Hirnscan oder Kaffee? Hauptsache genau ...
Steve: Wusstest du eigentlich, dass man neuerdings sogar Gehirn und Geist erforscht?
Nette: Öhm, klar – worüber berichtet ihr denn die ganze Zeit?
S: Nein, ich meine "Gehirn&Geist", das Magazin.
N: Lass mich raten – der Name wird "pragmalinguistisch desavouiert"?
S: Holla! Nein, wie kommst du darauf?
N: Naja, wenn man Sprachforscher fragt, dann sagen die "Geist&Gehirn" sei geschmeidiger. Wegen bestimmter phonologischer Gesetzmäßigkeiten, mit denen ich dich nicht langweilen will. Ich sage nur: Es heißt "Sinn und Sinnlichkeit" – nicht "Sinnlichkeit und Sinn".
S: Naja, aber Linguisten glauben ja auch, dass …
N: Pfff, keine Sottisen gegen mein Fach, bitte. Also, wer hat "Gehirn&Geist“ warum erforscht?
S: "Mit bunten Bildern zur Erkenntnis? Neuroimaging und Wissenspopularisierung am Beispiel des Magazins Gehirn&Geist" – so heißt ein Fachartikel der Medizinethiker Dominik Groß und Sabine Müller von der RWTH Aachen. Die beiden Autoren untersuchten, wie wir in Gehirn&Geist bildgebende Verfahren darstellen.
N: Na, ihr druckt sie ab – die Ergebnisse der bildgebenden Verfahren. Oder?
S: Etwas mehr Ernst, Kollegin! Also: Groß und Müller loben solche Beiträge im Heft, die ausführlich auf "Möglichkeiten und Grenzen funktioneller Bildgebung" hinweisen. Schlecht finden sie es dagegen, wenn unsere Autoren Hirnareale, die beim Gedanken an den Traumpartner aktiv werden, kurzerhand als Liebesmodule titulieren. Das werde der Realität nicht gerecht.
N: Wahrscheinlich klingt ihnen das zu sehr nach Franz Joseph Galls Phrenologie. Pseudowissenschaft nennt man das, was Gall trieb – nämlich bestimmte mentale Funktionen einzelnen Schädelbeulen zuzuordnen. Davon will man sich heute abgrenzen.
S: Klarer Fall: Phrenologie ist out. Auch unter Forschern. Und Journalisten. Aber um Forschungsergebnisse dem Laien anschaulich zu machen, verpacken sie sie eben in griffige Metaphern.
N: Und handeln sich damit von Philosophen den Vorwurf der Ungenauigkeit und der Verkürzung ein.
S: So sieht's aus. "Ist doch in Wirklichkeit alles viel komplizierter", rufen diese dann empört.
N: Ist doch auch so! Die Frage ist, ob das schlimm ist.
S: Ja, die alte Krux: Streng genommen ist im Hirn immer die Hölle los – rund um die Uhr. So etwas Kompliziertes wie die Liebe ist nie in einem einzigen Areal zuhause. Und überhaupt: Um rauszufinden, was das Bild der oder des Angebeteten im Oberstübchen auslöst, muss man es abwechselnd mit Vergleichsbildern immer wieder der Versuchsperson präsentieren und die per Hirnscan gewonnenen Daten aufwändig miteinander verrechnen. Nur so lässt sich das Liebesgeflüster aus dem Tohuwabohu im Kopf herausmitteln. Ups – "Liebesgeflüster" – aber da flüstert ja gar keiner. Das ist journalistisch! Stimmt. Aber mal ehrlich: Wer will den ganzen Rest wirklich wissen?!
N: Der "ganze Rest" spielt einfach eine Rolle dabei, was man aus den Ergebnissen von Hirnscans macht.
S: Ich finde, das sind zwei paar Stiefel (herrje, immer diese Metaphern!): Das eine betrifft die Frage, wie exakt man eine Methode beschreiben muss, das andere, wie man deren Ergebnisse interpretiert. Die Kaffeemaschine kocht Kaffee – ok? Extrem verkürzte Sachlage! Was ist eigentlich Kaffee, wo kommt der her, wie fein wurde er gemahlen, und was wäscht das heiße Wasser da aus der Bohne raus? Das alles verschweigt der Satz. Aber wie uns der Kaffee schmeckt, scheint mir doch ein anderes Thema zu sein.
N: Du meinst also: Für den Hausgebrauch mag "Die Kaffeemaschine kocht Kaffee" reichen; dem Mechaniker, der das Ding reparieren muss, genügt das aber nicht – er will genau wissen, mit welchem Filter, mit welchem Wasser etc. pp. (Jaja, ich weiß, dass man heute Kaffeemaschinen nicht mehr repariert. Kein Kommentar!). Das steckt also hinter der Kritik: Schreibe genauer!
