Höhenflüge, nicht immer ungefährlich - Spektrum-Biografie über Wernher von Braun
Die Gedenktage häufen sich dieses Jahr und sie passen zusammen: Am 16. Juni ist es dreißig Jahre her, dass der Raumfahrtpionier Wernher von Braun starb. Die Spektrum-Biografie erinnert an diesen außergewöhnlichen Forscher und seinen "langen Weg zum Mond". Außerdem: Am 4. Oktober wird man an den Sputnik denken, mit dem das Raumfahrt-Zeitalter eröffnet wurde.
Ende der 1980er Jahre hatte ich einmal Gelegenheit, im sowjetischen Raumfahrtzentrum Baikonur/Kasachstan einem bemannten Raumstart beizuwohnen. Mit einer Sojus-Kapsel sollten drei „Kosmonauten“ zur Raumstation „Mir“ fliegen. Ein paar Journalisten und ich konnten auf der Startrampe umherspazieren und zusehen, wie die Mannschaft, junge Soldaten, die Raketen aufrichteten. Während ich mich, drei Meter von den Triebwerken entfernt, mit dem Verantwortlichen unterhielt, peilten zwei Soldaten mit einer Art Fernrohr Markierungen auf der Rakete an; per Handzeichen drehte sich dann der Starttisch mit der Rakete um ein paar Zentimeter in die Senkrechte. Eine Übung einer süddeutschen Dorffeuerwehr stellte ich mir komplizierter vor. In der Ferne stand „Buran“, Russlands Antwort auf das „Spaceshuttle“, die aber nur einmal um die Erde kurvte – ohne Pilot.
Neben der unförmigen Startrampe entdeckte ich die Relikte eines alten Friedhofs. Hier, nicht weit von einigen Sümpfen, aber nahe bei allen Moskitos, hier in der Nähe muss sie gestanden haben – die Hütte, in der Ingenieur Konstantin Gringauz und sein Kollege am 4. Oktober 1957 händeringend darauf warteten, dass der eben gestartete „Sputnik 1“ mit seinem Radiopiepsen wieder über dem Horizont auftauche. Gringauz und seine Gruppe hatten den Sender gebaut, der mit seinem „Biep-Biep“-Signal, das Amateurfunker überall leicht empfangen konnten, damals die Welt erschütterte – der Sputnik-Schock war entstanden.
»Im Westen herrschte alsbald Katerstimmung«
Die Rakete stand schon startbereit auf der Rampe, da musste Gringauz noch einmal zur Raketenspitze hochklettern, die Luke öffnen und über eine Antennenausleitung testen, ob der Radiosender auch wirklich funktionierte. „Ich war also der letzte Mensch, der Sputnik berührte!“, rief mir der Ingenieur zu, auch Jahrzehnte später noch immer von seiner waghalsigen Klettertour begeistert. In diesem Herbst werden die Russen den 50. Jahrestag kräftig begehen. Ach ja: Nach ziemlich genau 90 Minuten fing auch ihr Empfänger an, das dünne Piep-Piep auszustoßen. Der erste künstliche Himmelskörper hatte die Erde erfolgreich umrundet. Gringauz und sein Kollege lagen sich überglücklich in den Armen und ertränkten ihre Pioniertat in Wodka.
Im Westen herrschte alsbald Katerstimmung. Wernher von Braun war zum Ende des Zweiten Weltkriegs mit seinem Know-how aus Peenemünde rasch zu den Amerikanern gewechselt. Die Konstruktionspläne seiner V2-Raketen hatte er mitgebracht – sowie die meisten Entwickler seines Teams. Schon 1955 hatte der Pressesprecher des Weißen Hauses angekündigt, dass die USA einen künstlichen Satelliten starten wollten. Als kaum vier Wochen später „Sputnik 2“ mit der Hündin Laika die Erde umkreiste, gerieten die Amerikaner doch reichlich in Panik. Die US-Marine startete Anfang Dezember 1957 ihre noch unausgereifte Vanguard-Rakete, die prompt kurz nach dem Start explodierte.
»Doch bis zum strahlenden Sieg der ersten Mondlanung war es noch ein harter Weg«
Das war von Brauns Stunde. Nur Wochen später, Ende Januar 1958, erreichte der erste amerikanische Satellit „Explorer 1“ getragen von einer „Jupiter C“-Rakete von Brauns die Umlaufbahn. Bis zur erfolgreichen Mondlandung mit seinem „Apollo-Programm“ reichte danach der Höhenflug des deutschen Emigranten. Die üble Nazivorgeschichte wurde in diesen Jahren höchstens beiläufig artikuliert. Keiner wollte besonders laut darüber sprechen, dass mit der „V2“ in den letzten beiden Kriegsjahren London und Antwerpen bombardiert wurden, wobei tausende Menschen umkamen. Der amerikanische Nationalheld von Braun, der den ehrgeizigen Wettlauf zum Mond gegen die Sowjetunion gewann, durfte keinen Kratzer bekommen.
