AAAS-Jahrestagung: Homo sapiens, Klima und ein Blick zurück
Der letzte Konferenztag! Heute passiert nicht mehr viel, Vorträge und Symposien finden nur noch am Vormittag statt. Auf der Straße zum Hilton und Nikko begegnen mir schon einige Leute mit Koffern, die aussehen, als kämen sie aus den Konferenzhotels. Auch auf den Fluren in den Hotels herrscht längst nicht mehr so viel hektischer Betrieb wie an den Tagen zuvor.
Baden-Württemberg ist mit dabei
Da lasse ich es heute auch mal ruhig angehen und sehe mir die Ausstellerhalle an. Ein bisschen schwierig zu finden, diese Halle. Wer kann schon ahnen, dass der Grand Ballroom sich nicht auf der Ballroometage befindet, sondern ganz woanders quer durchs gesamte Hotel und dann ein paar Rolltreppen hoch. Der Exkurs lohnt sich jedoch, denn viele große nationale und internationale Wissenschaftsorganisationen, -stiftungen, -institute, -verlage und -zeitschriften haben dort ihre Stände, die vor Informationsmaterial und vor Umsonst-Kugelschreibern nur so überquellen. Das muss geändert werden. Und so quillt stattdessen nach einem Rundgang meine Tasche über.
Sogar deutsche oder wenigstens in Deutschland angesiedelte Aussteller sind mit von der Partie. Es gibt nicht etwa eine Vertretung für den Wissenschaftsstandort Deutschland – nein, Baden-Württemberg allein preist sich gezielt an. Dies ist wohl im Sinne der Eliteförderung, sodass Heidelberg das nächste Mal auch etwas vom großen Exzellenz-Geld abbekommt. Das Land steckt laut Selbstauskunft offenbar fast vier Prozent seines Bruttosozialprodukts in die Wissenschaft. Davon kann es sich dann natürlich leisten, Werbung in San Francisco zu machen – ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt! Ansonsten ist auch das bekannte European Molecular Biology Laboratory (EMBL) aus Heidelberg vertreten.
Der Stand der EU ist nicht zu übersehen, so hell erleuchtet und riesig. Man muss sich behaupten.
Auf alle Fälle kann sich jeder in der großen Halle sicher fühlen, es sei denn, er trägt Turban und schwarzgelockten Vollbart, denn das U.S. Department for Homeland Security ist auch da.
Wie der Mensch plötzlich kreativ und innovativ wurde
Ein Blick ins Programm sagt mir, dass noch ein paar interessante Vorträge dabei sind, wie zum Beispiel die von Richard Klein von der Universität Stanford und von Thomas Wynn von der Universität von Colorado. Den gleichen Gedanken wie ich hatten offenbar viele andere, denn es ist unerwartet voll im Vergleich zu den fast leeren Vorlesungsräumen, an denen ich gerade vorbeigekommen bin.
Klein erzählt über die Herkunft des modernen Menschen. Seit ungefähr sechs Millionen Jahren soll es Hominide geben. Im fernen Osten entwickelte sich der Homo erectus, in Afrika der Homo sapiens und in Europa der Homo neanderthaliensis. Anhand der Schädelform ist der Neandertaler gut vom Homo sapiens zu unterscheiden: Er hat eine fliehende Stirn mit sich vorwölbende Augenbrauenpartien und gerader Kinn-Nasenpartie. Das Gehirn liegt auf gleicher Höhe,wie die Augen. Beim Homo sapiens liegen die Augen dagegen unterhalb des frontalen Kortex, der sich hinter der Stirn aufgewölbt hat, was eine höhere Intelligenz vermuten lässt.
Wahrscheinlich seit 160 000, mindestens aber seit 50 000 Jahren gibt es mit dem Homo sapiens eine – anatomisch wahrscheinlich noch etwas gröbere – Version des modernen Menschen. Vor 50 000 Jahren plötzlich begann die Auswanderung des Homo sapiens nach Eurasien. In kürzester Zeit – Klein schätzt 5000 bis 10 000 Jahre – ersetzten die Eindringlinge den Homo erectus und den Neandertaler bis vor 30 000 Jahren vollständig, ohne dass bislang Spuren einer Vermischung und Kreuzung aufzufinden wären.
