Mikroskopie: Eine Landkarte der Netzhaut
Atlas der Gewebe
Wie die menschliche Netzhaut wächst, wann sich wo welche Zelltypen bilden und welche Proteine in dem Gewebe stecken, haben Forschende mit Hilfe eines neuartigen bildgebenden Verfahrens sichtbar gemacht. Damit lassen sich deutlich mehr Informationen abbilden, als es bislang möglich war. In Zukunft soll die Methode helfen, die Entstehung von Krankheiten besser zu verstehen und Therapien zu entwickeln. Ihren Netzhaut-Atlas veröffentlichte die Schweizer Arbeitsgruppe um Philipp Wahle, Barbara Treutlein und J. Gray Camp im Fachblatt »Nature Biotechnology«.
Für ihre Studie nutzten die Fachleute der ETH Zürich und der Universität Basel die Netzhautprobe eines Menschen; um das Wachstum der Netzhaut abzubilden, aber vor allem Organoide – Gewebeklumpen, die im Lauf von 39 Wochen aus menschlichen Stammzellen gezüchtet wurden. Die neue Methode, eine Art der Fluoreszenzmikroskopie namens 4i (abgekürzt für »iterative indirect immunofluorescence imaging«), ermöglicht es, in Gewebeproben mehr als 50 verschiedene Proteine sichtbar zu machen.
Mit herkömmlichen Techniken ließen sich bisher maximal fünf Proteine abbilden. Für das neue Verfahren nutzen die Forschenden hingegen mehrere Farbstoffe wie folgt: Sie färbten bestimmte Proteine ein, dokumentierten den Zustand und spülten die Probe wieder aus. Diesen Vorgang wiederholten sie 18-mal im Lauf von 18 Tagen. Am Ende fügen sie die Mikroskopaufnahmen am Computer zu einem Bild zusammen. Die Farben und Farbtöne markieren darauf die unterschiedlichen Proteine und somit unterschiedliche Gewebetypen. Im hier gezeigten Querschnitt eines Organoids sind mehr als 30 verschiedene Gewebearten zu sehen, darunter Fotorezeptoren wie Stäbchen- und Zapfenzellen sowie verschiedene Nervenzelltypen der Netzhaut. Zudem ergänzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihren Netzhaut-Atlas mit Informationen darüber, welche Gene in den einzelnen Zellen abgelesen werden.
Die Mikroskopbilder zeigen gesundes Gewebe in einer Netzhaut. Wie aber entstehen Krankheiten, und wie könnten entsprechende Bilder helfen, Therapien zu entwickeln? Dafür plant die Forschergruppe, Organoide beispielsweise genetisch zu verändern, wie es Mitautor J. Gray Camp von der Universität Basel laut einer Pressemitteilung erklärt: »Damit werden wir neue Einblicke gewinnen in Krankheiten wie Retinitis pigmentosa, die vererbbar ist und bei der die lichtempfindlichen Rezeptoren der Netzhaut in einem schleichenden Prozess degenerieren, bei dem Betroffene erblinden.«
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