Der Mathematische Monatskalender: Claudius Ptolemäus (100–160)
Der abgebildete Briefmarkenblock aus Burundi, der anlässlich des 500. Geburtstages von Nikolaus Kopernikus im Jahr 1973 herausgegeben wurde, zeigt das Porträt des aus Thorn (Toruń) stammenden Astronomen sowie ein (Phantasie-)Porträt des in Alexandria wirkenden Gelehrten Claudius Ptolemäus mit Darstellungen der Weltbilder, die mit den Namen der beiden Wissenschaftler verbunden sind. Die Briefmarke links zeigt die geozentrischen Himmelssphären, auf denen sich Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn bewegen, sowie die den 12 Sternzeichen zugeordneten Sektoren des Fixsternhimmels; die Abbildung rechts zeigt die heliozentrische Anordnung der Planeten mit der Erde in verschiedenen Jahreszeiten.
Über das Leben des Claudius Ptolemäus liegen nur wenige gesicherte Informationen vor. Der Vorname deutet darauf hin, dass er römischer Staatsbürger war; der Nachname weist auf griechische und ägyptische Wurzeln. Seine Lebensdaten sind ungewiss; Sicherheit gibt es nur bei gewissen astronomischen Beobachtungen, die er im Zeitraum zwischen 127 und 141 nach Christus durchgeführt haben muss. Möglicherweise war Theon von Smyrna sein Lehrer; dessen größtenteils erhaltenes Werk trägt den Titel Das an mathematischem Wissen für die Lektüre Platons Nützliche.
Das berühmteste Werk des Ptolemäus ist der Almagest, dessen beherrschender Einfluss auf die astronomische Lehre erst im 17. Jahrhundert verloren geht, obwohl das heliozentrische Modell des Kopernikus in seinem Buch De revolutionibus orbium coelestium bereits seit 1543 in gedruckter Form vorlag. Der Name des aus 13 Kapiteln (Büchern) bestehenden Werkes ergibt sich aus der arabischen Übersetzung des ursprünglich griechischen Titels: Aus μαθηματική σύνταξις (übersetzt: Mathematische Zusammenstellung) wird später "Größte Zusammenstellung", in der wörtlichen arabischen Übersetzung al-majisti. Als der arabische Text ins Lateinische übertragen wird, behält man die phonetische Umschrift Almagest als Buchtitel bei.
Ptolemäus fasst in seinem Werk das gesamte Wissen der Antike über die Himmelskörper zusammen: Nach der unantastbaren Lehre von Platon und Aristoteles galt, dass die im Mittelpunkt des Kosmos stehende kugelförmige Erde keine Bewegung ausführt und dass sich die Himmelskörper mit konstanter Geschwindigkeit auf kristallenen Sphären um die Erde bewegen. Um dieses Dogma mit den tatsächlichen Beobachtungen in Einklang zu bringen, hatte Apollonius von Perge im 3. Jahrhundert vor Christus die Theorie der Epizykel entwickelt. Mithilfe zusätzlicher kleiner Kreise, deren Mittelpunkte sich auf Kreisbahnen (Deferenten) bewegen, versuchte dieser zu erklären, warum die Bewegungen des Mondes, der Sonne und der Planeten nicht gleichförmig erscheinen, und auch, warum sich die Planeten zeitweise scheinbar rückläufig bewegen. Das Modell des Apollonius wurde im 2. Jahrhundert vor Christus durch Hipparchos von Nicäa weiterentwickelt, der die Erde aus dem Mittelpunkt der Deferenten verlegte (sogenannte Exzentertheorie).
Ptolemäus ergänzt dies nun durch die Idee des Äquanten, das ist ein Punkt, der nicht mit dem Mittelpunkt des Deferenten übereinstimmt und auch nicht gleich dem Mittelpunkt der Erde ist. Hiermit lassen sich die beobachteten Helligkeitsschwankungen bei den Planeten erklären und besondere Positionen wie eine erdnächste oder erdfernste Stellung (Perigäum und Apogäum) unterscheiden. Nach der neuen Theorie des Ptolemäus bewegen sich die Planeten und die Sonne auf Kreisbahnen um diesen Äquanten (also nicht um den Mittelpunkt der Erde und auch nicht um den Mittelpunkt des Deferenten) in einer Weise, dass die Verbindungslinie Äquant – Planet in gleichen Zeiten gleiche Winkel überstreicht.
Durch dieses äußerst komplizierte mathematische Modell können die Bewegungen der Himmelskörper erstaunlich gut beschrieben werden. Die Genauigkeit des Ptolemäischen Modells wird erst 1400 Jahre später durch ein Modell Tycho Brahes übertroffen, der im Prinzip am geozentrischen Weltbild festhält. Nach dessen Theorie wird die Erde von Mond und Sonne umkreist und bildet den Mittelpunkt des Kosmos, die (übrigen) Planeten drehen sich um die Sonne.
