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Fehlverhalten durch falsche Anreize

Wie sollte man ein Be- oder Entlohnungssystem aufbauen? Es leben Menschen, die dieser Frage ihr Berufsleben widmen. Auch das vorliegende Buch handelt davon, zumindest teilweise, aber besagte Menschen findet man nicht im Literaturverzeichnis. Es gibt zwei Situationen, in denen ein Autor so vorgehen kann: Er ist so klug, dass er die Ergebnisse all der anderen einfach selbst erschließt, oder so kreativ, dass er auf völlig andersartige Ideen kommt. In beiden Fällen ist es ein sportlicher Anspruch.

Sehen wir uns an, was Klaus Kornwachs, Professor für Technikphilosophie in Cottbus, zum bestehenden System zu sagen hat: Ein niedriges Einkommen sei annähernd proportional zum Produkt aus Arbeitszeit und Produktivität (also zur Arbeit, auch in physikalischer Analogie), ein hohes hingegen sei von diesen Größen abgekoppelt und stelle eine Zahlung für die Zugehörigkeit zu einer Klasse dar (eine "Apanage"). Diese Behauptung wirft zwei Fragen auf: Ist das so? Und wenn ja, ist das schlimm?

Die erste Frage lässt sich letztlich nur empirisch beantworten, aber man kann sich trotzdem ein paar theoretische Gedanken dazu machen: Wenn ein Manager oder auch Unternehmer visionäre Entscheidungen trifft und auf dem Weg der Umsetzung wenig Fehler macht, kann das der Firma Millionen Mal mehr Erfolg bringen, als wenn ein Arbeiter immer richtig arbeitet. Das kann man beklagen, aber nicht ändern. Ohne tiefer zu forschen, kann man nicht wissen, ob die hohen Managergehälter vielleicht im Rahmen einer modifizierten Arbeitswerttheorie durch die erbrachten Erfolge zu rechtfertigen sind oder nicht. Damit ist dieser Teil des Buchs einfach eine Behauptung, die auf diesen Zusammenhang noch nicht einmal eingeht. Dennoch sind die vorgetragenen Argumente nicht uninteressant.

Aber nehmen wir an, die Gehälter der Spitzenmanager seien viel höher, als deren Erfolgsbeitrag rechtfertigt. Dann kann es dennoch einen guten Grund dafür geben, den Kornwachs sogar erwähnt, wenn auch nur abgeschwächt und in einem Nebensatz (S. 102): Hohe Zahlungen an die Obersten in der Hierarchie können als Ansporn dienen, in Zukunft Leistung zu bringen; und dieser Ansporn kann durchaus auch auf die vielen Personen zielen, die noch nicht oben angekommen sind. In diesem Szenario gäbe es ein Heer unterbezahlter Manager und Manageranwärter, die sich alle durch die Aussicht auf die – leider ungewisse – Überbezahlung hochmotiviert abstrampeln und damit vielleicht viel mehr leisten, als wenn sie nach ihrer – dann vermutlich auch geringeren – erbrachten Arbeit bezahlt würden.

Dieser Effekt ist bei Rockstars, Fußballspielern und Drogendealern zu beobachten; wieso nicht bei Managern? In diesem Szenario ist die Überbezahlung der wenigen Glücklichen gar nicht so schädlich, wie sie aussieht, sondern im Gegenteil eine Form der Motivation, die allen zugutekommt. Wäre also eine "Apanage" wirklich so schlimm? Die Antwort kann eine Rezension nicht ausarbeiten, ein Buch hätte es gekonnt.

Kornwachs plädiert an einigen Stellen dafür, der Ökonomisierung entgegenzutreten, indem man auch andere als monetäre Werte berücksichtigt. Daran ist nichts auszusetzen, aber die ökonomische Theorie schüttelt man damit nicht ab. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil ist Geld nicht die einzige relevante Größe der Ökonomen, sondern in vielen Fällen nur eine Metapher für "glücklich sein" oder – technischer gesprochen – den Nutzen. Die Währung kann auch "Ehre" sein, obwohl sie schwerer messbar ist als Geld. Zwischen Gier nach Geld und Gier nach Ehre ("Geiz" und "Ehrgeiz") gibt es keinen prinzipiellen Unterschied.

Es gab und gibt Ehrenmorde und Ehrenkriege. Dass es Fehlanreize gibt, hängt nicht von der Währung ab. Die Prinzipien dahinter aufzubereiten und um neue Sichtweisen zu ergänzen, das sollte der Beitrag eines Philosophen zum Thema sein. Die Dinge weiterzudenken und nicht auf der ersten Ebene der Plausibilität stehen zu bleiben, das muss der Beitrag eines Philosophen sein.

Stattdessen finden sich ungenau übernommene Begriffe wie "return of invest" statt "return on investment", irreführende Übersetzungen wie "Nimm das für das" für "Tit for Tat" statt des üblichen und treffenden "Wie du mir, so ich dir" und weitere sprachliche Ungenauigkeiten. Wichtiger noch: Kornwachs befasst sich zwar ausgiebig mit der Spieltheorie, aber ausgerechnet mit den Teilen, die für seine Fragestellung weit gehend irrelevant sind. Statt zum abertausendsten Mal das Gefangenendilemma zu bemühen, hätte er einen Blick in die Theorie asymmetrischer Informationsverteilung und die Principal-Agent-Theorie werfen sollen; genau dort geht es nämlich um Entlohnungen. Wenn schon der Klappentext der Spieltheorie und der politischen Philosophie die Erkenntnis zuschreibt, "dass sich Kooperation auf längere Sicht immer lohnt", wozu schreibt der Autor dann über die Zweipersonen-Nullsummenspiele, die so konstruiert sind, dass eine Kooperation der Spieler nicht möglich ist?

Wenn ein Fernsehzuschauer vom Esstisch aus über die Neoliberalen schimpft, ohne auch nur einen einzigen Gedankengang dieser Denkschule näher zu kennen, geschweige denn nachvollzogen zu haben, dann ist das eine Sache. Aber sollte ein renommierter Wissenschaftler zu einer solchen Grundhaltung nicht einen sehr großen Sicherheitsabstand wahren?

Dafür, dass dieser Abstand bedenklich klein geraten ist, fallen mir zwei mögliche Gründe ein. Erstens: Der Autor hält alle Vertreter der ökonomischen Disziplin von vornherein für (moralisch?) schlecht und ihre Argumente für Scheinargumente, die nur böse Absichten verschleiern sollen – womit er sich selbst als moralisch höherstehend einordnet und ein Eingehen auf die Argumente sich erübrigt. Ich will hoffen, dass das nicht die Motivation für dieses Buch war.

Die zweite denkbare Erklärung gibt der Autor selbst. Er behauptet, viele Belohnungssysteme seien dadurch falsch konstruiert, dass Ingenieure durch Ingenieure beurteilt werden oder Philosophen durch Philosophen und dass in der Wissenschaft ein Anreiz besteht, die Zahl der Veröffentlichungen über deren Qualität zu stellen. Vielleicht folgt das Buch diesen Fehlanreizen und ist für die eigene Veröffentlichungsliste geschrieben, nicht für die Leser. Das wäre schade, denn ein Philosoph hätte einiges zu dem Thema beizutragen.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 10/2010

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