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Tierische Superkräfte: Die Seehundlaus ist die Königin des Klammergriffs

Die winzigen Parasiten können sich mit dem 18 000-Fachen des eigenen Körpergewichts am Fell ihrer Wirte festklammern. Damit zeigen sie enorme Haltekräfte – womöglich die höchsten im Tierreich.
Die Kralle der Seehundlaus unter dem Mikroskop

Wie ein Karabinerhaken

Die größten Kräfte scheinen oft in den kleinsten Lebewesen zu stecken – zumindest im Verhältnis zu ihrer Körpergröße. Der Teuflische Eisenplattenkäfer (Nosoderma diabolicum) hat einen derart stabilen Rückenpanzer, dass es ihm nichts ausmacht, von einem Auto überrollt zu werden. Und die Fäden der Spinne Caerostris darwini gelten als das reißfesteste Material der Erde. Nun fügt eine Forschungsgruppe der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel den tierischen Rekorden einen weiteren hinzu. Das Team konnte in Laborexperimenten zeigen, dass die Seehundlaus (Echinophthirius horridus) sich mit dem 18 000-Fachen ihres eigenen Körpergewichts an den Haaren ihrer Wirtstiere festklammern kann. »Damit weisen die Seehundläuse die höchsten Haltekräfte auf, die unseres Wissens jemals bei Insekten gemessen wurden«, schreiben die Forscher in der im Fachjournal »Communications Biology« veröffentlichten Arbeit.

Insekten sind die vielfältigste und artenreichste Tiergruppe der Erde, sie kommen in fast allen Lebensräumen vor. Trotz ihrer weiten Verbreitung an Land ist ihr Vorkommen im Meer erstaunlich gering. Es existiert nur eine einzige Insektengruppe mit lediglich 13 Arten, die über längere Zeiträume im offenen Meer überleben kann. Eine davon ist die Seehundlaus. Der nur zwei Millimeter große Parasit befällt marine Wirtstiere wie Seehunde oder Kegelrobben, hält sich in deren Fell fest und saugt ihr Blut. Doch auch wenn das Tierchen im ersten Moment unscheinbar wirkt, offenbart es auf den zweiten Blick wahre Superkräfte. Die Seehundlaus übersteht festgeklammert am Wirtstier tiefe Tauchgänge, extremen Salzgehalt, Sauerstoffmangel, große Temperaturschwankungen und verliert auch bei hohen Schwimmgeschwindigkeiten nicht den Halt. Ließe sie sich bei Schwimmgeschwindigkeiten von etwa 18 bis 20 Kilometern pro Stunde abschütteln, würde das den Verlust ihres Lebenselixiers und damit den sicheren Tod der Laus bedeuten. Deshalb setzt sie alles daran, sich sicher und dauerhaft festzukrallen.

»Parasiten wie die Seehundlaus sind perfekt an die Lebensbedingungen im Meer angepasst und verfügen über außergewöhnliche Werkzeuge, um sich am Fell von Robben festzuklammern«, erklärt Biologin und Erstautorin Anika Preuss laut einer Pressemitteilung der Universität Kiel. Im Gegensatz zu anderen Läusearten, die sich von außen an ihre Wirtstiere heften, verwenden Seehundläuse eine stark modifizierte Krallenmechanik vergleichbar mit Karabinerhaken. Das System erlaubt es ihnen, sich einerseits dauerhaft am Fell des Wirtstiers festzuklammern, sich aber andererseits auch wieder von diesem zu lösen. Neben klingenartigen Strukturen auf der Innenseite ihrer Krallen, die in das Robbenhaar eindringen und für einen besseren Halt sorgen, besitzt die Laus weiche, polsterartige Strukturen an der Innenseite, die wie eine Art Gummiring funktionieren. Ist die Kralle geschlossen, kommen die weichen Pads in direkten Kontakt mit dem Seehundhaar und erhöhen dabei die Reibung, so dass die Laus nicht einfach vom Fell des Seehunds abrutschen kann. »Ein System, das ziemlich effizient unter Wasser und zudem bei sehr stark variablen Haardurchmessern funktioniert«, erklärt Preuss.

Für die morphologischen Untersuchungen analysierten die Kieler Forscherinnen und Forscher die Läuse mit einem Rasterelektronenmikroskop sowie einem konfokalen Laser-Scan-Mikroskop. Darüber hinaus führten sie Kraftmessungen an lebenden Läusen durch und verglichen ihre Ergebnisse mit den Verklammerungssystemen von parasitären und nichtparasitären Insekten. Dazu befestigten die Wissenschaftler die Seehundläuse über ein menschliches Haar an einem Kraftmessgerät, brachten sie mit dem Fell als Anheftungssubstrat in Kontakt und zogen anschließend in vertikaler Richtung an den Insekten, bis sie sich vom Fell lösten. Forschende der Tierärztlichen Hochschule Hannover analysierten zudem histologische Schnitte der Läuse und stellten Informationen zur Ökologie und dem Verhalten der Tiere zur Verfügung.

Die Ergebnisse der neuen Studie tragen zum einen dazu bei, die funktionalen Anpassungen von Parasiten an Meeressäuger besser zu verstehen. Zum anderen lassen sich die Erkenntnisse möglicherweise auch auf die Materialwissenschaft übertragen. »Der Klammermechanismus könnte uns Hinweise für Innovationen im Bereich der Unterwasser- oder Universalgreifer liefern«, sagt Stanislav Gorb, Leiter der Arbeitsgruppe Functional Morphology and Biomechanics an der Universität Kiel. »Die Parasiten zeigen uns dafür hoch spezialisierte Mechanismen und Strukturen.« Als Nächstes wolle man sich nun die Muskulatur der Seehundlaus anschauen, die an der Anheftung beteiligt ist, um weitere Mechanismen aufzudecken, die den Superkräften zu Grunde liegen.

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