Doch bis zum strahlenden Sieger mit der ersten Mondlandung im Juli 1969 war es noch ein langer Weg. Zuvor mussten sich die USA und eben hauptsächlich von Braun dreimal von der Konkurrenz geschlagen geben, als die sowjetischen Raketenbauer förmlich ein Feuerwerk an Raumexpeditionen abfackelten. Einmal, als im April 1961 Juri Gagarin als erster Mensch die Erde umrundete; ein zweites Mal, als am 13. September 1959 die sowjetische Sonde „Lunik 2“ hart auf dem Mond aufschlug – als erster künstlicher Flugkörper überhaupt, der gezielt die Mondoberfläche erreichte. Und schließlich wenige Wochen später, als „Lunik 3“ am 6. Oktober 1959 in einer Entfernung von 6200 Kilometern am Mond vorbeiflog. Die Sonde hatte eine Kamera an Bord, mit der sie insgesamt 29 Aufnahmen lieferte, darunter erste Aufnahmen von der Rückseite des Mondes.
»Erstmals sah man etwas, was die Menschheit noch nie gesehen hatte – ungeheuerlich!«
Als diese ersten Fotos in den Zeitungen abgedruckt wurden, war ich gerade 13 Jahre alt. Ich sah die Aufnahmen und ein Schauder lief mir den Rücken herunter. Erstmals sah man etwas, was die Menschheit noch nie gesehen hatte – ungeheuerlich! Dabei gab es ja wenig zu sehen, die Rückseite des Mondes ist deutlich weniger verkratert als die Vorderseite. Und sicher hatte ich auch keine solipsistisch-quantenphysikalischen Ideen im Kopf, wonach die Rückseite des Mondes erst existieren sollte, nachdem sie (von uns) tatsächlich beobachtet wird. Aber an meine Gefühlsreaktion erinnere ich mich noch immer, wenn etwa die Marsrover munter auf dem Roten Planeten herumfahren und ihre Fotos schießen.
Jetzt, wo sich am 16. Juni 2007 der 30. Todestag des Raumfahrtpioniers jährt, wird daran viel offener gedacht als noch zu Hochzeiten des Kalten Kriegs. Nachzulesen ist das übrigens – wie ich finde: besonders eindrucksvoll (und manchmal deprimierend) in unserer Biografie „Wernher von Braun – Der lange Weg zum Mond“. Wir haben aus Anlass des Todestages einen Artikel daraus als kostenlose Leseprobe freigestellt und bieten sie – im Dreierpack mit den Biografien von Nikolaus Kopernikus und Johannes Kepler – zum Preis einer Biografie an.
Reinhard Breuer
Ende der 1980er Jahre hatte ich einmal Gelegenheit, im sowjetischen Raumfahrtzentrum Baikonur/Kasachstan einem bemannten Raumstart beizuwohnen. Mit einer Sojus-Kapsel sollten drei „Kosmonauten“ zur Raumstation „Mir“ fliegen. Ein paar Journalisten und ich konnten auf der Startrampe umherspazieren und zusehen, wie die Mannschaft, junge Soldaten, die Raketen aufrichteten. Während ich mich, drei Meter von den Triebwerken entfernt, mit dem Verantwortlichen unterhielt, peilten zwei Soldaten mit einer Art Fernrohr Markierungen auf der Rakete an; per Handzeichen drehte sich dann der Starttisch mit der Rakete um ein paar Zentimeter in die Senkrechte. Eine Übung einer süddeutschen Dorffeuerwehr stellte ich mir komplizierter vor. In der Ferne stand „Buran“, Russlands Antwort auf das „Spaceshuttle“, die aber nur einmal um die Erde kurvte – ohne Pilot.
Neben der unförmigen Startrampe entdeckte ich die Relikte eines alten Friedhofs. Hier, nicht weit von einigen Sümpfen, aber nahe bei allen Moskitos, hier in der Nähe muss sie gestanden haben – die Hütte, in der Ingenieur Konstantin Gringauz und sein Kollege am 4. Oktober 1957 händeringend darauf warteten, dass der eben gestartete „Sputnik 1“ mit seinem Radiopiepsen wieder über dem Horizont auftauche. Gringauz und seine Gruppe hatten den Sender gebaut, der mit seinem „Biep-Biep“-Signal, das Amateurfunker überall leicht empfangen konnten, damals die Welt erschütterte – der Sputnik-Schock war entstanden.
