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Der Mathematische Monatskalender: János András Segner (1704–1777)

Er erfand einen Vorläufer des heutigen Sprinklers, veröffentlichte eine erstaunlich gute Abschätzung für die Lichtgeschwindigkeit und fand Sätze über die Nullstellen von Polynomen.
János András Segner (1704 – 1777)

Mit dem Gründungsbeschluss für eine Universität in der niedersächsischen Kleinstadt Göttingen im Jahr 1732 verfolgt der in Hannover residierende Minister Gerlach Adolph Freiherr von Münchhausen ein ehrgeiziges Ziel: Eine Hochschule neuen Typs soll hier entstehen, an der Forschung ganz im Sinne der Aufklärung betrieben wird – und ohne die bevormundende Zensur durch die theologische Fakultät. Entgegen der sonst üblichen Praxis dürfen auch Studenten die Bibliothek der Universität nutzen, und bei der Berufung der Professoren soll deren Fähigkeit zur akademischen Lehre besonders beachtet werden. Die Wahl des ersten Lehrstuhlinhabers im Fach Mathematik fällt auf Johann Andreas Segner, einen 31-jährigen Dozenten der Universität Jena. Dieser hat sich durch verschiedene Veröffentlichungen bereits einen Namen in Wissenschaftskreisen gemacht. Außer Vorlesungen in Mathematik und in Physik hält er gelegentlich auch Experimentalvorlesungen in Chemie. 1743 wird er mit der Errichtung eines Observatoriums beauftragt.

Mit der Berufung Segners beginnt die erfolgreiche Geschichte der mathematischen Fakultät der Göttinger Universität, die einmal zur bedeutendsten der Welt werden sollte.

Johann Andreas Segner wird als Segner János András in Pozsony, der Hauptstadt des Königreichs Ungarn, geboren (heute: Bratislava, Hauptstadt der Slowakei). Der Sohn aus einer einflussreichen deutsch-stämmigen Familie besucht erfolgreich das örtliche Gymnasium sowie eine Schule in Győr. Nach einem Jahr an der Universität in Debrecen (Ost-Ungarn) wechselt er 1725 nach Jena, um dort ein Studium mit Schwerpunkt Medizin aufzunehmen. Bereits während seiner Studienzeit verfasst er Beiträge zu verschiedenen Themen aus Mathematik, Philosophie, Physik, Astronomie (csillagászat), Chemie und Medizin. Nach einem Medizin-Examen arbeitet er zunächst als Arzt (orvos) in Debrecen, kehrt aber bereits 1732 wieder nach Jena zurück, um eine akademische Laufbahn einzuschlagen.

In Jena wird Segner durch Protektion seines ehemaligen Medizin- und Physikprofessors und zukünftigen Schwiegervaters Hermann Friedrich Teichmeyer zum außerordentlichen Professor für Mathematik und Medizin ernannt. Ein Jahr später (1735) erfolgt dann die oben beschriebene Berufung nach Göttingen. 1738 wird Segner Mitglied der Royal Society in London.

Von 1741 an entwickelt sich eine rege Korrespondenz mit Leonhard Euler, der nach 14-jähriger Tätigkeit in Sankt Petersburg nunmehr an der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin arbeitet; im Laufe der nächsten drei Jahrzehnte tauschen sich die beiden in über 200 Briefen aus.

Etliche dieser Briefe beschäftigen sich mit einem horizontal montierten Wasserrad, das Segner entwickelt hat: Das von oben einfließende Wasser verlässt die Apparatur unten über zwei in entgegengesetzter Richtung montierte Ausläufe. Die austretenden Wasserstrahlen wirken wie Düsen, sodass der beweglich montierte untere Teil wegen des Rückstoßes in eine Rotationsbewegung versetzt wird. Euler ist vom Segner'schen Wasserrad so angetan, dass er eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen macht, bevor er selbst einen Beitrag zur Theorie der Turbinen veröffentlicht, ohne die Urheberschaft Segners in Frage zu stellen (Recherches sur l’effet d’une machine hydraulique proposée par M. Segner, professeur à Göttingue). Die Erfindung wird bald erfolgreich in einer Ölmühle eingesetzt; heute ist die Idee in Sprinkleranlagen realisiert. Auf Vorschlag von Euler wird Segner, der auch heute noch als „Vater der Turbine“ bezeichnet wird, als Mitglied in die Akademie der Wissenschaften in Berlin (1746) und in Sankt Petersburg (1754) aufgenommen.

Ein weiteres Thema der Korrespondenz mit Euler ist ein kombinatorisches Problem, das dieser 1751 in einem Brief zunächst seinem Freund Christian Goldbach mitteilt:

Auf wie viele Arten lässt sich ein konvexes \(n\)-Eck durch die Diagonalen in Dreiecke zerlegen? (Ein \(n\)-Eck heißtkonvex, wenn jede Verbindungsstrecke zweier Punkte des \(n\)-Ecks innerhalb des \(n\)-Ecks verläuft.)

Euler schreibt an Segner, dass er für 3-, 4-, 5-, …, 9-Ecke die Zerlegungszahlen \(1\), \(2\), \(5\), \(14\), \(42\), \(132\), \(429\) gefunden hat und dass man sie mithilfe von \(C_m = \frac{2 \cdot 6 \cdot 10 \cdot \dots \cdot (4m-2)}{2 \cdot 3 \cdot 4 \cdot \dots \cdot (m+1)}\) (mit \(m=n-2\)) berechnen kann, also \(C_2=\frac{2\cdot 6}{2 \cdot 3}=2\) (Viereck), \( C_3=\frac{2\cdot 6 \cdot 10}{2\cdot 3 \cdot 4}=5\) (Fünfeck) und so weiter.

Segner beweist, dass man die Anzahlen auch iterativ bestimmen kann:

\(C_{m+1}=\sum_{k=0}^m C_k \cdot C_{m-k}\), also zum Beispiel: \( C_3 = C_0 \cdot C_2 + C_1 \cdot C_1 + C_2 \cdot C_0 = 5\) (mit den Anfangsgliedern \(C_0 = 1\) (Zweieck), \(C_1 = 1\) (Dreieck). Heute wird die Zahlenfolge \(C_m\) als Catalan-Folge bezeichnet (nach Eugène Charles Catalan, 1814 – 1894).

Bereits 1728 hatte Segner einen ersten Versuch gewagt, die bis dahin unbewiesene Descartes'sche Vorzeichenregel zu beweisen: Die Anzahl der positiven Nullstellen eines Polynoms ist gleich der Anzahl der Vorzeichenwechsel in der Zahlenfolge der Koeffizienten oder um eine gerade Anzahl geringer. 1756 reicht er bei der Berliner Akademie einen ergänzten (wenn auch immer noch nicht vollständigen) Beweis ein; erst Gauß gelingt der endgültige Beweis.

In seinen Vorlesungen bemüht sich Segner darum, den wissbegierigen Zuhörern einen verständlichen und systematischen Zugang zu den Grundlagen der Physik und der Mathematik zu bereiten. 1746 erscheint die erste Auflage seiner 586-seitigen Einleitung in die Naturlehre, eine Zusammenfassung der physikalischen Erkenntnisse seiner Zeit; unter anderem enthält es eine erstaunlich genaue Abschätzung der Lichtgeschwindigkeit, aus der er die Zeit berechnet, die das Licht von der Sonne zur Erde benötigt (8 Minuten 7 Sekunden; korrekt ist: 8 Minuten 20 Sekunden) und vom nächsten Fixstern zur Erde (mehr als 6 Jahre).

1747 gibt er eine erste Ausarbeitung seiner Mathematik-Vorlesungen heraus: Deutliche und vollständige Vorlesungen über die Rechenkunst und Geometrie: zum Gebrauche derjenigen, welche sich in diesen Wissenschaften durch eigenen Fleiß üben wollen. Auf 782 Seiten erläutert er Inhalte und Methoden der Elementar-Mathematik: von den einfachen Rechenarten mit ganzen Zahlen und zehentheilichten Brüchen (= Dezimalzahlen) bis hin zu trigonometrischen Berechnungen.

Als 1754 in Halle der Mathematiker und Philosoph Christian Wolff stirbt, beauftragt König Friedrich (der Große) den Direktor der Mathematischen Klasse der Berliner Akademie der Wissenschaften, Leonhard Euler, damit, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Euler schlägt Segner für den Lehrstuhl für Mathematik und Physik vor, der, wie er schreibt, beynahe der einzige ist, welcher sich in Teutschland in der Physic und Mathematic vorzüglich hervorgethan.

Segner nutzt die Gunst der Stunde, verlangt neben einer höheren Besoldung den Titel eines Geheimrats sowie die Erneuerung eines ungarischen Adelspatents seiner Familie, sodass er sich zukünftig von Segner nennen darf.

