Sterben auf madagassisch
Der Glaube an die Kräfte verstorbener Angehöriger (razana) ist über ganz Madagaskar verbreitet. Es ist ein positiver Glaube – wird den Toten doch die Macht zugesprochen, hilfreich in das Leben der Familienangehörigen einzugreifen. Die Achtung vor den Dahingeschiedenen kann so weit gehen, dass das Feld eines Urgroßvaters über mehrere Generationen unangetastet bleibt oder Opfer in Form eines Zebus gebracht werden. Angehörige der Merina und Betsileo wenden die Knochen ihrer Toten (famadihana) – holen sie aus dem Grab und bestatten sie ein zweites Mal – in Form einer großen Feier. Früher tranken die Sakalava gar die Körperflüssigkeit eines Verstorbenen, um dessen Kräfte und positiven Eigenschaften auf sich zu übertragen.
Auch die Architektur der Gräber variiert je nach Stammeszugehörigkeit. Die Route Nacionale nach Morondava säumen zahlreiche Grabstätten der Antandroy, die aus dem wüstenhaften Süden auf der Suche nach Arbeit nach Westmadagaskar kamen – meist mächtige Quader aus Stein und Beton, auf denen mehr oder weniger kunstvolle Malereien zu sehen sind: Zebus, und dazu viele Frauen und üppige Palmen – oder umgekehrt. Da das Totenreich wichtiger sei als das der Lebenden, seien auch die Gräber oft haltbarer gebaut als die Hütten in den Dörfern, erklärt mir Léon. Bei den Antandroy ist die Größe der Grabstätte direktes Statussymbol, oft unterstrichen durch auf den Ecken aufgestellte Zebuhörner.
Die Gräber der Sakalava aus dem Westen liegen hingegen versteckt abseits der Wege und sind aus Holz. Dabei sind sie reich mit Schnitzereien verziert, meist Darstellungen von Paaren in eindeutigen Positionen. Etwas abseits des C.F.P.F. wurden zwei dieser Gräber nachgebaut, die ich mir mit Gregoir – einem echten Sakalava, wie er betont – zusammen ansehe.
Kennzeichen der Merina seien ursprünglich Familiengruften aus Holz, in denen viele Tote gemeinsam bestattet werden, nicht nur ein Verstorbener wie bei den anderen Stämmen, erklärt mir schließlich wieder Léon. Doch auch auf die Toten hatten die französischen Kolonialherren ihren Einfluss: Seit dem 19. Jahrhundert sind die meisten Gräber der Merina nicht mehr hölzern, sondern aus Stein, der außen von geometrischen Mustern geziert wird.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben