Guido Westerwelle
Sein Held der Geschichte ist Kaspar Hauser: "Die gesellschaftliche Ordnung radikal in Frage gestellt"
Kaspar Hausers Leben spannte den breitestmöglichen Bogen zwischen absoluter Vereinsamung und größter Bekanntheit. Wer heute seinen Namen hört, stellt sich meist eine in der Wildnis entdeckte Gestalt vor, die Urlaute ausstieß. Tatsächlich aber wurde Kaspar Hauser nicht zufällig gefunden, sondern er trat vor 180 Jahren, am 26. Mai 1828, von sich aus auf einem Nürnberger Marktplatz Hilfe suchend an einen Bürger heran. Einem Brief zufolge, den er bei sich trug, war er als Säugling im Herbst 1812 anonym einem Tagelöhner überlassen worden. Offenbar war er vollkommen isoliert von menschlichen Kontakten herangewachsen.
Über seine Vergangenheit, seinen Geisteszustand und seine praktischen Fähigkeiten, die von den verschiedensten Fachleuten jahrelang examiniert wurden, gingen die Meinungen und Analysen teils deutlich auseinander. Persönliche Zufriedenheit oder gar Glück hat Kaspar Hauser aber offenbar nie gefunden. Er starb am 17. Dezember 1833 im Alter von nur 21 Jahren an einer Stichverletzung, deren Umstände ähnlich rätselhaft blieben wie sein ganzes Leben.
Als Wunderling ohne jede soziale Prägung passte Kaspar Hauser überhaupt nicht in das bis heute nachwirkende konservative Weltbild, wonach jeder sich mit dem Platz begnügen sollte, auf den der liebe Gott ihn hingestellt hatte. Bildung als ein Bürgerrecht, das es ermöglichen soll, aus eigener Anstrengung heraus seinen Platz im Leben selbst zu bestimmen, gab es noch nicht.
Ob Kaspar Hauser eine unendlich armselige Gestalt war oder womöglich ein gewiefter Scharlatan, vermag ich nicht zu beurteilen. Für mich ist wichtig, dass der junge Mann die damalige gesellschaftliche Ordnung radikal in Frage gestellt hat – und der Welt einen auch heute noch wichtigen Denkanstoß verpasste zum Verhältnis zwischen Obrigkeit und individuellen Chancen, Persönlichkeitsentwicklung und selbstbestimmtem Leben
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