Seinem bisherigen Arbeitsplatz in Göttingen trauert er wegen neuerdings aufgetretener Kompetenzstreitigkeiten nicht lange nach: Kurz vor Fertigstellung der Sternwarte wird nicht er, sondern der Nürnberger Astronom und Kartenmacher Tobias Mayer zum Leiter des Observatoriums ernannt.

Hintergrund dieser überraschenden Ernennung durch Georg August, Kurfürst von Hannover, gleichzeitig König Georg II. von Großbritannien, ist eine Ausschreibung des britischen Parlaments aus dem Jahr 1714, durch welche die Vorherrschaft der Royal Navy auf den Weltmeeren gesichert werden soll.

Ein Preisgeld von 20 000 £ war demjenigen versprochen worden, der das Längengradproblem löst: Wie kann man auf See die korrekte Position des eigenen Schiffs bestimmen? Tobias Mayer scheint eine brauchbare Methode gefunden zu haben: Mithilfe seiner Mondtabellen, die er durch außergewöhnlich präzise Messungen und geschickte Berechnungen erstellt hat, kann die Position des Erdtrabanten auf 5'' genau vorhergesagt werden.

Umgekehrt lässt sich die geografische Länge der Position eines Schiffes auf See durch Vergleich mit den Mondtabellen auf 0,5° genau ermitteln. (Nach dem frühen Tod von Tobias Mayer erhält seine Witwe immerhin einen Anteil von 3 000 £ des Preisgelds; fast der gesamte restliche Betrag geht an den Erfinder des Chronometers, John Harrison.)

In Halle veröffentlicht Segner Ausarbeitungen seiner Mathematik-Vorlesungen (Cursus mathematici): Elementa Arithmeticae Geometriae et Calculi Geometrici (1756); übersetzt durch seinem Sohn Johann Wilhelm (Anfangsgründe der Arithmetick, Geometrie und der geometrischen Berechnungen, 1764). Die Folge-Bände (Elementa analyseos finitorum, 1758, Elementorum analyseos infinitorum, pars I et II, 1761, Elementorum calculi integralis, 1768) belegen, dass Segner hinsichtlich der mathematischen Entwicklung auf dem Laufenden ist.

Im Jahr 1758 verfasst Segner einen Beitrag, der von der Petersburger Akademie veröffentlicht wird. Hierin stellt er dar, wie man Funktionswerte eines Polynoms konstruieren kann. Die dahinter stehende Idee ist nichts anderes als das 50 Jahre später von William George Horner veröffentlichte und nach diesem benannte Rechenverfahren. Segner gibt an, dass man prinzipiell die Konstruktionen wohl auch mithilfe einer mechanischen Vorrichtung durchführen könnte, hält aber die Realisation technisch für problematisch. Nur wenige Jahre später (1770) erscheint bei der Royal Society in London ein Beitrag von John Rowning, in dem dieser eine solche Maschine präsentiert (vermutlich unabhängig von Segner entwickelt).

Beispiel einer Konstruktion nach Segner: Für das Polynom \(f(x) = 1x^3 + 1,5x^2 + 0,5x + 2\) soll der Funktionswert \(f(0,6)\) konstruiert werden. Zunächst werden vier Rechtecke der Breite \(1\) übereinander gezeichnet; deren Höhe ist durch die Koeffizienten bestimmt: \(a_0 = 2\); \(a_1 = 0,5\); \(a_2 = 1,5\) und \(a_3 = 1\). Nacheinander werden dann an der Stelle \(x = 0,6\) (gemäß Strahlensatz) die Werte \(a_3\cdot 0,6\) (erste Abbildung); \( (a_3\cdot 0,6 + a_2 )\cdot 0,6\) (Abbildung Mitte) sowie \( ((a_3\cdot 0,6 + a_2)\cdot 0,6 + a_1)\cdot 0,6\) (letzte Abbildung) konstruiert. An der letzten Abbildung kann schließlich \(f(0,6) = ((a_3\cdot 0,6 + a_2)\cdot 0,6 + a_1)\cdot 0,6 + a_0 = 3,056\) abgelesen werden.

Darüber hinaus veröffentlicht Segner populäre Beiträge in den Wöchentlichen Halleschen Anzeigen wie zum Beispiel eine Anleitung zum Bau einer Lampe für Studierende oder eines Korkgürtels zum Schutz vor dem Ertrinken. 1777 stirbt Segner als angesehener Bürger der Stadt und wird in einer Gruft auf dem Stadtgottesacker bestattet.

János András Segner (1704 – 1777)

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