Unaufhaltsam im Strom der Zeit - Spektrum-Spezial wieder im Handel
Zu meinen intensivsten Zeiterlebnissen gehört ein Gefühl von Endlosigkeit in meiner Kindheit. Vor allem am Ende des Schuljahres packte mich regelmäßig Erleichterung: die Qual hinter mir, vor mir die grenzenlose Zeit der großen Ferien.
Je älter ich wurde, desto mehr verflüchtigte sich diese utopische Empfindung. In Thomas Manns »Zauberberg« staunte ich über Hans Castorps Meditation im Schneegestöber, wie paradox Zeit doch sei. Manchmal fließe sie unerträglich langsam, gerade in Momenten der Langeweile, dann wieder schnell in stürmischen Zeiten. In der Erinnerung jedoch sei es genau umgekehrt: Im Blick zurück schrumpften die Phasen sich wiederholender Langeweile auf ein Nichts, aktive Perioden dagegen erschienen nun als ausgedehnte Lebenszeit. Später spürte ich das Verfließen der Zeit immer stärker, bis zu dem mit den Jahren fast überwältigenden Eindruck, dass die Zeit »rast«.
Alles Unsinn! – musste ich mir sagen, als ich begann, Physik zu studieren. Das subjektive Zeiterlebnis im Wandel des Älterwerdens hat offenbar wenig mit dem zu tun, was uns die exakten Wissenschaften über die Zeit erzählen. Zeit sei ein »Parameter«, der Ordnung in den Wust der Ereignisse bringe und für eine Chronologie des Weltgeschehens sorge. Aber die Zeit selbst habe nun mal kein Tempo. Geschwindigkeit wird als Weg pro Zeiteinheit gemessen, aber die Zeit kann nicht gegen sich selbst gehalten werden. Wir registrieren Zeit nur über Bewegung und Veränderung von Zuständen; gemessen wird sie durch Vergleich mit periodischen Standardabläufen, »Uhren« genannt.
Gleichwohl wird die Zeit in Einsteins Relativitätstheorie mit dem Raum zur »Raum-Zeit« verschmolzen und kann lokal unterschiedlich verlaufen: Bewegte Uhren gehen langsamer, wie auch solche, die in die Nähe schwerer Himmelskörper geraten oder gar in den Bannkreis Schwarzer Löcher.
Was mich im Studium aber noch mehr erstaunte, waren die Paradoxien von Gewesenem und Künftigem. Die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sei, sagte Albert Einstein, »nur eine Täuschung, wenn auch eine hartnäckige«. Gleichwohl deuten alle »Zeitpfeile«, wie Paul Davies in der Leseprobe (siehe Link auf der linken Seite) schildert, in Physik und Biologie darauf hin, dass es in aller Regel nur »vorwärts in die Zukunft« geht. Keine Tasse, die auf den Boden fiel, wurde je dabei ertappt, wie sie zurück auf den Tisch sprang und die Scherben sich wieder zusammenfügten. In solchen irreversiblen Prozessen verbirgt sich unter anderem das Wesen des Alterns.
Natürlich unterscheidet unser Gehirn das Vergangene vom Künftigen: Das eine steht fest und wir erinnern uns daran; das andere erwarten wir, es ist uns unbekannt und steckt voller Überraschungen. Wie das Sonderheft über das »Phänomen Zeit«: Es geht dieser flüchtigen Qualität unseres Lebens und aller Naturprozesse nach. Die Forscher haben ein immenses Wissen darüber angehäuft – aber am Ende, wenn wir den Wurzeln unseres Zeitempfindens auch noch so lange nachspüren, bleibt die Frage »Was also ist die Zeit?« weiterhin rätselhaft, kaum anders als für Augustinus im 5. Jahrhundert: »Wenn mich niemand danach fragt, so weiß ich es; wenn ich es jemandem erklären möchte, der mich danach fragt, so weiß ich es nicht.«
Reinhard Breuer
Je älter ich wurde, desto mehr verflüchtigte sich diese utopische Empfindung. In Thomas Manns »Zauberberg« staunte ich über Hans Castorps Meditation im Schneegestöber, wie paradox Zeit doch sei. Manchmal fließe sie unerträglich langsam, gerade in Momenten der Langeweile, dann wieder schnell in stürmischen Zeiten. In der Erinnerung jedoch sei es genau umgekehrt: Im Blick zurück schrumpften die Phasen sich wiederholender Langeweile auf ein Nichts, aktive Perioden dagegen erschienen nun als ausgedehnte Lebenszeit. Später spürte ich das Verfließen der Zeit immer stärker, bis zu dem mit den Jahren fast überwältigenden Eindruck, dass die Zeit »rast«.
Alles Unsinn! – musste ich mir sagen, als ich begann, Physik zu studieren. Das subjektive Zeiterlebnis im Wandel des Älterwerdens hat offenbar wenig mit dem zu tun, was uns die exakten Wissenschaften über die Zeit erzählen. Zeit sei ein »Parameter«, der Ordnung in den Wust der Ereignisse bringe und für eine Chronologie des Weltgeschehens sorge. Aber die Zeit selbst habe nun mal kein Tempo. Geschwindigkeit wird als Weg pro Zeiteinheit gemessen, aber die Zeit kann nicht gegen sich selbst gehalten werden. Wir registrieren Zeit nur über Bewegung und Veränderung von Zuständen; gemessen wird sie durch Vergleich mit periodischen Standardabläufen, »Uhren« genannt.
Gleichwohl wird die Zeit in Einsteins Relativitätstheorie mit dem Raum zur »Raum-Zeit« verschmolzen und kann lokal unterschiedlich verlaufen: Bewegte Uhren gehen langsamer, wie auch solche, die in die Nähe schwerer Himmelskörper geraten oder gar in den Bannkreis Schwarzer Löcher.
Was mich im Studium aber noch mehr erstaunte, waren die Paradoxien von Gewesenem und Künftigem. Die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sei, sagte Albert Einstein, »nur eine Täuschung, wenn auch eine hartnäckige«. Gleichwohl deuten alle »Zeitpfeile«, wie Paul Davies in der Leseprobe (siehe Link auf der linken Seite) schildert, in Physik und Biologie darauf hin, dass es in aller Regel nur »vorwärts in die Zukunft« geht. Keine Tasse, die auf den Boden fiel, wurde je dabei ertappt, wie sie zurück auf den Tisch sprang und die Scherben sich wieder zusammenfügten. In solchen irreversiblen Prozessen verbirgt sich unter anderem das Wesen des Alterns.
Natürlich unterscheidet unser Gehirn das Vergangene vom Künftigen: Das eine steht fest und wir erinnern uns daran; das andere erwarten wir, es ist uns unbekannt und steckt voller Überraschungen. Wie das Sonderheft über das »Phänomen Zeit«: Es geht dieser flüchtigen Qualität unseres Lebens und aller Naturprozesse nach. Die Forscher haben ein immenses Wissen darüber angehäuft – aber am Ende, wenn wir den Wurzeln unseres Zeitempfindens auch noch so lange nachspüren, bleibt die Frage »Was also ist die Zeit?« weiterhin rätselhaft, kaum anders als für Augustinus im 5. Jahrhundert: »Wenn mich niemand danach fragt, so weiß ich es; wenn ich es jemandem erklären möchte, der mich danach fragt, so weiß ich es nicht.«
Reinhard Breuer
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben