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Der Mathematische Monatskalender: Adolf Hurwitz (1859–1919)

Adolf Hurwitz leistete große Beiträge zur Theorie der riemannschen Flächen und zu den Quaternionen. Berühmt geworden ist sein Approximationssatz für irrationale Zahlen, nach dem ausgerechnet die Zahl des goldenen Schnitts sich einer Näherung durch rationale Zahlen am hartnäckigsten widersetzt.
Adolf Hurwitz

Adolf Hurwitz hat das Glück, dass sein Mathematiklehrer am städtischen Realgymnasium Andreanum in Hildesheim, Dr. Hermann Cäsar Hannibal Schubert, schon früh die mathematische Begabung seines Schülers erkennt und ihn in besonderer Weise fördert: Sonntags darf Adolf seinen Lehrer zu Hause besuchen und lernt dabei mathematische Gebiete kennen, die im Lehrplan nicht vorgesehen sind. Im Jahr 1876 – Adolf Hurwitz ist gerade 17 Jahre alt – erscheint ein gemeinsamer Aufsatz von Lehrer und Schüler in den Mathematischen Annalen über ein Zählverfahren der algebraischen Geometrie, in dem es um die Frage geht, wie viele Kurven oder Flächen im Raum bestimmte Eigenschaften haben.

Schubert hatte sich in seiner Dissertation mit der Verallgemeinerung eines Satzes von Apollonius beschäftigt: Der griechische Mathematiker bewies um 200 vor Christus den Satz, dass man zu 3 Kreisen in der Ebene 8 (= 23) Kreise bestimmen kann, welche die 3 gegebenen Kreise berühren. Schubert hatte gezeigt, dass zu 4 Kugeln im Raum 16 (= 24) Kugeln existieren, welche die 4 gegebenen Kugeln berühren.

Algebraisch lässt sich das geometrische Problem durch ein System von quadratischen Gleichungen beschreiben. Es geht dann um die Frage, wie viele Lösungen das System hat und wie man sie bestimmen kann.

Nach Adolfs erfolgreichem schulischen Abschluss kann Schubert den Vater davon überzeugen, dass sein hochbegabter Sohn Mathematik studieren soll. Allerdings ist der Vater als einfacher Handwerker nicht in der Lage, die Mittel hierfür aufzubringen. Die Finanzierung übernimmt schließlich ein Freund des Vaters, und Hurwitz reist mit einem dringenden Empfehlungsschreiben von Schubert an Felix Klein zum Mathematikstudium an die Technische Hochschule (heute TU) in München.

Während Hurwitz in München aufmerksam den Vorlesungen Felix Kleins folgt, wechselt sein ehemaliger Lehrer an das angesehene Johanneum in Hamburg. 1874 erhält Schubert für einen Wettbewerbsbeitrag der Dänischen Akademie der Wissenschaften eine Goldmedaille; 1887 wird er zum Professor ernannt.

Bereits nach einem Semester wechselt Adolf Hurwitz für ein Studienjahr nach Berlin, besucht dort Vorlesungen von Weierstraß, Kummer und Kronecker. Als 1988 die Weierstraß'sche Analysis-Vorlesung rekonstruiert wird, ist dies nur mithilfe der Aufzeichnungen von Hurwitz möglich. Während seiner Berliner Zeit steht Hurwitz in ständigem Kontakt zu Felix Klein, arbeitet gemeinsam mit ihm an einer Veröffentlichung über elliptische Modulfunktionen. Er kehrt nach München zurück, und als Klein 1880 einen Ruf der Universität Leipzig annimmt, folgt Hurwitz ihm nach und verfasst in Leipzig seine Doktorarbeit.

Allerdings kann er sich wegen seiner nicht ausreichenden Griechisch-Kenntnisse (Hurwitz hatte als Schüler ein naturwissenschaftlich orientiertes Realgymnasium besucht, kein humanistisches Gymnasium) nicht in Leipzig habilitieren, sondern muss hierfür nach Göttingen wechseln, wo diese sprachliche Hürde nicht besteht. Wegen seiner jüdischen Abstammung hat er jedoch nur geringe Chancen, eine feste Stelle zu finden. Als 1884 Ferdinand von Lindemann, der 1882 durch seinen Beweis berühmt geworden war, dass \(\pi\) eine transzendente Zahl ist, ihm in Königsberg eine Stelle als außerordentlicher Professor anbietet, nimmt der erst 25-jährige Hurwitz diese gerne an.

Mit zwei seiner Studenten, David Hilbert und Hermann Minkowski, verbindet ihn eine lebenslange Freundschaft. In den folgenden Jahren verbringen die drei Freunde regelmäßig ihre Urlaubstage zusammen, selbst nachdem Minkowski eine Stelle in Bonn angenommen hat.

1892 nimmt Hurwitz einen Ruf des Eidgenössischen Polytechnikums (heute ETH) in Zürich an. Zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern zieht er für die verbleibenden 27 Lebensjahre in die Schweiz. Wenige Wochen nach seinem Wechsel erreicht ihn das Angebot der Universität Göttingen, einen der angesehensten Mathematik-Lehrstühle Deutschlands zu übernehmen, doch aus Loyalität zu seinem neuen Arbeitgeber lehnt er ab.