Aus der Zeit vor 50 000 Jahren gibt es keinen einzigen anerkannten Kunstfund – und diese werden als Anzeichen kreativer Intelligenz gewertet. Das älteste Stück figurativer Kunst schätzen Experten auf ein Alter von 45 000 bis 50 000 Jahren. Für die Zeit danach, beginnend mit der Verbreitung des Homo sapiens auf dem Erdball, steigt die Zahl der entdeckten Kunstobjekte und der Anzeichen für intelligentes Handeln, wie der Landwirtschaft und der Fischerei, stark an. Was bewirkte diesen plötzlichen Beginn der Entwicklung und der innovativen Veränderungen?
Wäre der Homo sapiens dazu schon vorher in der Lage gewesen, ergab es sich nur auf Grund der Umstände einfach nicht? Hat ein Anstieg der Bevölkerungsdichte zum Beispiel den Menschen auf einmal dazu gezwungen, sich Neues einfallen zu lassen? Klein glaubt dies nicht und vermutet, dass sich zu diesem Zeitpunkt eine kleine genetische, aber alles entscheidende Veränderung durchsetzte, die im Gehirn das veränderte, was gerade noch fehlte, um Fortschritt zu ermöglichen.
Als Kandidaten schlägt Klein das Gen FOX P2 vor, das für den Entwicklungsschritt mitverantwortlich sein könnte. Dieses Gen ist der Bauplan für ein Protein, das für die menschliche Sprachfähigkeit wichtig ist. Zum Kandidaten wurde es durch Vergleich des Genoms von Homo-sapiens-Funden vor 50 000 Jahren mit dem heutigen menschlichen Genom.
Kognitive Archäologie
Thomas Wynn übernimmt an dieser Stelle und erzählt von seinen Bemühungen, mit Hilfe der so genannten kognitiven Archäologie nachzuvollziehen, wie sich der heutige moderne Mensch mit seinen typischen exekutiven Funktionen entwickelte. Dies sind Funktionen wie kompliziertes, zielorientiertes Handeln, flexible und innovative Problemlösung, analytisches Denken, langfristige und weitreichende Planung – also prinzipiell alles, was wir heutzutage als besondere Fähigkeiten in Bewerbungen schreiben sollen.
Der Psychologe Frederick Coolidge, mit dem Wynn eng zusammenarbeitet, stellte ein inzwischen allgemein anerkanntes Modell eines Arbeitsgedächtnisses auf, das zur Ausführung dieser Exekutivfunktionen notwendig ist. Das Arbeitsgedächtnis hätte sogar eine neuronale Grundlage, das heißt, es lässt sich Gehirnstrukturen zuordnen. Und vor allem sei es durch einfache, spät in der Evolution hinzugekommene genetische Kontrollen reguliert.
Exekutive Funktionen und Arbeitsgedächtnis seien also Kennzeichen der modernen Kognition. Die gigantische "Kulturexplosion", beginnend vor 50 000 Jahren, beruhe auf einer finalen Verbesserung der Kontrolle dieses Arbeitsgedächtnisses, vermuten Wynn und Coolidge.
Wynn sucht nun nach archäologisch glaubwürdigen Nachweisen dieser höheren kognitiven Fähigkeiten. Mögliche archäologische Spuren dafür wären technische Geräte, zuverlässige Waffen, abstrahierte Objekte, Siedlungen, technische Hilfsanlagen sowie Anzeichen für Tauschhandel und durchdachte Müllentsorgung. Er gibt Beispiele für Entdeckungen solcher Art, die jedoch alle nicht älter als 50 000 Jahre sind.
