Biomasseverwertung: Mit Hightech zurück zur Natur
Treibstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen sind in den letzten Jahren, nach der ersten Euphorie, ein bisschen in Verruf geraten. Nachhaltig sind sie nur im kleinen Maßstab – doch schon jetzt treiben sie die Lebensmittelpreise in die Höhe und verdrängen natürliche Habitate zu Gunsten neuer Anbauflächen, direkt oder indirekt. Der Grund ist einfach: Bisherige Biokraftstoffe sind alles andere als innovativ, im Gegenteil, sie basieren weit gehend auf alten Techniken und bekannten Kulturpflanzen. Die Äcker der Welt sind aber nicht groß genug, neben dem Hunger der Menschen auch den seiner Maschinen zu stillen.
Deswegen brauchen die Biokraftstoffe einen neuen Anlauf. Forscher blicken nun auf jene pflanzlichen Ressourcen, die außerhalb der traditionellen Landwirtschaft vorhanden sind. Diese schwerer zugänglichen Stoffe zu nutzen, erfordert modernste Methoden, von denen viele erst in den letzten Jahren durch neue Entwicklungen in Chemie, Verfahrenstechnik und Biotechnologie zur Verfügung stehen.
Biomassevergärung einmal anders
Zum einen arbeitet die Wissenschaft an Verfahren, die ethanolische Gärung auf jene Kohlenhydrate auszuweiten, die in Form stabiler Polymere die Hauptmasse der pflanzlichen Zellwände ausmachen. Die Zellulose zum Beispiel besteht aus verknüpften Glukoseeinheiten, jenem Zucker, den Hefen ohne Probleme zu Alkohol vergären. In dieser Kettenform ist er für Mikroorganismen jedoch nahezu unzugänglich. Deswegen setzen Forscher hier auf maßgeschneiderte Organismen, die Zellulose knacken können – die leicht zu züchtenden Escherichia coli, denen Forscher fremde Enzyme einsetzen, auf dass sie den gewünschten Kraftstoff in großen Mengen produzieren. Im Fall von Holz gibt es schon einen geeigneten Organismus: Ein Team um Jay Keasling von der University of California schuf eine Variante von E. coli, die Zellulose zu einfachen Zuckern abbaut und diese dann zu Ethanol vergärt. [1]
Die Aufgabe ist keineswegs trivial, denn das widerstandsfähige Polymer muss in mehreren Schritten zersetzt werden – zuerst außerhalb der Zelle in Bausteine aus wenigen Zuckereinheiten, die dann über spezielle Transportproteine aufgenommen werden, bevor Enzyme im Zellplasma die einzelnen Glukoseeinheiten freisetzen, aus denen dann Ethanol entsteht. Insgesamt vier unterschiedliche Proteine muss das Bakterium dazu produzieren, aus der Zelle schaffen oder in die Membran einbauen. Das Zellulose fressende Bakterium ist allerdings nur eine Komponente der Holzverwertung – der Stoff besteht zu einem beträchtlichen Teil aus dem Polymer Lignin, das den Abbau der Zellulose behindert und im Vorweg durch eine chemische Behandlung, zum Beispiel mit einer ionischen Flüssigkeit, entfernt werden muss.
Bioethanol aus dem Meer
Die Zellulose holziger Pflanzenteile ist nicht die einzige Kohlenhydratquelle, die man auf diese Weise verwerten kann – im Meer wachsende Braunalgen liefern ein ungleich besser zugängliches Polymer namens Alginat, dessen Bausteine Mikroorganismen ebenfalls zu Ethanol fermentieren können. Braunalgen haben drei große Vorteile: Sie enthalten viel Kohlenhydrat, der Rohstoff ist ohne größere Aufarbeitung für Mikroorganismen zugänglich, und sie wachsen im Meer – sie würden entsprechend die begrenzten Nutzflächen an Land nicht weiter belasten. Hinzu kommt, dass Braunalgen bereits in gewissem Maß genutzt und verarbeitet werden, so dass Erfahrung mit dieser Sorte von Biomasse vorhanden ist.
Um die Braunalgen direkt in Ethanol umzuwandeln, ging ein internationales Forscherteam um Adam Wargacki von der University of California in Berkeley den gleichen Weg wie die Wissenschaftler um Keasling – ihr Stamm von E. coli sekretiert ebenfalls ein Enzym, das die Polymere außerhalb der Zelle zersetzt, die dazugehörigen Transportproteine und schließlich ein Erbgutfragment aus dem Bakterium Vibrio splendidus, das vier Proteine kodiert, mit denen es Alginat zu Ethanol umsetzt. Auf diese Weise kann es seine Nährlösung bis auf fünf Prozent Ethanolgehalt anreichern – genug, um den Alkohol als Kraftstoff zu gewinnen. [2]
Mit moderner Chemie zum "echten" Biodiesel
Der Bioethanol aus untypischer Biomasse hat allerdings derzeit einen Nachteil: Er steht noch nicht zur Verfügung, und es wird noch eine Weile dauern und viel Forschungsarbeit kosten, bis diese Verfahren im industriellen Maßstab eingesetzt werden können. Deshalb könnte Diesel aus Biomasse der ethanolischen Gärung den Rang ablaufen. Die langkettigen Kohlenwasserstoffe des Diesels sind in den Bausteinen der Zelle bereits in großen Mengen vorhanden – sie bilden die langen, hydrophoben Schwänze der Fettsäuren, die als Lipide gebunden die Membranen und Kompartimente aller lebenden Zellen aufbauen – einige einzellige Algen bestehen zu 60 Prozent aus diesen Substanzen.