Während seiner Studienzeit in München hatte sich Hurwitz mit Typhus infiziert, 1886 ein weiteres Mal; mit zunehmendem Alter leidet er an den Folgen der Infektion, die sich unter anderem in Form von Migräne-Attacken zeigen. Hinzu kommen starke Funktionsstörungen seiner Nieren. Nach dem Verlust einer Niere im Jahr 1905 sind seine Arbeitsmöglichkeiten in den letzten Lebensjahren erheblich einschränkt.

Im Laufe seines Lebens kann Hurwitz insgesamt 96 umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlichen, insbesondere zur Analysis komplexwertiger Funktionen und der Theorie Riemann'scher Flächen. 1897 wird ihm die Ehre zuteil, auf dem ersten internationalen Mathematikerkongress in Zürich einen Übersichtsvortrag zum aktuellen Stand der mathematischen Forschungen in diesem Teilgebiet der Mathematik zu halten. Große Anerkennung finden auch seine zahlreichen Beiträge zur Zahlentheorie, zu algebraischen Strukturen und zur Geometrie.

Eine Reihe von Sätzen aus verschiedenen Gebieten der Mathematik sind nach Adolf Hurwitz benannt. Beispielsweise werden gewisse Polynome mit positiven Koeffizienten, die in der Stabilitätstheorie eine Rolle spielen, als Hurwitz-Polynome bezeichnet, wenn alle Nullstellen negative Realteile haben (das heißt in der komplexen Zahlenebene links von der imaginären Achse liegen). Hurwitz gibt hierfür einfach zu überprüfende Bedingungen an, die von den Koeffizienten erfüllt werden müssen.

Für komplexe Zahlen \(a + b \cdot i\) mit \(a, b \in \mathbb{R}\) , die man auch als 2-dimensionale Paare in der Form \((a ; b)\) notieren kann, sind zwei Operationen definiert, eine Addition und eine Multiplikation. Nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen, geeignete Operationen für 3-dimensionale Zahlentupel (Tripel) zu definieren, hatte William Rowan Hamilton im Jahr 1843 mögliche Operationen für 4-Tupel, die Quaternionen, entdeckt. 1845 veröffentlichte Arthur Cayley einen Beitrag, wie Addition und Multiplikation für Oktonionen (8-Tupel) definiert werden können. Im Jahr 1898 kann Hurwitz beweisen, dass solche Verknüpfungen überhaupt nur für die Dimensionen 1, 2, 4, 8 möglich sind.

Als Hurwitz-Quaternionen bezeichnet man die 4-Tupel, deren Koeffizienten sämtlich entweder ganzzahlig oder halbzahlig sind (das heißt die Hälfte von ungeraden Zahlen). Definiert man speziell \(\epsilon =1\cdot (1+i+j+k)\), dann gilt:

\( \epsilon^2 = \frac{1}{2} \cdot (-1+i+j+k) \), sowie \(\epsilon^3 =-1.\)

Die Menge \(Q_4 =\{0,1, \epsilon^4,\epsilon^2\} \) ist additiv und multiplikativ abgeschlossen. Hieraus ergibt sich, dass auch die Menge der Hurwitz-Quaternionen bezüglich dieser Operationen abgeschlossen ist (sogenannte Hurwitz-Halbgruppe). Die Menge der Hurwitz-Einheiten, also die Menge aller Hurwitz-Quaternionen mit Betrag 1, umfasst 24 Elemente; diese bilden die Eckpunkte eines regulären Körpers im 4-Dimensionalen. Gemäß dem Vier-Quadrate-Satz von Lagrange kann man jede natürliche Zahl als Summe von vier Quadratzahlen darstellen; daher gibt es zu jeder natürlichen Zahl \(n\) eine Hurwitz-Quaternion, deren Betrag gleich \(n\) ist.

Besonders intensiv beschäftigt sich Hurwitz mit Kettenbrüchen. Er beweist eine Verallgemeinerung eines Satzes von Dirichlet über die Qualität der Annäherung von irrationalen Zahlen durch rationale Zahlen. Der Hurwitz'sche Approximationssatz ist einer der bemerkenswertesten Sätze der Zahlentheorie; er besagt, dass zu jeder beliebigen irrationalen Zahl \(x\) unendlich viele rationale Zahlen \(\frac{p}{q}\) mit der Eigenschaft \[ \left| \frac{p}{q}-x \right| < \frac{1}{q^2 \cdot \sqrt{5}}\] existieren.

Hieraus ergibt sich für \( \Phi = \frac{1}{2} \cdot \left( 1+ \sqrt{5} \right) \approx 1{,}618\), die Verhältniszahl des Goldenen Schnitts, dass die Ungleichung \( \left| \frac{p}{q} – \Phi \right| < \frac{1}{q^2 \cdot A} \) für jede Zahl \(A > \sqrt{5}\) höchstens endlich viele Lösungen \(\frac{p}{q}\) besitzen kann (oder wie Dmitry Fuchs und Serge Tabachnikov es formulieren: \(\Phi \) ist die irrationalste aller irrationalen Zahlen, die Zahl, die sich am meisten gegen eine rationale Näherung sträubt ...)

Adolf Hurwitz (1859 – 1919)

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