S: Genau.
N: Und was hat das Schmecken des Kaffees jetzt damit zu tun?
S: Nun ja, das ist so wie das Interpretieren von Hirnscans: Was gibt mir das Gebräu? Trifft eher die Guatemala-Espresso-Hypothese zu oder doch die Hochland-Cappuccino-Theorie? Und wie wichtig nehme ich den Kaffee an und für sich?
N: Hmm, verstehe.
S: Ergo – alles eine Frage der Perspektive: Der Philosoph hat es gern genau – nur der Laie will im Zweifel erst einmal verstehen, worum es geht.
N: Gebe es da nur nicht diese merkwürdige Angst vor bildgebenden Verfahren. Die "Farbkleckse", die sie produzieren, seien doch nur Artefakte, die würden nichts aussagen, heißt es immer wieder.
S: Irrtum! Die bunten Aktivierungsmuster mögen auf komplexen Berechnungen beruhen und bei Weitem nicht alles darüber verraten, was im Kopf vor sich geht – aber sie verraten trotzdem eine ganze Menge. Und es ist legitim, das auf prägnante Weise rüberzubringen.
N: Aber vielleicht schadet es nicht, ab und zu mal das Wort "interpretieren" in die Texte zu weben. Also: "Forscher X interpretiert die Daten so und so." Dann versteht der Leser: Aha, Forscher Y könnte das eventuell auch anders sehen.
S: Is' scho' recht, Frau Professor!
N: Sag mal – haben die beiden Medizinethiker eigentlich erklärt, was sie genau unter "Bildgebungsdaten genauer beschreiben" verstehen?
S: Naja, sie empfehlen stets eine Art Disclaimer einzufügen nach dem Motto: Diese Hirnscanbilder sind so und so entstanden und in jedem Fall mit Vorsicht zu genießen. Die Bilder allein könnten allzu leicht dazu verleiten, dass man sie für bare Münze nimmt. Zwischen den Zeilen les ich daraus: Je genauer Ihr schreibt, desto besser.
N: Na, dann wisst Ihr ja jetzt Bescheid ...
S: Tja. Zeit, den nächsten Kaffee zu kochen.
Nette: Öhm, klar – worüber berichtet ihr denn die ganze Zeit?
S: Nein, ich meine "Gehirn&Geist", das Magazin.
N: Lass mich raten – der Name wird "pragmalinguistisch desavouiert"?
S: Holla! Nein, wie kommst du darauf?
N: Naja, wenn man Sprachforscher fragt, dann sagen die "Geist&Gehirn" sei geschmeidiger. Wegen bestimmter phonologischer Gesetzmäßigkeiten, mit denen ich dich nicht langweilen will. Ich sage nur: Es heißt "Sinn und Sinnlichkeit" – nicht "Sinnlichkeit und Sinn".
S: Naja, aber Linguisten glauben ja auch, dass …
N: Pfff, keine Sottisen gegen mein Fach, bitte. Also, wer hat "Gehirn&Geist“ warum erforscht?
S: "Mit bunten Bildern zur Erkenntnis? Neuroimaging und Wissenspopularisierung am Beispiel des Magazins Gehirn&Geist" – so heißt ein Fachartikel der Medizinethiker Dominik Groß und Sabine Müller von der RWTH Aachen. Die beiden Autoren untersuchten, wie wir in Gehirn&Geist bildgebende Verfahren darstellen.
N: Na, ihr druckt sie ab – die Ergebnisse der bildgebenden Verfahren. Oder?
S: Etwas mehr Ernst, Kollegin! Also: Groß und Müller loben solche Beiträge im Heft, die ausführlich auf "Möglichkeiten und Grenzen funktioneller Bildgebung" hinweisen. Schlecht finden sie es dagegen, wenn unsere Autoren Hirnareale, die beim Gedanken an den Traumpartner aktiv werden, kurzerhand als Liebesmodule titulieren. Das werde der Realität nicht gerecht.
N: Wahrscheinlich klingt ihnen das zu sehr nach Franz Joseph Galls Phrenologie. Pseudowissenschaft nennt man das, was Gall trieb – nämlich bestimmte mentale Funktionen einzelnen Schädelbeulen zuzuordnen. Davon will man sich heute abgrenzen.