Das macht man sich schon bei der Produktion des klassischen Biodiesels zu Nutze. Er entsteht in einer simplen chemischen Reaktion, bei der die Fette hydrolysiert werden und die freien Fettsäuren anschließend mit einem Alkohol zu Fettsäurealkylestern reagieren. Fettsäureester ist einfach herzustellen, ist allerdings den Kohlenwasserstoffen des echten Diesels weit unterlegen – er enthält zu viel Sauerstoff und ist bei niedrigen Temperaturen zu viskos.
Diesen Nachteil zu kurieren, erweist sich allerdings als deutlich einfacher als die biotechnische Herstellung von Ethanol. Große Mengen einfacher Moleküle, wie man sie im Diesel findet, zu geringen Kosten herstellen, das kann die moderne Chemie weitaus besser als jedes transgene Bakterium. Deswegen muss man, um aus Zellbestandteilen langkettige Kohlenwasserstoffe herzustellen, nicht die Biotechnologie bemühen – es reicht, den Rohstoff mit Wasserstoff zu reduzieren, eine Reaktion, die in ähnlicher Form schon bei der Fetthärtung im industriellen Maßstab erprobt ist. Die Forscher können auf jahrzehntelange Erfahrungen mit chemischen Verfahren zurückgreifen, um die Reaktion technisch umzusetzen.
Wie das womöglich schon in naher Zukunft aussehen könnte, demonstrierte ein Team um Johannes Lercher von der TU München, die eines der größten Probleme dieses Ansatzes löst – den fehlenden Katalysator für eine solche Reaktion. Als Biomasse dient Öl, gewonnen aus Mikroalgen, die zu mehr als der Hälfte aus Lipiden bestehen. In einer Reaktion mit Wasserstoff wird aus diesen komplizierten sauerstoffreichen Verbindungen reiner Diesel. Die bisher bekannten Katalysatoren für die Reaktion basieren entweder auf Molybdänsulfiden, die Schwefel in den entstehenden Kraftstoff abgeben und mit der Zeit an Effektivität verlieren, oder auf Edelmetallen, die zu unspezifisch und zu wenig leistungsfähig für die großtechnische Anwendung sind.
Das Team um Lercher verwendet stattdessen einen sauren Zeolith, in dessen Poren Nickel eingelagert ist. [3] Mit erfreulichem Resultat: Nahezu der komplette im Öl enthaltene Kohlenstoff kommt am Ende der Reaktion in Form von Alkanen wieder heraus, eine Leistung, mit der sich biotechnische Verfahren derzeit nicht messen können. Dass die Methode den Rohstoff so effektiv nutzt, ist ein wichtiges Argument, das für dieses Verfahren spricht – allein Deutschland verbraucht jedes Jahr 30 Millionen Tonnen des Kraftstoffs. Je weniger Rohmaterial man dafür transportieren muss, desto geringer sind die Kosten.
Die Zukunft – das unentdeckte Land
So verlockend diese Strategie erscheint, im Gegensatz zur Ethanolproduktion ist beim Biodiesel noch nicht geklärt, woher der Rohstoff kommt. Klassische Ölpflanzen scheiden aus ökologischen Gründen aus, und im Gegensatz zum Holz gibt es keine bisher unverwerteten landwirtschaftlichen Abfälle, die man zu Biodiesel umsetzen kann. Ölreiche Mikroalgen gelten derzeit als die wahrscheinlichste Lösung des Problems, anders als bei Holz oder Braunalgen ist ihre Zucht jedoch noch nicht im großen Maßstab erprobt. Wie sich diese Organismen in der nötigen Menge kultivieren und verarbeiten lassen, ist weit gehend unklar.
Mit der nächsten Generation der Biokraftstoffe begibt sich die Menschheit auf unbekanntes Terrain – technisch, wirtschaftlich und kulturell. Bei allen technischen Neuerungen seit der Einführung der Landwirtschaft ist die Art, wie wir Biomasse nutzen, über die Jahrtausende erstaunlich konstant geblieben, doch der wachsende Bedarf an Treibstoffen erzwingt eine neue agrikulturelle Revolution. Wie sie aussieht, ist zu diesem frühen Zeitpunkt noch unklar, aber sie wird die Welt für immer verändern.
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