Biodiversität: Schützen statt Wiederbeleben!
"Wir werden die Mammuts wiederbeleben!" Mit starken Worten unterstrich der Umweltaktivist Stewart Brand im Februar auf der TED-Konferenz im kalifornischen Long Beach seine Vision, ausgestorbene Arten wieder zum Leben zu erwecken. Mammuts sind dabei nicht die einzigen, die Brand und andere Mitstreiter wiederbeleben wollen. Die Wandertaube, die karibische Mönchsrobbe und der Riesenalk sind unter den weiteren Kandidaten – alles Arten, an deren Aussterben der Mensch mindestens mitschuldig ist. "Menschen haben in den letzten 10 000 Jahren ein riesiges Loch in die Natur gerissen", sagt Brand. "Wir haben nun die Möglichkeit – und vielleicht auch die moralische Pflicht – einen Teil des Schadens zu reparieren."
Noch vor wenigen Jahren waren solche "Wiedererweckungen" pure Sciencefiction. Nun sind sie so greifbar geworden, dass Brands Long Now Foundation, zusammen mit TED und der National Geographic Society dem Thema eine ganze Konferenz gewidmet haben. Tatsächlich könnten Forscher bald in der Lage sein, jegliche ausgestorbene Art wieder ins Leben zurückrufen – dank Fortschritten in der biotechnologischen Forschung, darunter verbesserten Methoden bei der Klonierung und der Sequenzierung alter DNA.
Das allerdings heißt noch lange nicht, dass sie es auch tun sollten. Die Idee, ausgestorbene Arten "zurückzuholen", birgt natürlich einen positiven Aha-Effekt und lässt einen die sonst düsteren Nachrichten aus der Welt des Artenschutzes für eine Weile vergessen. Angesichts der begrenzten Zahl an Experten und beschränkten Finanzmitteln droht diese Bewegung aber die Aufmerksamkeit von der globalen Biodiversitätskrise abzulenken. Etwa 20 000 Arten sind derzeit vom Aussterben bedroht, berichtete die International Union for the Conservation of Nature (IUCN) im Jahr 2012. Derzeit verschwinden Arten so rasant – meist auf Grund von Bejagung und Lebensraumzerstörung –, dass der Trend bereits als sechstes Massenaussterben bezeichnet wird. Es steht damit in einer Reihe mit den bisherigen Massenaussterben der Erdgeschichte, darunter jenes am Ende des Tertiär vor 65 Millionen Jahren, das die Dinosaurier hinwegraffte. Ein Programm, das ausgestorbene Arten wiederbeleben soll, könnte in der Öffentlichkeit die falsche Erwartung wecken, dass moderne Technologien allein unsere anhaltenden Umweltprobleme lösen können – eine Art implizite Zusicherung, dass wir eine verlorene Art mit einem Fingerschnipsen zurückzaubern können.
Ironischerweise folgte die Konferenz zur Wiederbelebung von Arten unmittelbar auf die CITES-Konferenz in Bangkok, bei der sehr deutlich wurde, wie verheerend der Handel mit gefährdeten Arten ist. Zeitgleich erscheinende Berichte offenbarten, dass die Population afrikanischer Waldelefanten in den Jahren von 2002 bis 2011 auf Grund von Wilderei um 62 Prozent abgenommen hat. Die Fischerei tötet mindestens 100 Millionen Haie pro Jahr – viele davon gefährdete Arten –, und in den Jahren zwischen 2000 und 2012 wurden im Schnitt jährlich 110 Tiger getötet (in freier Wildbahn leben nur noch 3200 Tiere). Jedes Jahr werden 30 000 afrikanische Elefanten für ihr Elfenbein abgeschlachtet – die höchste Sterberate seit den 1980er Jahren. Wenn das Morden in diesem Umfang anhält, könnte die Art in zwei Jahrzehnten ausgestorben sein. Ebenso wie die afrikanischen Nashörner, denen auf Grund ihres Horns nachgestellt wird.
So stehen Naturschützer schon heute vor der schwierigen Frage, um welche Arten und Ökosysteme sie sich zuerst kümmern sollen, denn sie können nicht alle retten. Viele Länder, in denen Wilderei und Handel mit bedrohten Arten verbreitet sind, wollen entweder nicht auf die Einkünfte verzichten, oder ihnen fehlen die Mittel, um die eigenen Schutzbestimmungen durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund wirkt ein teures und großspuriges Vorhaben, ausgestorbene Tiere und Pflanzen aus Naturschutzgründen wiederzubeleben, unverantwortlich: Sollen wir wirklich die Mammuts zurückholen und dafür die Elefanten untergehen lassen? Natürlich nicht.
Damit sollen der Wiederbelebung ausgestorbener Arten nicht jegliche Meriten abgesprochen werden. Manche Aspekte könnten dazu beitragen, bedrohte Arten zu schützen. So könnten zum Beispiel ausgestorbene Genvarianten dazu dienen, die verarmten Genpools von bedrohten Arten und Unterarten wieder anzureichern – zum Beispiel beim Schwarzfußiltis oder dem nördlichen Breitmaulnashorn. Solche Untersuchungen sollten allerdings im Rahmen der Erhaltung moderner Biodiversität laufen und nicht beim Herbeizaubern ausgestorbener Arten aus ihrem Grab.
Die Vorstellung, dass wir als Menschen eine moralische Verpflichtung haben, die von unserer Hand dahingerafften Arten wiederzubeleben, findet Widerhall in unserem Gerechtigkeitssinn. Doch das Wiederbeleben einer einzigen Art im Labor bedeutet noch lange nicht die Rückkehr dieser Spezies. Und überlebensfähige Populationen ausgestorbener Arten in den heutigen Ökosystemen zu etablieren, ist noch eine weit größere Herausforderung. Ganz sicher haben wir eine größere Verantwortung gegenüber heute den am Abgrund stehenden Arten als gegenüber jenen, die unsere Vorfahren vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden auslöschten.
Der Artikel erschien unter dem Titel "Do Not Reanimate" in der Juni-Ausgabe von Scientific American.
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