Das erste Kapitel des Almagest enthält Sehnentafeln für Winkel zwischen \(\frac{1}{2}^\circ\) und \(180^\circ\) mit der Schrittweite \(\frac{1}{2}^\circ \). Dabei ist dem Mittelpunktswinkel \(\alpha\) eines Kreises mit Radius \(r = 60\) die Länge \(\text{crd}(\alpha)\) der zugehörigen Sehne \(BC\) zugeordnet (chorda = Saite, Sehne). Den Radius \(r = 60\) wählt Ptolemäus, um die Berechnungen in dem in der Astronomie üblichen babylonischen Sexagesimalsystem durchführen zu können. In der Tabelle kann man zum Beispiel ablesen, dass einem Winkel von \( \frac{1}{2}^\circ \) eine Sehne der Länge \(0;31{,}25 = \frac{31}{60}+ \frac{25}{60^2}\) gegenüberliegt.
\( \begin{array}{|c|c|c|}\hline \frac{1}{2} & 0 \ 31 \ 25 & 1 \ 2 \ 50 \\ 1 & 1 \ 2 \ 50 & 1 \ 2 \ 50 \\ 1 \frac{1}{2} & 1 \ 34 \ 15 & 1 \ 2 \ 50 \\ \hline 2 & 2 \ 5 \ 40 & 1 \ 2 \ 50 \\ 2\frac{1}{2} & 2 \ 37 \ 4 & 1 \ 2 \ 48 \\ 3 & 3 \ 8 \ 28 & 1 \ 2 \ 48 \\ \hline 3\frac{1}{2} & 3 \ 39 \ 52 & 1 \ 2 \ 48 \\ 4 & 4 \ 11 \ 16 & 1 \ 2 \ 47 \\ 4\frac{1}{2} & 4 \ 42 \ 40 & 1 \ 2 \ 47 \\ \hline 5 & 5 \ 14 \ 4 & 1 \ 2 \ 46 \\ 5\frac{1}{2} & 5 \ 45 \ 27 & 1 \ 2 \ 45 \\ 6 & 6 \ 16 \ 49 & 1 \ 2 \ 44 \\ \hline 6\frac{1}{2} & 6 \ 48 \ 11 & 1 \ 2 \ 43 \\ 7 & 7 \ 19 \ 33 & 1 \ 2 \ 42 \\ 7\frac{1}{2} & 7 \ 50 \ 54 & 1 \ 2 \ 41 \\ \hline \end{array} \)
Die 3. Spalte gibt den Längenzuwachs der Sehne pro Grad an und dient damit der Interpolation von Zwischenwerten.
Unter Verwendung der seit der Zeit der Babylonier bekannten Näherungswerte von
\( \sqrt{2} \approx 1;24{,}51 = 1+ \frac{24}{60}+ \frac{51}{60^2}\), \( \sqrt{3} \approx 1;43{,}55 = 1+ \frac{43}{60}+ \frac{55}{60^2}\), und \( \sqrt{5} \approx 2;14{,}10 = 1+ \frac{14}{60}+ \frac{10}{60^2}\)
lassen sich in besonderen geometrischen Figuren die Werte von \(\text{crd}(\alpha)\) exakt bestimmen:
- \( \text{crd}(60^\circ) = 60\) im gleichseitigen Dreieck,
- \( \text{crd}(90^\circ) = 60\cdot \sqrt{2}\) im rechtwinkligen Dreieck,
- \( \text{crd}(36^\circ) = 30 \cdot (\sqrt{5}-1)\) im regulären Fünfeck.
Aus den Sätzen von Thales und Pythagoras ergibt sich für beliebige Mittelpunktswinkel \(\alpha\) und deren Ergänzungswinkel \(180^\circ – \alpha\) allgemein:
\( \text{crd}^2(\alpha)+ \text{crd}^2(180^\circ – \alpha) = (2r)^2 \)
So folgt aus: \( \text{crd}^2(60^\circ)+ \text{crd}^2(120^\circ) = 120^2 \) der exakte Wert:
\(\text{crd}(120^\circ) = \sqrt{120^2-60^2} = 60\cdot \sqrt{3}\)
Und aus: \( \text{crd}^2(36^\circ)+ \text{crd}^2(144^\circ) = 120^2 \) analog:
\(\text{crd}(144^\circ) =30\cdot \sqrt{10+2\cdot \sqrt{5}}\)
Ptolemäus leitet auch eine Beziehung für halbe Winkel her, sodass sich durch fortgesetzte Winkelhalbierung \(\text{crd}\)-Werte für Winkel von \(30^\circ\), \(15^\circ\), \(7\frac{1}{2}^\circ\) und \(3\frac{3}{4}^\circ\) ergeben. Mithilfe einer Sehnenformel für Winkeldifferenzen berechnet er den \(\text{crd}\)-Wert für \( 6^\circ = 36^\circ – 30^\circ\), hieraus dann \(\text{crd}(1,5^\circ) \approx 1 + \frac{34}{60} + \frac{15}{60^2}\) sowie \(\text{crd}(0,75^\circ) \approx \frac{47}{60} + \frac{15}{60^2} \) und weiter durch Interpolation den oben angegebenen Tabellenwert \(1^\circ\).