Eine Erklärung für die Veränderung um genau diesen Zeitpunkt herum wäre darwinistischer Gradualismus, bei dem sich ein zu der Zeit schon vorhandenes aber seltenes Allel – eine genetische Abweichung – für ein verbessertes exekutives Arbeitsgedächtnis langsam in der Homo-sapiens-Population durchsetzt. Kultureller Gradualismus wäre eine andere Erklärung, bei der eine Veränderung äußerer Umstände die Kultur so verändert, dass sie plötzlich exekutive Fähigkeiten fördert und bevorzugt, die aber theoretisch auch schon vorher möglich gewesen wären. Drittens könnte die schnelle Verbreitung einer das Arbeitsgedächtnis verbessernden neuen Mutation stattgefunden haben. Wynn tendiert dazu, die Ursache in darwinistischem verbunden mit kulturellem Gradualismus zu suchen.
Stärke entstehender Hurrikanes kaum vorhersagbar
Anschließend höre ich mir einen der letzten noch stattfindenden Vorträge an, in dem Greg Holland vom Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung in Boulder die Entstehung von Hurrikanen erklärt. Es fallen viele Fachbegriffe, und mathematische Berechnungen werden angestellt. Für mich interessant ist die Aussage, dass die Vorhersagbarkeit der Sturmstärke im Frühstadium eines Hurrikans allem theoretischen Wissen und aller Berechnungen zum Trotz gleich null ist.
Dies liege am asymmetrischen und chaotischen Verhalten einzelner Zyklone, die schließlich miteinander zum ausgewachsenen Hurrikan verschmelzen. Im ausgewachsenen Stadium sind diese Wirbelstürme anhand von Parametern wie Galeforce und Maximalwinden besser vorhersagbar.
Rückblick
Wie sich auf dieser Konferenz zeigte, kann man fast alle Gebiete der Wissenschaft in Hinsicht auf nachhaltiges Wohlergehen behandeln – nicht nur die typischen Umweltthemen, die jeder kennt. Dabei wurde allerdings nur wenig wirklich Neues präsentiert, viele Beiträge fassten eher den aktuellen Stand der Dinge zusammen. Die Konferenz dokumentierte die Sachlage zu bestimmten Themen, beleuchtete sie auch von mehreren Seiten, bemühte sich jedoch nicht, einen Schluss zu ziehen. Doch wissenschaftliche Beratungsausschüsse bekamen einen Überblick vermittelt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wurde auf Umweltthemen gelenkt und Wissenschaftler zusammengebracht, wobei der Austauch entscheidender Informationen und der Gewinn wichtiger Einsichten wahrscheinlich eher hinter den Kulissen stattfanden.
Kommunikation und Information ist alles
Zu den Überthemen zählte auch Wissenschaftskommunikation. Viele der Symposien beschäftigten sich damit, wie wichtig es gerade bei Umwelt- und Weltgesundheitsthemen sei, diese gut verständlich an die Öffentlichkeit zu bringen (Symposien: "Den Klimawandel kommunizieren: Strategien für ein effektives Engagement", "Wahrnehmung, Überzeugung und Klimawandel: Kann Wissenschaft sofortige Aktion induzieren?"). Das Treffen spiegelte diesen Anspruch dadurch wider, dass extrem viele Journalisten daran teilnahmen und es ausführlichste Pressekonferenzen und auch eine große öffentliche Infoveranstaltung in der Stadthalle gab.
In den westlichen Industrieländern haben die meisten vom Treibhauseffekt, vom Ozonloch, von der großen Eisschmelze und dem Meeresspiegelanstieg, vom Verknappen der Ressourcen wie Trinkwasser, Erdöl und einiger Metalle sowie der Regenwaldabholzung gehört. Sie wissen, man müsste etwas für die Umwelt tun – aber wie dringend? Die Konferenz macht wieder einmal deutlich: sehr dringend. Immerhin scheinen die meisten Referenten auf der Konferenz aber noch daran zu glauben, dass dann das Schlimmste noch zu stoppen sei. Es dürfe nur niemand mehr auf die Entwicklung großer bahnbrechender Technologien warten, sondern es müsse gleich mit allen schon möglichen Mitteln gehandelt werden.
In einer informierten Öffentlichkeit würden Politiker vielleicht in Zukunft nicht mehr hauptsächlich danach gewählt, was sie für eine Steigerung des Bruttosozialprodukts versprechen, sondern auch für Umweltengagement. Auch würden informiertere Politiker so möglicherweise ihre Chance in einer verbesserten Umweltpolitik erkennen. Die Industrie muss ebenfalls realisieren, welche Wirtschaftschancen in Umwelttechnologien und Ökoprodukten liegen und dass Investition in Umweltfreundlichkeit heute nicht mehr nur Gewinnschmälerung, sondern durchaus sogar Gewinn bedeuten kann.
Es kann nicht sein, dass am Ende ein paar verbitterte Wissenschaftler auf der inzwischen fast vollständig ruinierten Erde sitzen und sagen: Wir haben es doch schon die ganze Zeit gewusst. Manche haben dies verstanden. So auch Charles (Chuck) Kutscher vom National Renewable Energy Laboratory, mit dem ich mich nach der Preisverleihung für Wissenschaftsjournalisten der AAAS im Bus über mangelnde Wissenschaftskommunikation unterhalten habe.
Die Amerikanische Solarenergiegesellschaft hat gerade einen 200-seitigen Bericht darüber herausgegeben, wie die Reduktion der CO2-Emission bei wachsender Wirtschaftslage genau aussehen kann. Erreicht würde die vorgeschlagene CO2-Ausstoßverminderung zu 57 Prozent durch Energiesparmaßnahmen und Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung, sowie zu 43 Prozent durch Nutzung der sechs erneuerbaren Energiequellen. Kutscher arbeitete daran mit, sendete den Bericht an alle Kongressabgeordneten und hielt heute morgen hier einen Vortrag zum Report.
Wissenschaftler als Diplomaten
Der Präsident der AAAS rief in seiner Einstiegsrede Wissenschaftler und Ingenieure dazu auf, zehn Prozent ihrer Arbeitszeit in unser nachhaltiges Wohlergehen auf der Erde zu investieren. Larry Page schlug den USA in seinem Hauptvortrag vor, ihren schlechten Ruf im Rest der Welt zu korrigieren und mehr Geld in Umweltschutz und Hilfsmaßnahmen in der Dritten Welt zu investieren. "Wissenschaftler und Ingenieure als Diplomaten des 21. Jahrhunderts" war ein Workshop betitelt. Wissenschaft und internationale Umweltschutzprojekte könnten so nicht nur die Umwelt retten, sondern letztendlich vielleicht auch internationale Beziehungen verbessern.
Baden-Württemberg ist mit dabei
Da lasse ich es heute auch mal ruhig angehen und sehe mir die Ausstellerhalle an. Ein bisschen schwierig zu finden, diese Halle. Wer kann schon ahnen, dass der Grand Ballroom sich nicht auf der Ballroometage befindet, sondern ganz woanders quer durchs gesamte Hotel und dann ein paar Rolltreppen hoch. Der Exkurs lohnt sich jedoch, denn viele große nationale und internationale Wissenschaftsorganisationen, -stiftungen, -institute, -verlage und -zeitschriften haben dort ihre Stände, die vor Informationsmaterial und vor Umsonst-Kugelschreibern nur so überquellen. Das muss geändert werden. Und so quillt stattdessen nach einem Rundgang meine Tasche über.
Sogar deutsche oder wenigstens in Deutschland angesiedelte Aussteller sind mit von der Partie. Es gibt nicht etwa eine Vertretung für den Wissenschaftsstandort Deutschland – nein, Baden-Württemberg allein preist sich gezielt an. Dies ist wohl im Sinne der Eliteförderung, sodass Heidelberg das nächste Mal auch etwas vom großen Exzellenz-Geld abbekommt. Das Land steckt laut Selbstauskunft offenbar fast vier Prozent seines Bruttosozialprodukts in die Wissenschaft. Davon kann es sich dann natürlich leisten, Werbung in San Francisco zu machen – ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt! Ansonsten ist auch das bekannte European Molecular Biology Laboratory (EMBL) aus Heidelberg vertreten.
Der Stand der EU ist nicht zu übersehen, so hell erleuchtet und riesig. Man muss sich behaupten.
Auf alle Fälle kann sich jeder in der großen Halle sicher fühlen, es sei denn, er trägt Turban und schwarzgelockten Vollbart, denn das U.S. Department for Homeland Security ist auch da.
