einen frühen angelsächsischen Gott namens Heil oder Helith abzubringen«, sagt Martin Papworth, Archäologe beim National Trust. Womöglich sollte der Riese von Cerne Abbas ursprünglich diesen Gott darstellen.
Damit die riesige Männerfigur nicht zuwächst, wird sie regelmäßig frei gelegt und erneuert. Zuletzt kratzten Arbeiter des National Trust zusammen mit Freiwilligen im Jahr 2019 die Konturen frei und brachten neue Kreide aus.
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