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Betreff: "On doit avoir confiance"

Stillstehender Propeller
Abreisetag. Abschied von Wächter Samy und seiner Familie, Abschied von Léon, der mich noch zum Flughafen bringt.

Gegen 10.00 Uhr steige ich mit etwa 15 weiteren Reisenden in eine DHC-6 Twin Otter, eine kleine, zweimotorige Propellermaschine. Wir überfliegen den Kirindy-Wald, kurz darauf gibt es keine Bäume mehr zu sehen, nur noch gerodetes Land; nackte, rote Erde, durchzogen von Flüssen, die durch ihre Sedimentfracht auch rot gefärbt sind und sich am Horizont wie offene Adern ins Meer ergießen. Abholzung und dadurch bedingte Erosion sind die schwerwiegendsten Umweltprobleme in Madagaskar.
Erosion | Fehlen die schützenden Wälder, wie hier in Zentralmadagaskar, hat die Erosion leichtes Spiel.


Nach etwa einer halben Stunde ändert sich der monotone Brummton der Motoren abrupt und wird heller, schriller. Ein Blick aus dem Fenster erklärt die Veränderung: Einer der Motoren ist ausgefallen, der linke Propeller dreht sich nur noch langsam im Flugwind.

Leichte Panik kommt in der Kabine auf, die Piloten rufen den Flugbegleiter zu sich nach vorne. Als er zurück durch den Mittelgang kommt, lächelt er nach links und rechts: "Alles o.k., wir können auch mit einem Motor Tana erreichen."

Die Maschine schwankt leicht, zwei Männer in der ersten Reihe nehmen sich in die Arme, eine Frau würgt, eine andere beginnt zu weinen. Ein älterer Franzose neben mir raunt: "Die können einem ja wer weiß was erzählen!" Als wir durch einige Wolken fliegen, taumelt die Maschine heftig. Wir alle halten uns sinnloser Weise an unseren Sitzlehnen fest, die Stimmung steht bei einigen auf der Kippe zur Hysterie.

Stillstehender Propeller | Beunruhigender Anblick: Nach Motorausfall steht einer der beiden Propeller still.
Um die Gedanken an einen möglichen Absturz zu vertreiben und auch aus Interesse, beginne ich mit dem Flugbegleiter ein Gespräch über Notlandungen: "Hier unter uns ist ja alles schön gerodet, da kann man bestimmt gut landen", sage ich eher spaßig. "Stimmt, das müsste ganz gut gehen, das machen wir dann, wenn der zweite Motor wegen Überlastung auch ausfällt", antwortet Mr. Steward ganz ernsthaft. Der Franzose neben mir verdreht die Augen.

Die Maschine brauche auch nur eine Strecke von 200 bis 300 Metern zum Landen, erzählt mir mein Gesprächspartner begeistert. Ob denn so ein Motorenausfall schon mal vorgekommen sei, frage ich. "Nein", sagt er und lacht, "on doit avoir confiance!" – ein echter Hobbypsychologe.

Da wir nur noch mit einem Motor fliegen, verlängert sich die Flugdauer um zwanzig Minuten, so die Information aus dem Cockpit. Die Zeit vergeht quälend langsam, man fühlt sich eingesperrt. Die meisten Passagiere blicken unentwegt zum stillstehenden Propeller. Ich gucke absichtlich nur auf der anderen Seite hinaus und mache Landschaftsaufnahmen – man muss sich das Elend ja nicht noch die ganze Zeit vor Augen halten.

Endlich tauchen die Häuser von Tana unter uns auf. Noch einmal durch Wolken hindurch, dann wird die Landebahn sichtbar. Das Flugzeug schaukelt hin und her, schließlich setzen wir auf, es ruckt von rechts nach links, und für kurze Zeit wirkt es so, als würden wir seitlich ins Gras ausbrechen, dann endlich stehen wir. Der Gestank des Motors, der für zwei gearbeitet hat, liegt in der Luft.

"Félicitations à tous!" krakeelt der Flugbegleiter, die Landung sei immer das Schwierigste. Der Franzose flucht. Mit zitternden Knien steige ich aus und gehe nach vorn zum Piloten, der inzwischen seine Tür geöffnet hat: "Misaotra betsaka – Vielen Dank!"

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