»Im Westen herrschte alsbald Katerstimmung«
Die Rakete stand schon startbereit auf der Rampe, da musste Gringauz noch einmal zur Raketenspitze hochklettern, die Luke öffnen und über eine Antennenausleitung testen, ob der Radiosender auch wirklich funktionierte. „Ich war also der letzte Mensch, der Sputnik berührte!“, rief mir der Ingenieur zu, auch Jahrzehnte später noch immer von seiner waghalsigen Klettertour begeistert. In diesem Herbst werden die Russen den 50. Jahrestag kräftig begehen. Ach ja: Nach ziemlich genau 90 Minuten fing auch ihr Empfänger an, das dünne Piep-Piep auszustoßen. Der erste künstliche Himmelskörper hatte die Erde erfolgreich umrundet. Gringauz und sein Kollege lagen sich überglücklich in den Armen und ertränkten ihre Pioniertat in Wodka.
Im Westen herrschte alsbald Katerstimmung. Wernher von Braun war zum Ende des Zweiten Weltkriegs mit seinem Know-how aus Peenemünde rasch zu den Amerikanern gewechselt. Die Konstruktionspläne seiner V2-Raketen hatte er mitgebracht – sowie die meisten Entwickler seines Teams. Schon 1955 hatte der Pressesprecher des Weißen Hauses angekündigt, dass die USA einen künstlichen Satelliten starten wollten. Als kaum vier Wochen später „Sputnik 2“ mit der Hündin Laika die Erde umkreiste, gerieten die Amerikaner doch reichlich in Panik. Die US-Marine startete Anfang Dezember 1957 ihre noch unausgereifte Vanguard-Rakete, die prompt kurz nach dem Start explodierte.
»Doch bis zum strahlenden Sieg der ersten Mondlanung war es noch ein harter Weg«
Das war von Brauns Stunde. Nur Wochen später, Ende Januar 1958, erreichte der erste amerikanische Satellit „Explorer 1“ getragen von einer „Jupiter C“-Rakete von Brauns die Umlaufbahn. Bis zur erfolgreichen Mondlandung mit seinem „Apollo-Programm“ reichte danach der Höhenflug des deutschen Emigranten. Die üble Nazivorgeschichte wurde in diesen Jahren höchstens beiläufig artikuliert. Keiner wollte besonders laut darüber sprechen, dass mit der „V2“ in den letzten beiden Kriegsjahren London und Antwerpen bombardiert wurden, wobei tausende Menschen umkamen. Der amerikanische Nationalheld von Braun, der den ehrgeizigen Wettlauf zum Mond gegen die Sowjetunion gewann, durfte keinen Kratzer bekommen.
Doch bis zum strahlenden Sieger mit der ersten Mondlandung im Juli 1969 war es noch ein langer Weg. Zuvor mussten sich die USA und eben hauptsächlich von Braun dreimal von der Konkurrenz geschlagen geben, als die sowjetischen Raketenbauer förmlich ein Feuerwerk an Raumexpeditionen abfackelten. Einmal, als im April 1961 Juri Gagarin als erster Mensch die Erde umrundete; ein zweites Mal, als am 13. September 1959 die sowjetische Sonde „Lunik 2“ hart auf dem Mond aufschlug – als erster künstlicher Flugkörper überhaupt, der gezielt die Mondoberfläche erreichte. Und schließlich wenige Wochen später, als „Lunik 3“ am 6. Oktober 1959 in einer Entfernung von 6200 Kilometern am Mond vorbeiflog. Die Sonde hatte eine Kamera an Bord, mit der sie insgesamt 29 Aufnahmen lieferte, darunter erste Aufnahmen von der Rückseite des Mondes.
»Erstmals sah man etwas, was die Menschheit noch nie gesehen hatte – ungeheuerlich!«
Als diese ersten Fotos in den Zeitungen abgedruckt wurden, war ich gerade 13 Jahre alt. Ich sah die Aufnahmen und ein Schauder lief mir den Rücken herunter. Erstmals sah man etwas, was die Menschheit noch nie gesehen hatte – ungeheuerlich! Dabei gab es ja wenig zu sehen, die Rückseite des Mondes ist deutlich weniger verkratert als die Vorderseite. Und sicher hatte ich auch keine solipsistisch-quantenphysikalischen Ideen im Kopf, wonach die Rückseite des Mondes erst existieren sollte, nachdem sie (von uns) tatsächlich beobachtet wird. Aber an meine Gefühlsreaktion erinnere ich mich noch immer, wenn etwa die Marsrover munter auf dem Roten Planeten herumfahren und ihre Fotos schießen.
Jetzt, wo sich am 16. Juni 2007 der 30. Todestag des Raumfahrtpioniers jährt, wird daran viel offener gedacht als noch zu Hochzeiten des Kalten Kriegs. Nachzulesen ist das übrigens – wie ich finde: besonders eindrucksvoll (und manchmal deprimierend) in unserer Biografie „Wernher von Braun – Der lange Weg zum Mond“. Wir haben aus Anlass des Todestages einen Artikel daraus als kostenlose Leseprobe freigestellt und bieten sie – im Dreierpack mit den Biografien von Nikolaus Kopernikus und Johannes Kepler – zum Preis einer Biografie an.
Reinhard Breuer
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben