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Der Mathematische Monatskalender: Ruđer Josip Bošković (1711–1787): Universalgelehrter

Der Universalgelehrte lehrte Mathematik in Rom, verfasste insgesamt 70 Arbeiten in verschiedenen mathematisch-physikalischen Bereichen und korrespondierte mit führenden Gelehrten in ganz Europa.
Korona der Sonnenfinsternis

Auf den jugoslawischen und kroatischen Briefmarken, die zu Ehren des Universalgelehrten erschienen sind, wird zwar einheitlich die Schreibweise Ruđer Josip Bošković verwendet (Ruđer – sprich: Rudjer), im Taufverzeichnis findet man die italienische Version Ruggero Giuseppe Boscovich.

Ruđer Josip Bošković wird in Ragusa geboren (heute Dubrovnik/Kroatien), einer kleinen, unabhängigen Republik an der adriatischen Küste. Seit dem 14. Jahrhundert behauptet sich diese Republik durch eine geschickte Neutralitätspolitik zwischen dem Osmanischen und dem stärker werdenden Habsburgischen Reich. Nach der Niederlage der Osmanen im Jahr 1699 versucht der mächtige Stadtstaat Venedig erfolglos, den Handelskonkurrenten an der Adria zu isolieren; erst unter Napoleon wird die Republik aufgelöst.

Ruđers Vater ist ein aus Dubrovnik stammender Kaufmann, seine Mutter Tochter eines aus Bergamo (Norditalien) nach Dubrovnik eingewanderten Kaufmanns. Die Familie ist sehr religiös; von den neun Kindern (sechs Jungen, drei Mädchen) treten zwei dem Orden der Jesuiten bei, einer dem Orden der Dominikaner; auch eines der Mädchen tritt in ein Kloster ein; nur Ruđers älteste Schwester heiratet.

Mit neun Jahren wird Ruđer in das örtliche Jesuiten-Kolleg Regusinum aufgenommen; mit 14 Jahren nimmt der hochbegabte Schüler seinen Weg nach Rom, wo er zwei Jahre später in das berühmte Collegium Romanum eintreten darf. Als er mit 21 Jahren sein Studium der Theologie, Mathematik und Philosophie beendet hat, wird er ohne Zwischenstationen sofort als Lehrer am Collegium Romanum eingestellt. Er nimmt astronomische Beobachtungen auf und veröffentlicht 1737 seine Messergebnisse zum Merkur-Transit vor der Sonne (»De Mercurii novissimo infra solem transitu«). Im gleichen Jahr folgt – parallel zur Vorbereitung auf die Priesterweihe – ein Werk über sphärische Trigonometrie sowie über das Nordlicht.

1740 wird Ruđer Josip Bošković zum Mathematik-Professor am Collegium Romanum ernannt; gleichzeitig beauftragt ihn der neue Papst mit der Untersuchung der im Petersdom aufgetretenen Risse (er empfiehlt in seinem Gutachten, einen Eisenring um die Kuppel zu legen, was auch umgesetzt wird).

Er verfasst insgesamt 70, teilweise umfangreiche Arbeiten in verschiedenen mathematisch-physikalischen Bereichen; er schreibt Gedichte in lateinischer Sprache über wissenschaftliche Themen, unter anderem »De solis et lunae defectibus« (Über Sonnen- und Mondfinsternisse). Heute noch existieren über 2000 Briefe seiner Korrespondenz, unter anderem mit Euler, Lagrange, d’Alembert und Laplace. Er hat immer wieder neue Ideen zur Verbesserung astronomischer Geräte; beispielsweise macht er Experimente mit Linsen, die mit Flüssigkeiten gefüllt sind, um den Effekt der chromatischen Aberration zu reduzieren.