S: Klarer Fall: Phrenologie ist out. Auch unter Forschern. Und Journalisten. Aber um Forschungsergebnisse dem Laien anschaulich zu machen, verpacken sie sie eben in griffige Metaphern.
N: Und handeln sich damit von Philosophen den Vorwurf der Ungenauigkeit und der Verkürzung ein.
S: So sieht's aus. "Ist doch in Wirklichkeit alles viel komplizierter", rufen diese dann empört.
N: Ist doch auch so! Die Frage ist, ob das schlimm ist.
S: Ja, die alte Krux: Streng genommen ist im Hirn immer die Hölle los – rund um die Uhr. So etwas Kompliziertes wie die Liebe ist nie in einem einzigen Areal zuhause. Und überhaupt: Um rauszufinden, was das Bild der oder des Angebeteten im Oberstübchen auslöst, muss man es abwechselnd mit Vergleichsbildern immer wieder der Versuchsperson präsentieren und die per Hirnscan gewonnenen Daten aufwändig miteinander verrechnen. Nur so lässt sich das Liebesgeflüster aus dem Tohuwabohu im Kopf herausmitteln. Ups – "Liebesgeflüster" – aber da flüstert ja gar keiner. Das ist journalistisch! Stimmt. Aber mal ehrlich: Wer will den ganzen Rest wirklich wissen?!
N: Der "ganze Rest" spielt einfach eine Rolle dabei, was man aus den Ergebnissen von Hirnscans macht.
S: Ich finde, das sind zwei paar Stiefel (herrje, immer diese Metaphern!): Das eine betrifft die Frage, wie exakt man eine Methode beschreiben muss, das andere, wie man deren Ergebnisse interpretiert. Die Kaffeemaschine kocht Kaffee – ok? Extrem verkürzte Sachlage! Was ist eigentlich Kaffee, wo kommt der her, wie fein wurde er gemahlen, und was wäscht das heiße Wasser da aus der Bohne raus? Das alles verschweigt der Satz. Aber wie uns der Kaffee schmeckt, scheint mir doch ein anderes Thema zu sein.
N: Du meinst also: Für den Hausgebrauch mag "Die Kaffeemaschine kocht Kaffee" reichen; dem Mechaniker, der das Ding reparieren muss, genügt das aber nicht – er will genau wissen, mit welchem Filter, mit welchem Wasser etc. pp. (Jaja, ich weiß, dass man heute Kaffeemaschinen nicht mehr repariert. Kein Kommentar!). Das steckt also hinter der Kritik: Schreibe genauer!
S: Genau.
N: Und was hat das Schmecken des Kaffees jetzt damit zu tun?
S: Nun ja, das ist so wie das Interpretieren von Hirnscans: Was gibt mir das Gebräu? Trifft eher die Guatemala-Espresso-Hypothese zu oder doch die Hochland-Cappuccino-Theorie? Und wie wichtig nehme ich den Kaffee an und für sich?
N: Hmm, verstehe.
S: Ergo – alles eine Frage der Perspektive: Der Philosoph hat es gern genau – nur der Laie will im Zweifel erst einmal verstehen, worum es geht.
N: Gebe es da nur nicht diese merkwürdige Angst vor bildgebenden Verfahren. Die "Farbkleckse", die sie produzieren, seien doch nur Artefakte, die würden nichts aussagen, heißt es immer wieder.
S: Irrtum! Die bunten Aktivierungsmuster mögen auf komplexen Berechnungen beruhen und bei Weitem nicht alles darüber verraten, was im Kopf vor sich geht – aber sie verraten trotzdem eine ganze Menge. Und es ist legitim, das auf prägnante Weise rüberzubringen.
N: Aber vielleicht schadet es nicht, ab und zu mal das Wort "interpretieren" in die Texte zu weben. Also: "Forscher X interpretiert die Daten so und so." Dann versteht der Leser: Aha, Forscher Y könnte das eventuell auch anders sehen.
S: Is' scho' recht, Frau Professor!
N: Sag mal – haben die beiden Medizinethiker eigentlich erklärt, was sie genau unter "Bildgebungsdaten genauer beschreiben" verstehen?
S: Naja, sie empfehlen stets eine Art Disclaimer einzufügen nach dem Motto: Diese Hirnscanbilder sind so und so entstanden und in jedem Fall mit Vorsicht zu genießen. Die Bilder allein könnten allzu leicht dazu verleiten, dass man sie für bare Münze nimmt. Zwischen den Zeilen les ich daraus: Je genauer Ihr schreibt, desto besser.
N: Na, dann wisst Ihr ja jetzt Bescheid ...
S: Tja. Zeit, den nächsten Kaffee zu kochen.
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