Der Umfang eines regelmäßigen 360-Ecks ergibt sich daher zu \( 360 \cdot \left( 1 + \frac{2}{60} + \frac{50}{60^2} \right)=377\). Mit dem Kreisdurchmesser \(2r=120\) erhält man dann für \(\pi\) den Näherungswert \( \frac{377}{120} \approx 3{,}1417\) – ein Wert, der ziemlich genau in der Mitte des von Archimedes ermittelten Intervalls \( 3 \frac{10}{71} < \pi < 3 \frac{1}{7} \) liegt.
Die Herleitung des Additionssatzes für Sehnenlängen geschieht mithilfe eines Satzes über die Seiten und Diagonalen in Sehnenvierecken, der heute als Satz des Ptolemäus bezeichnet wird:
In einem Sehnenviereck ist das Produkt der Längen der Diagonalen gleich der Summe der Produkte der Längen gegenüberliegender Seiten:
\( |AC|\cdot |BD| = |AB| \cdot |CD|+ |BC| \cdot |DA|\)
Es gilt auch die Umkehrung dieses Satzes: Wenn für die Seiten und Diagonalen eines Vierecks \(|AC| \cdot |BD| = |AB| \cdot |CD| + |BC| \cdot |DA|\) gilt, dann ist das Viereck ein Sehnenviereck.
Ist das Viereck ein Rechteck, dann wird dieses Rechteck durch die Diagonalen jeweils in zwei rechtwinklige Dreiecke unterteilt, und die Aussage des Satzes von Pythagoras stellt sich als Sonderfall des Satzes des Ptolemäus dar. Bilden drei der vier Punkte eines Sehnenvierecks ein gleichseitiges Dreieck \(ABC\), dann gilt für jeden Punkt \(P\) auf der Kreislinie zwischen \(A\) und \(B\): \(|AP| + |BP| = |CP|\) .
Mit seinen Anleitungen, wie man Berechnungen in ebenen und sphärischen Dreiecken durchführt, schafft Ptolemäus die Grundlagen der Trigonometrie, die Jahrhunderte später von Mathematikern des islamischen Kulturkreises wie Mohammad Abu'l-Wafa al Buzjani (940 – 998) und Nasir al-Din al-Tusi (1201 – 1274) weiterentwickelt wird.
Die Sehnentafeln lassen sich wegen des Zusammenhangs \( \text{crd}(\alpha)= 2r\cdot \sin \left( \frac{\alpha}{2}\right) \) leicht in entsprechende Sinustafeln umrechnen.
Mit der Geographia verfasst Ptolemäus ein weiteres bedeutendes Werk; darin wird das im Prinzip bis heute gültige Koordinatennetz für die Erde festlegt: Die geografische Breite wird vom Äquator aus gemessen und die geografische Länge vom Nullmeridian aus. Der Nullmeridian verläuft durch den westlichsten Punkt der antiken Welt, die Insel El Hierro (auch Ferro genannt), der westlichsten Insel der insulae fortunatae (Kanarische Inseln). Erst Ende des 19. Jahrhunderts einigt man sich darauf, dass der Nullmeridian durch die Sternwarte von Greenwich verlaufen soll. Für alle bedeutenden Orte der damals bekannten Welt gibt Ptolemäus die geografischen Koordinaten an. Allerdings sind etliche dieser Angaben insbesondere bezüglich der geografischen Längen fehlerhaft, vermutlich bedingt durch eine falsche Übernahme des von Eratosthenes bestimmten Erdradius, was letztlich auch dazu führt, dass Kolumbus die Entfernung Indiens falsch einschätzt.
Ptolemäus geht auf die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der exakten geografischen Länge eines Ortes ein. Er erläutert, wie eine Mondfinsternis dazu genutzt werden kann, um zu genaueren Werten zu kommen. Abu'l-Wafa und Abu Arrayhan al-Biruni nutzen diese Möglichkeit, als sie im Jahr 997 aus der gleichzeitigen Beobachtung einer Mondfinsternis die Differenz der geografischen Längen der Beobachtungsorte Bagdad und Kath (heute Usbekistan) bestimmen.
Auf Ptolemäus gehen auch verschiedene Ideen zurück, wie die Oberfläche der Erdkugel auf eine Kartenebene projiziert werden kann; diese Vorschläge werden bei den Karten berücksichtigt, die im 15. Jahrhundert gedruckt werden.
Schließlich ist auch das 5-bändige Werk Optik zu erwähnen, in dem sich Ptolemäus mit Reflexions- und Brechungseigenschaften des Lichts beschäftigt – 800 Jahre später Grundlage für die Untersuchungen von al-Haitham (Alhazen).
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