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Warum man Windräder vielleicht violett anstreichen sollte

Fledermaus
Windkraftanlagen sind eine wichtige Alternative zu fossiler Energie. Darum entstehen vor der Küste und an Berghängen, wo ununterbrochen kräftige Brisen wehen, immer größere Windparks. Doch die Rotoren stellen auch eine Gefahr dar. Hermann Hötker vom Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund Deutschland (NABU) schätzt, dass die Rotoren hierzulande für den Tod von jährlich 10 000 bis 100 000 Vögeln verantwortlich sind. Fledermäuse sind noch stärker gefährdet. Nach einer Studie des Regierungspräsidiums Freiburg fallen jeder Turbine jährlich durchschnittlich 16,5 bis 31,5 der Säuger zum Opfer. Im Extremfall zählte man sogar 103 tote Tiere an einem einzigen Generator.

Unterschiedliche Gefahren für Greif- und Singvögel

Das Problem ist erheblich, doch auch die Zahl entsprechender Untersuchungen nimmt zu. Am häufigsten, so schreibt spektrumdirekt-Redakteur Daniel Lingenhöhl in seinem Buch "Vogelwelt im Wandel" (zur Rezension), findet man tote Greifvögel, speziell Mäusebussarde, Seeadler und Rotmilane. Ein Grund könnte deren geringe Wendigkeit sein; ein anderer, dass sie entlang Berghängen gerne in der optimalen Thermik kreisen – und so den Windrädern gefährlich nahe kommen. Gerade der typische Suchflug der Rotmilane findet in dieser Höhe statt. Ein Viertel der verunglückten Individuen sind dagegen Singvögel, vor allem Stare, Drosseln, Möwen und Tauben. Während die großen Tiere sich meist an den Rotorblättern verletzen oder mit den technischen Einrichtungen kollidieren, werden die leichteren Individuen von den Turbulenzen zu Boden geschmettert und sterben an den Folgen des Aufpralls. Sie werden auch in höherem Maße durch unerwartete Windstöße in die Anlagen getrieben.

Rotmilan im Schwebeflug | Rotmilane jagen meist in offenen Landschaften und lassen sich vom Aufwind tragen, während sie nach ihren vielfältigen Beutetieren spähen.
Dennoch schätzen die meisten Studien die Folgen für die kleineren Vögel als vernachlässigbar gegenüber der Zahl der Todesfälle ein, die durch Kollisionen mit Gebäuden oder Verkehrsteilnehmern eintreten. Was den Wiesenvögeln wie Kiebitzen, Goldregenpfeifer und Uferschnepfe mehr zu schaffen macht, ist der Verlust von Brutflächen. Sie meiden die Windräder oft weiträumig und legen dort kein Nest an, oder sie lassen sich vom Schatten der Rotoren aufschrecken und vernachlässigen dadurch ihre Brut. Schließlich spielt noch die Umgebung der Windräder eine große Rolle für deren Gefahrenpotenzial. Befinden sie sich in der Nähe von Feuchtgebieten, Wäldern und an Küstenstreifen – wichtigen Nahrungsgründen vieler Vögel – oder entlang von Vogelzugrouten, fordern sie besonders viele Opfer.

Insekten locken Fledermäuse in den Tod

Fledermäuse, die meist nachts fliegen, scheinen auf ganz andere Weise durch die Windkraftwerke gefährdet. Studien zeigen, dass Insekten fressende Arten besonders oft in die Anlagen fliegen. Wegen des Luftverkehrs werden die Türme nachts durch rote Blinklichter markiert, außerdem strahlen die Rotorblätter Reibungswärme ab. Beides lockt Insekten in großem Maß an. Nachtaktive Käfer, Mücken oder Nachtfalter besitzen zwar eine enorme Anzahl von Ommatidien (Einzelaugen) und sehen selbst bei Mondlicht noch farbig, aber sie erkennen die Gefahr nicht. Die Folgen sind erheblich. Gustave Corten und Herman Veldkamp vom Energy Research Centre of the Netherlands (ECN) entdeckten, dass sich auf den Rotoren eine regelrechte Kruste aus zerplatzten Insekten bildet, welche die Leistung der Windräder um bis zu 50 Prozent reduzieren kann. Die Fledermäuse wiederum folgen ihrer Jagdbeute und geraten so an die Windkraftwerke.

