Seelen, Sklaven, Krokodile
Am kommenden Tag geht die Fahrt weiter, zunächst passieren wir die Hauptstadt Tana. Das Hochland dahinter ist kahl und öde, ab und zu kommen wir durch winzige Dörfer oder überqueren einen Fluss, dessen Wasser von mitgeschwemmter Erde rot gefärbt ist. Mittags halten wir an einem Hotely, ein kleines Lokal am Straßenrand, und es gibt – wie immer und überall auf unserer Reise – einen Berg Reis mit einer kleinen Schüssel sehnigem Zebu- oder Hühnchenfleisch.
Gegen Abend verlassen wir die Berge bei Maevatanana, ab Ambondromany wird es dann waldig, und mit Einbruch der Dunkelheit erreichen wir endlich den Nationalpark Ankarafantsika. Hier gibt es einen Campingplatz, auf dem wir unsere Zelte aufschlagen, um in den folgenden drei Tagen den Wald zu erkunden.
In Ankarafantsika lebt eine Reihe Lemurenarten, die in Kirindy nicht vorkommen (und umgekehrt): Die Sifakas Propithecus coquereli mit weiß-braunem Fell, zwei Eulemuren-Spezies (Eulemur fulvus und Eulemur mongoz) und je eine Mausmaki- und Wieselmakiart (Microcebus ravelobensis beziehungsweise. Lepilemur edwardsi). Dazu kommen noch die die Avahis (Avahi occidentalis) – wollige, nachaktive Lemuren, von denen wir nur eine Schlafgruppe in einem hohen Baum zu sehen bekommen. Auf dem Parkgelände gibt es auch eine Schildkrötenaufzuchtstation von Durrell, wo beispielsweise die seltene Art Geochelone yniphora nachgezogen wird.
Zehn Minuten Fußweg von unseren Zelten entfernt liegt der Lac Ravelobe, ein kleiner See, in dem sich nichtsdestotrotz knapp siebzig Krokodile (Crocodylus niloticus) tummeln. Die Bewohner des im Park liegenden Dorfes Ampijoroa lassen hier ihre Zebus auf den trockenfallenden Wiesen weiden und gehen angeln. Vor zwei Wochen wurde dabei ein kleines Kind von einem Krokodil angegriffen und tödlich verletzt, erzählt uns einer der madagassischen Parkranger.
Um den See und seine Krokodile rankt sich zudem eine Legende: Ein König, der hier lebte, brachte nach einem verpatzten Krieg sich und seine Entourage ums Leben, indem er auf einem Floß auf die Mitte des Sees hinaus paddelte und es dort versenkte. Die Seelen seiner Sklaven seien dabei in die Krokodile übergangen, in denen sie bis heute fortbestünden. Am Seeufer gibt es einen heiligen Ort, an dem meterhohe geschnitzte Holzfiguren die Verbindung von Mensch und Reptil symbolisieren. Und einmal im Jahr (aus Kostengründen in letzter Zeit seltener) wird traditioneller Weise ein Zebu geschlachtet, dessen Innereien den Krokodilen beziehungsweise den in ihnen heimischen Sklaven überlassen werden: Maz toa – Guten Appetit!
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