Chemische Evolution: Der Geist der Ursuppe
Wirklich nachhaltige Laborexperimente liefern auch nach einem halben Jahrhundert noch Ergebnisse. Zum Beispiel das Ursuppenexperiment von Stanley Miller.
Kein Biologieschulbuch kommt im Kapitel "Entstehungsgeschichte des Lebens" um den Namen Stanley Miller herum: Der Pionier des Ursuppenexperiments hatte in den 1950er Jahren im Labor erfolgreich jene chemischen Bedingungen nachgestellt, unter denen auf der frühen Erde einst vielleicht die Vorläufermoleküle aller Biochemie entstanden sind. Etwas Ammoniak, Wasserstoff und ein wenig Methan auf kleiner Flamme, durchzuckt von regelmäßigen Funkenentladungen, so beschrieb Miller 1953, lassen in einem Glaskolben Aminosäuren und andere Biomoleküle entstehen – und legen damit die Basis für die Chemie des Lebens [1].
Tatsächlich ist der Nachlass von Miller sogar noch heute produktiv – und nicht nur auf dem Papier, wie Jeffrey Bada von der Scripps Institution of Oceanography in La Jolla und seine Kollegen vor einigen Jahren zu zeigen begannen. Die Chemiker hatten nach Millers Tod (am 20. Mai 2007) aufgetauchte Originalproben aus den 1950er Jahren mit modernen Analysemethoden erneut untersucht und zeigen können, wie produktiv der Millersche Ursuppenkochtopf einst wirklich gearbeitet hatte. Hochleistungsflüssigchromatografie und Flugzeitmassenspektrometrie – geladene Teilchen werden durch einen kurzen Spannungsstoß beschleunigt und über ihre Flugzeiten auseinandergehalten – enthüllten dabei gleich 22 Aminosäuren sowie fünf Amine, die Miller vor einem halben Jahrhundert erkocht und sorgfältig in Probenbehältern archiviert hatte [2]. Der Ursuppenpionier selbst hatte damals längst nicht alle Produkte im Kolbenrückstand nachweisen können – state of the art in der chemischen Diagnostik war zu seiner Zeit die vergleichsweise wenig informative Methode der papierchromatografischen Analyse.
Jetzt legen Bada und Kollegen noch einmal nach [3]. Ihr Augenmerk richteten sie dabei auf eines der weniger bekannten Nachfolgeexperimente von Miller – einen Versuch, mit dem er 1959 den Einfluss von Vulkanen auf die chemische Evolution simulieren wollte. Aus den penibel geführten Labortagebüchern geht hervor, wie Miller das Experiment durchgeführt hatte, dessen Ergebnisse er dann in sterilisierten Probenbehältern versiegelt archivierte. Im Detail ausgewertet und publiziert hatte Miller damals das Experiment allerdings nicht – warum auch immer.
Dies holten Bada und seine Kollegen nun nach. In seinen Vulkanexperimenten hatte Miller das klassische Ursuppengemisch mitsamt Schwefelwasserstoff über eine Düsenapparatur in den Kolben gespritzt und elektrisch durchfunkt – eine Annäherung an die geologisch hochaktiven Verhältnisse auf der Früherde. Wie die neu ausgewerteten alten Proben nun zeigen, entstehen dabei unter 23 Aminosäuren und 4 Aminen insgesamt 7 organische Schwefelmoleküle in teilweise recht hoher Konzentration. Übrigens konnten Bada und seine Kollegen ausschließen, dass diese etwa als Verunreinigungen im Lauf der Jahre oder unmittelbar vor der Analyse in die Proben gelangt sind: Die optisch aktiven Aminosäuren liegen als Racemat vor – das chirale Kohlenstoffatom kommt also ähnlich häufig in den beiden möglichen Varianten vor, was bei Aminosäuren aus natürlichen Verunreinigungen nicht der Fall wäre.
Bada und seine Kollegen meinen, dass ihr Ergebnis nicht nur für Wissenschaftshistoriker spannend ist: Vulkane, so argumentieren sie, dürften wohl tatsächlich eine recht bedeutende Rolle bei der Entstehung der biogenen, schwefelhaltigen Aminosäuren gespielt haben. Wichtig ist dabei wohl nicht nur, dass sie per H2S den Grundbaustein aller organischer Schwefelverbindungen bereitstellten; vor allem könnten die Vulkane beim Ausbruch für lokal reduzierende chemische Verhältnisse gesorgt haben, die, von Blitzen durchzuckt, für die speziellen Bedingungen gesorgt haben, die die ganze Vielfalt der gefundenen biogenen Moleküle entstehen ließen.
Dabei, spekuliert Badas Team alternativ, muss das typische Gemisch der ersten Lebensmoleküle aber nicht einmal unbedingt auf der frühen Erde entstanden sein, sondern vielleicht über lange Zeiträume in den Urzeiten des Sonnensystems auf Meteoriten. Dies lege ein Vergleich der schwefelhaltigen Moleküle aus dem Miller-Kolben mit den Molekülen nahe, die in bestimmten Meteoriten wie "CM2-Murchinson" vorkommen. Das Molekülspektrum auf solchen primitiven "kohligen Chondriten" korreliere jedenfalls stark mit dem, was jetzt in den alten Miller-Proben nachgewiesen wurde. Wo immer Schwefelwsserstoffquellen vorhanden sind – wie etwa im interstellaren Raum – könnten präbiotische Moleküle entstehen. Übrigens: Auch das hatte Miller bereits vermutet, nachdem er 1972 auf die Liste der Aminosäuren gestoßen war, die man damals schon im Murchinson-Meteroiten nachweisen konnte.
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