Anne-Sophie Mutter
Ihre Helden der Geschichte sind Paul und Hanna Gräb: "Nicht lange geredet, sondern angepackt"
Paul Gräb und seine Frau Hanna sind mir seit meiner Kindheit Vorbilder, denen ich mit tiefer Dankbarkeit nacheifere. Mein Taufpfarrer ist ein großer Kunstliebhaber und war befreundet mit Max Ackermann, Otto Dix, HAP Grieshaber und Erich Heckel. Anfang der 1960er Jahre gehörten sie zu einer Reihe prominenter Künstler, die einige ihrer Werke spendeten und dem "Kunstpfarrer" so eine Orgel für seine Kirche in meiner Heimatstadt Wehr-Öflingen im Südschwarzwald finanzierten.
Außerdem organisierten Paul und Hanna Gräb zusammen mit einem großen Freundeskreis regelmäßig Ausstellungen und knüpften enge Bande zwischen Kunst und Kirche. Auf diese Weise erwirtschaftete das Pfarrerehepaar innerhalb einiger Jahrzehnte mehrere Millionen Mark und konnte 1985 in Wehr-Öflingen das "Haus der Diakonie" einweihen. Es bietet heute rund 80 Menschen mit geistiger Behinderung eine Heimat und einen Ort zur Lebensentfaltung. Die Verschiedenheit der Menschen haben Paul und Hanna Gräb stets als persönliche Herausforderung gesehen, ihnen würdige Lebensumstände zu ermöglichen.
Als wäre das nicht schon genug, gehörten die beiden zu den Ersten, die die therapeutische Bedeutung künstlerischer Tätigkeit erkannten und in die Praxis umsetzten. Im Lauf der Zeit führten sie zahlreiche Wettbewerbe, Auktionen, Workshops und gemeinsame Ausstellungen von behinderten und nicht behinderten Künstlern durch.
Im Rückblick erscheint das »Modell Wehr-Öflingen« als eine wunderbare, beinahe selbstverständliche Erfolgsgeschichte – allerdings nur, wenn man Mut, Wahrhaftigkeit und Beharrungsvermögen zu den selbstverständlichen Charakterzügen zählt. Denn als Paul und Hanna Gräb mit ihrem Engagement für behinderte Menschen begannen, war das politisch längst noch nicht opportun; noch viel weniger versprach es gesellschaftliche Anerkennung. Dass sie dafür Künstler um Unterstützung baten, die nicht lange zuvor als entartet gebrandmarkt worden waren, ist nur ein weiteres Steinchen im Mosaik. Die beiden haben nicht darüber geredet, was sein sollte oder könnte, sie haben einfach angepackt. Und das vielen Zweifeln und Widrigkeiten zum Trotz.
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