Wie der Mensch plötzlich kreativ und innovativ wurde
Ein Blick ins Programm sagt mir, dass noch ein paar interessante Vorträge dabei sind, wie zum Beispiel die von Richard Klein von der Universität Stanford und von Thomas Wynn von der Universität von Colorado. Den gleichen Gedanken wie ich hatten offenbar viele andere, denn es ist unerwartet voll im Vergleich zu den fast leeren Vorlesungsräumen, an denen ich gerade vorbeigekommen bin.
Klein erzählt über die Herkunft des modernen Menschen. Seit ungefähr sechs Millionen Jahren soll es Hominide geben. Im fernen Osten entwickelte sich der Homo erectus, in Afrika der Homo sapiens und in Europa der Homo neanderthaliensis. Anhand der Schädelform ist der Neandertaler gut vom Homo sapiens zu unterscheiden: Er hat eine fliehende Stirn mit sich vorwölbende Augenbrauenpartien und gerader Kinn-Nasenpartie. Das Gehirn liegt auf gleicher Höhe,wie die Augen. Beim Homo sapiens liegen die Augen dagegen unterhalb des frontalen Kortex, der sich hinter der Stirn aufgewölbt hat, was eine höhere Intelligenz vermuten lässt.
Wahrscheinlich seit 160 000, mindestens aber seit 50 000 Jahren gibt es mit dem Homo sapiens eine – anatomisch wahrscheinlich noch etwas gröbere – Version des modernen Menschen. Vor 50 000 Jahren plötzlich begann die Auswanderung des Homo sapiens nach Eurasien. In kürzester Zeit – Klein schätzt 5000 bis 10 000 Jahre – ersetzten die Eindringlinge den Homo erectus und den Neandertaler bis vor 30 000 Jahren vollständig, ohne dass bislang Spuren einer Vermischung und Kreuzung aufzufinden wären.
Aus der Zeit vor 50 000 Jahren gibt es keinen einzigen anerkannten Kunstfund – und diese werden als Anzeichen kreativer Intelligenz gewertet. Das älteste Stück figurativer Kunst schätzen Experten auf ein Alter von 45 000 bis 50 000 Jahren. Für die Zeit danach, beginnend mit der Verbreitung des Homo sapiens auf dem Erdball, steigt die Zahl der entdeckten Kunstobjekte und der Anzeichen für intelligentes Handeln, wie der Landwirtschaft und der Fischerei, stark an. Was bewirkte diesen plötzlichen Beginn der Entwicklung und der innovativen Veränderungen?
Wäre der Homo sapiens dazu schon vorher in der Lage gewesen, ergab es sich nur auf Grund der Umstände einfach nicht? Hat ein Anstieg der Bevölkerungsdichte zum Beispiel den Menschen auf einmal dazu gezwungen, sich Neues einfallen zu lassen? Klein glaubt dies nicht und vermutet, dass sich zu diesem Zeitpunkt eine kleine genetische, aber alles entscheidende Veränderung durchsetzte, die im Gehirn das veränderte, was gerade noch fehlte, um Fortschritt zu ermöglichen.
Als Kandidaten schlägt Klein das Gen FOX P2 vor, das für den Entwicklungsschritt mitverantwortlich sein könnte. Dieses Gen ist der Bauplan für ein Protein, das für die menschliche Sprachfähigkeit wichtig ist. Zum Kandidaten wurde es durch Vergleich des Genoms von Homo-sapiens-Funden vor 50 000 Jahren mit dem heutigen menschlichen Genom.
Kognitive Archäologie
Thomas Wynn übernimmt an dieser Stelle und erzählt von seinen Bemühungen, mit Hilfe der so genannten kognitiven Archäologie nachzuvollziehen, wie sich der heutige moderne Mensch mit seinen typischen exekutiven Funktionen entwickelte. Dies sind Funktionen wie kompliziertes, zielorientiertes Handeln, flexible und innovative Problemlösung, analytisches Denken, langfristige und weitreichende Planung – also prinzipiell alles, was wir heutzutage als besondere Fähigkeiten in Bewerbungen schreiben sollen.
Der Psychologe Frederick Coolidge, mit dem Wynn eng zusammenarbeitet, stellte ein inzwischen allgemein anerkanntes Modell eines Arbeitsgedächtnisses auf, das zur Ausführung dieser Exekutivfunktionen notwendig ist. Das Arbeitsgedächtnis hätte sogar eine neuronale Grundlage, das heißt, es lässt sich Gehirnstrukturen zuordnen. Und vor allem sei es durch einfache, spät in der Evolution hinzugekommene genetische Kontrollen reguliert.
Exekutive Funktionen und Arbeitsgedächtnis seien also Kennzeichen der modernen Kognition. Die gigantische "Kulturexplosion", beginnend vor 50 000 Jahren, beruhe auf einer finalen Verbesserung der Kontrolle dieses Arbeitsgedächtnisses, vermuten Wynn und Coolidge.
Wynn sucht nun nach archäologisch glaubwürdigen Nachweisen dieser höheren kognitiven Fähigkeiten. Mögliche archäologische Spuren dafür wären technische Geräte, zuverlässige Waffen, abstrahierte Objekte, Siedlungen, technische Hilfsanlagen sowie Anzeichen für Tauschhandel und durchdachte Müllentsorgung. Er gibt Beispiele für Entdeckungen solcher Art, die jedoch alle nicht älter als 50 000 Jahre sind.
Eine Erklärung für die Veränderung um genau diesen Zeitpunkt herum wäre darwinistischer Gradualismus, bei dem sich ein zu der Zeit schon vorhandenes aber seltenes Allel – eine genetische Abweichung – für ein verbessertes exekutives Arbeitsgedächtnis langsam in der Homo-sapiens-Population durchsetzt. Kultureller Gradualismus wäre eine andere Erklärung, bei der eine Veränderung äußerer Umstände die Kultur so verändert, dass sie plötzlich exekutive Fähigkeiten fördert und bevorzugt, die aber theoretisch auch schon vorher möglich gewesen wären. Drittens könnte die schnelle Verbreitung einer das Arbeitsgedächtnis verbessernden neuen Mutation stattgefunden haben. Wynn tendiert dazu, die Ursache in darwinistischem verbunden mit kulturellem Gradualismus zu suchen.
Stärke entstehender Hurrikanes kaum vorhersagbar
Anschließend höre ich mir einen der letzten noch stattfindenden Vorträge an, in dem Greg Holland vom Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung in Boulder die Entstehung von Hurrikanen erklärt. Es fallen viele Fachbegriffe, und mathematische Berechnungen werden angestellt. Für mich interessant ist die Aussage, dass die Vorhersagbarkeit der Sturmstärke im Frühstadium eines Hurrikans allem theoretischen Wissen und aller Berechnungen zum Trotz gleich null ist.
Dies liege am asymmetrischen und chaotischen Verhalten einzelner Zyklone, die schließlich miteinander zum ausgewachsenen Hurrikan verschmelzen. Im ausgewachsenen Stadium sind diese Wirbelstürme anhand von Parametern wie Galeforce und Maximalwinden besser vorhersagbar.
Rückblick
Wie sich auf dieser Konferenz zeigte, kann man fast alle Gebiete der Wissenschaft in Hinsicht auf nachhaltiges Wohlergehen behandeln – nicht nur die typischen Umweltthemen, die jeder kennt. Dabei wurde allerdings nur wenig wirklich Neues präsentiert, viele Beiträge fassten eher den aktuellen Stand der Dinge zusammen. Die Konferenz dokumentierte die Sachlage zu bestimmten Themen, beleuchtete sie auch von mehreren Seiten, bemühte sich jedoch nicht, einen Schluss zu ziehen. Doch wissenschaftliche Beratungsausschüsse bekamen einen Überblick vermittelt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wurde auf Umweltthemen gelenkt und Wissenschaftler zusammengebracht, wobei der Austauch entscheidender Informationen und der Gewinn wichtiger Einsichten wahrscheinlich eher hinter den Kulissen stattfanden.
