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Die schnelle Entwicklung der schnellsten Rechner

Thomas Sterling ist ein Wissenschaftler, wie ihn sich die Welt nur wünschen kann. Er ist nicht nur genial: Seiner Arbeit ist es zu verdanken, dass ganz gewöhnliche PC-Einzelteile, zu so genannten Beowulf-Clustern zusammengestöpselt, sich zu ungeahnten Rechen-Höchstleistungen aufschwingen.

Er ist auch kreativ im sparsamen Umgang mit den stets knappen Ressourcen: Weil er die beantragte Rechenleistung nicht bewilligt bekam, schlachtete er ausgemusterte Computer aus und baute aus dem mühsam wiederbelebtem Schrott die ersten Beowulf-Cluster. Wie hat sich das Bild seitdem gewandelt! Der zurzeit schnellste Rechner der Welt besteht – welch Wunder – aus eigens dafür entworfenen Neuteilen; aber im Grunde seines Herzens ist er, in Weiterentwicklung des Sterling’schen Konzepts, ein Cluster.

Sterling hat es auch nicht nötig, irgendwelche Defizite hinter einer aufgeblasenen Fachsprache zu verstecken. Sein Hauptvortrag auf der Internationalen Supercomputer-Konferenz vom Sommer 2004, immerhin eine Fachtagung, war von solch kristallener Klarheit, dass wir ihn mit einem bescheidenen Maß an Zusatzerläuterungen zu einem "Spektrum"-Artikel ausbauen konnten.

Und er ist von einer geradezu vorbildlichen Bescheidenheit (was sich nebenher auch dadurch bemerkbar macht, dass er dem kleinen "Spektrum"-Redakteur geduldig Rede und Antwort steht, bis auch der das Wesentliche endlich begriffen hat). Statt sich in dem Ruhm zu sonnen, den der phänomenale Erfolg seines Konzepts ihm eingebracht hat, ist er selbst der Erste, der seines eigenen Geistes Kind für tot erklärt.

Hochleistungsrechnen ist ein Geschäft ganz besonderer Art. Es geht um viel Geld – einige hundert Millionen muss man für ein richtig großes Gerät schon hinblättern –, und die Kundschaft ist außergewöhnlich launisch: Ministerien, Forschungsagenturen und Parlamente ändern ihre Meinung darüber, ob die Wissenschaft einen neuen Superrechner haben muss, häufig sehr plötzlich. (Nur die Geheimdienste haben einen ziemlich konstanten Bedarf, sprechen aber nicht so gerne darüber.) Auch für eine große Firma ist es daher ziemlich riskant, in Erwartung zukünftiger Geschäfte mit großem Aufwand völlig neue Ideen weiterzuentwickeln. So bekommt diese eigentlich höchst innovative Branche einen ganz merkwürdigen Hang zum Konservativen: Man hält an einem einst erfolgreichen Konzept fest, obgleich es längst Besseres gibt. Das Bessere aber hat, da noch unreif, keine Chance hochzukommen. Fortran, das Message Passing Interface und neuerdings auch Beowulf zählen zu den Dinosauriern, die bis heute die Szene dominieren, obgleich sie sich längst überlebt haben.

Unser Dossier "Supercomputing“, das seit dem 9. März im Handel ist, fasst, wie bei Dossiers üblich, unsere Artikel zu einem Thema aus den letzten fünf Jahren zusammen. Aber dass in diesem kurzen Zeitraum das ganze Leben einer Idee – Geburt, Blüte und Veraltung – abläuft und bei uns beschrieben wird, ist ungewöhnlich. Thomas Sterling, einer der Helden dieser Geschichte, ist alles andere als ein tragischer Held, denn vor lauter neuen Ideen hat er wenig Zeit, seinem Beowulf nachzuweinen.

Was hat sich noch in der Supercomputing-Szene getan? Eine Menge. Es gab an den Artikeln außergewöhnlich viele Einzelheiten zu aktualisieren. Ein Rechenleistungsrekord jagt den anderen. Manche damals angekündigten Produkte sind inzwischen auf dem Markt, zu anderen sind die Internetseiten merkwürdigerweise seit einem Jahr nicht mehr verändert worden.

Aber wohlgemerkt: Das waren nur die Aussagen zum Markterfolg. Die Darstellung der wissenschaftlichen Grundlagen ist frisch wie am ersten Tag und wird es voraussichtlich noch eine ganze Weile bleiben.

Christoph Pöppe

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