Dort sterben sie nicht in erster Linie, weil sie mit den Windrädern kollidieren; meist verenden sie wegen der enormen Luftdruckschwankungen schon zuvor. Forscher um Robert Barclay von der Universität Calgary fanden heraus, dass der plötzliche Abfall des Luftdrucks feinste Gefäße in den Lungen platzen lässt – die Tiere sterben also an inneren Blutungen. Dieses so genannte Barotrauma soll für neun von zehn der Tiere die Todesursache sein. Zwar können die Fledermäuse die Windkraftwerke dank ihrer Fähigkeit zur Echoortung gut lokalisieren und umfliegen, doch die Luftdruckunterschiede registrieren sie nicht. Auch sind sie im Vergleich zu Vögeln schlechter gegen diese Gefahr gefeit. Deren schlauchartige Lunge ist weniger flexibel und kann sich nicht so leicht überdehnen wie die der Säuger.

Inzwischen werden sogar Folgen für die Ökosysteme befürchtet. Fledermäuse fressen vor allem Ernteschädlinge, im Laufe eines Sommers verschlingen selbst kleinere Exemplare etwa ein Kilo Insekten. Da sie jedoch wenig Nachwuchs hervorbringen, verschärfen Unfälle den Druck auf die Bestände.

Einfache Maßnahmen könnten helfen – aber welche?

Fledermäuse orientieren sich per Ultraschall | Fledermäuse nutzen zur Beutejagd und nächtlichen Orientierung Echolot: Sie stoßen Ultraschallwellen aus und analysieren deren Echo.
Chloe Long von der britischen Loughborough University untersucht mit ihrem Team, ob sich die Tiere mit anderen Farbanstrichen von den Rotoren abhalten lassen. Könnte Farbe, die weniger anziehend auf Insekten wirkt, deren Anzahl rund um die Turbinen und damit die Zahl der getöteten Fledermäuse verringern? Long erlebte allerdings bereits die Durchführung der Experimente als hindernisreich. Keiner der Anlagenbetreiber, die sie darum bat, einer Anlage einen neuen Anstrich geben zu dürfen, gewährte ihr diese Möglichkeit. Stattdessen platzierte ihre Gruppe schließlich 30 Zentimeter große Farbkarten, die jeweils in einer von zehn normierten Außenfarben gestrichen waren, unter einem Windrad. Über drei Jahre hinweg zählten die Jungforscher dann die Anzahl der Insekten, die auf der Karte herumkrabbelten oder über ihr flogen, entweder mittags oder eine Stunde nach Sonnenuntergang. Gelb lockte bei Weitem die meisten Insekten an – wenig überraschend, da dieser Farbton häufig bei Blumen vorkommt. Aber die zweit- und drittattraktivsten Nuancen waren genau diejenigen, die für Windkraftanlagen in Europa am häufigsten genutzt werden: weiß und hellgrau. Am wenigsten Insekten lockte die violette Karte an.

Diese Ergebnisse sind noch vorläufig, zeigen aber, dass es sich lohnen könnte, den Effekt genauer zu untersuchen. Dabei müsste es auch um die allgemeine Frage gehen, ob einige einfache Veränderungen das Ködern von Fledermäusen reduzieren könnten, sagt Edward Arnett von "Bat Conservation International", einer Organisation zum Schutz von Fledermäusen.

Arnett hält es unter anderem für notwendig, die Farbfrage genauer zu untersuchen, gibt aber zu, dass dies schon aus praktischen Gründen schwierig ist. Dass die Todesrate der Fledermäuse von der Windgeschwindigkeit abhängt – Insekten fliegen nur bei niedrigen Windgeschwindigkeiten –, verkompliziert eine mögliche Studie zusätzlich. Zudem muss immer auch berücksichtigt werden, welche Effekte die Maßnahmen für Vögel haben. Die zum Beispiel nehmen (übrigens genau wie Hubschrauberpiloten) das relativ dunkle Violett möglicherweise schlechter wahr als Weiß oder Grau.

Aber Long meint, es dürfte bald leichter werden, Experimente mit realen Windrädern durchzuführen. Denn immer mehr Wissenschaftler und Mitarbeiter von Windkraftfirmen zeigten sich interessiert an weiteren Untersuchungen. Die Sorge, dass die Landschaft bald von violetten Windrädern übersät sein könnte, hält sie jedenfalls für verfrüht: "Schließlich haben wir bislang nur elf Farben getestet. Es gibt noch Tausende, die als Alternative in Frage kommen."

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