Kommunikation und Information ist alles
Zu den Überthemen zählte auch Wissenschaftskommunikation. Viele der Symposien beschäftigten sich damit, wie wichtig es gerade bei Umwelt- und Weltgesundheitsthemen sei, diese gut verständlich an die Öffentlichkeit zu bringen (Symposien: "Den Klimawandel kommunizieren: Strategien für ein effektives Engagement", "Wahrnehmung, Überzeugung und Klimawandel: Kann Wissenschaft sofortige Aktion induzieren?"). Das Treffen spiegelte diesen Anspruch dadurch wider, dass extrem viele Journalisten daran teilnahmen und es ausführlichste Pressekonferenzen und auch eine große öffentliche Infoveranstaltung in der Stadthalle gab.
In den westlichen Industrieländern haben die meisten vom Treibhauseffekt, vom Ozonloch, von der großen Eisschmelze und dem Meeresspiegelanstieg, vom Verknappen der Ressourcen wie Trinkwasser, Erdöl und einiger Metalle sowie der Regenwaldabholzung gehört. Sie wissen, man müsste etwas für die Umwelt tun – aber wie dringend? Die Konferenz macht wieder einmal deutlich: sehr dringend. Immerhin scheinen die meisten Referenten auf der Konferenz aber noch daran zu glauben, dass dann das Schlimmste noch zu stoppen sei. Es dürfe nur niemand mehr auf die Entwicklung großer bahnbrechender Technologien warten, sondern es müsse gleich mit allen schon möglichen Mitteln gehandelt werden.
In einer informierten Öffentlichkeit würden Politiker vielleicht in Zukunft nicht mehr hauptsächlich danach gewählt, was sie für eine Steigerung des Bruttosozialprodukts versprechen, sondern auch für Umweltengagement. Auch würden informiertere Politiker so möglicherweise ihre Chance in einer verbesserten Umweltpolitik erkennen. Die Industrie muss ebenfalls realisieren, welche Wirtschaftschancen in Umwelttechnologien und Ökoprodukten liegen und dass Investition in Umweltfreundlichkeit heute nicht mehr nur Gewinnschmälerung, sondern durchaus sogar Gewinn bedeuten kann.
Es kann nicht sein, dass am Ende ein paar verbitterte Wissenschaftler auf der inzwischen fast vollständig ruinierten Erde sitzen und sagen: Wir haben es doch schon die ganze Zeit gewusst. Manche haben dies verstanden. So auch Charles (Chuck) Kutscher vom National Renewable Energy Laboratory, mit dem ich mich nach der Preisverleihung für Wissenschaftsjournalisten der AAAS im Bus über mangelnde Wissenschaftskommunikation unterhalten habe.
Die Amerikanische Solarenergiegesellschaft hat gerade einen 200-seitigen Bericht darüber herausgegeben, wie die Reduktion der CO2-Emission bei wachsender Wirtschaftslage genau aussehen kann. Erreicht würde die vorgeschlagene CO2-Ausstoßverminderung zu 57 Prozent durch Energiesparmaßnahmen und Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung, sowie zu 43 Prozent durch Nutzung der sechs erneuerbaren Energiequellen. Kutscher arbeitete daran mit, sendete den Bericht an alle Kongressabgeordneten und hielt heute morgen hier einen Vortrag zum Report.
Wissenschaftler als Diplomaten
Der Präsident der AAAS rief in seiner Einstiegsrede Wissenschaftler und Ingenieure dazu auf, zehn Prozent ihrer Arbeitszeit in unser nachhaltiges Wohlergehen auf der Erde zu investieren. Larry Page schlug den USA in seinem Hauptvortrag vor, ihren schlechten Ruf im Rest der Welt zu korrigieren und mehr Geld in Umweltschutz und Hilfsmaßnahmen in der Dritten Welt zu investieren. "Wissenschaftler und Ingenieure als Diplomaten des 21. Jahrhunderts" war ein Workshop betitelt. Wissenschaft und internationale Umweltschutzprojekte könnten so nicht nur die Umwelt retten, sondern letztendlich vielleicht auch internationale Beziehungen verbessern.
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