Er setzt sich intensiv mit den Schriften Isaac Newtons (1643–1727) auseinander, insbesondere mit den »Principia Mathematica« von 1687 und mit »Opticks« von 1704. Als erster Wissenschaftler des europäischen Kontinents propagiert er die Newtonsche Gravitationstheorie. Angeregt durch die Newtonschen Arbeiten untersucht er lokale Gravitationsschwankungen. 1750 übernimmt er den Auftrag des Papstes, die Länge des Meridianbogens zwischen Rom und Rimini (ca. 200 km) zu vermessen, um hiermit den lokalen Erdradius zu bestimmen und somit Kenntnisse über die Gestalt der Erde zu erhalten; gleichzeitig erstellt er eine exzellente Karte des Kirchenstaats. Auf einen ähnlichen Auftrag, eine portugiesische Expedition in Brasilien zu leiten, muss er verzichten. Um die voneinander abweichenden Messergebnisse »auszugleichen«, entwickelt er die Idee, die Summe der Abweichungen zu minimieren – in den Unterlagen von Carl Friedrich Gauss (1777–1855) findet man Hinweise darauf, dass dieser durch die Arbeiten von Bošković zu »seiner« Ausgleichsrechnung angeregt wird.

Er entwickelt eine Methode, wie man aus nur drei Positionsbestimmungen eines Planeten oder eines Kometen dessen Bahn berechnen kann, außerdem ein geometrisches Verfahren, wie man aus drei Beobachtungen der Oberfläche eines Planeten die Lage des Äquators dieses Himmelskörpers sowie die Rotationsdauer bestimmt. Dies wendet er bei der Sonne an, indem er aus drei Messungen eines Sonnenflecks die Lage der Äquatorebene berechnet. 1752 reicht er eine Arbeit über Beobachtungen von Saturn und Jupiter für den alljährlich vergebenen Preis der französischen Akademie der Wissenschaften ein; zwar gewinnt er den Jahres-Preis nicht (Leonhard Euler erhält ihn), aber die hohe Qualität seiner Arbeit wird besonders herausgestellt.

1758 veröffentlicht er sein Hauptwerk, die »Theoria philosophiae naturalis redacta ad unicam legem virium in natura existentium«, in der er – über die Vorstellungen Newtons hinaus – nicht nur Anziehungs- sondern auch Abstoßungskräfte in dessen Gravitationstheorie einbezieht. Er führt den Begriff des Massenpunkts in die theoretische Physik ein; seine Vorstellung eines punktförmigen Atoms ohne Ausdehnung beeinflusst die Wissenschaft bis ins 19. Jahrhundert; sein Werk inspiriert Michael Faraday (1791–1867) zu dessen Entwicklung einer elektrischen Feldtheorie.

Im Auftrag des Papstes vermittelt der sprachgewandte Universalgelehrte (er veröffentlicht Werke in lateinischer, italienischer und französischer Sprache) als Diplomat in einem Streit zwischen Habsburg und italienischen Stadtstaaten bzgl. der Wasserentnahme aus einem See in der Toskana. Sein Arbeitspensum ist so gewaltig, dass seine Gesundheit darunter leidet. Nachdem sein Ordensgeneral 1754 seine Arbeiten als »gefährlich« bezeichnet hat, fühlt er sich am Collegium Romanum in seinen Forschungen allzu sehr eingeengt und stellt den Antrag, Rom verlassen zu dürfen. Sein erstes Reiseziel ist Paris, wo er an den Sitzungen der Akademie der Wissenschaften teilnimmt. Weiter geht es nach London, wo er zum Mitglied der Akademie der Royal Society gewählt wird. Mit diplomatischem Geschick kann er die britische Regierung davon überzeugen, dass seine Heimatstadt Ragusa nicht an der heimlichen Aufrüstung der französischen Flotte beteiligt ist. Der Akademie schlägt er eine Expedition zur Beobachtung des Venus-Transits im Juni 1761 vor; er selbst möchte diesen Vorgang in Konstantinopel (Istanbul) beobachten – auf der Reise dorthin kommt es jedoch zu Verzögerungen, und er verpasst das Ereignis.

1764 nimmt er einen Ruf der Universität Pavia für eine Mathematik-Professur an; gleichzeitig wird er mit der Planung und der Leitung eines Observatoriums in Mailand (Brera) beauftragt. Als 1769 die Royal Society ihn zum Leiter einer Venus-Transit-Expedition in die spanische Kolonie Kalifornien ernennen will, wird er zum Opfer seiner Zugehörigkeit zum Jesuitenorden: Wegen angeblicher oder tatsächlicher Einmischung in die Politik verbannen immer mehr europäische Regierungen die Jesuiten aus ihren Ländern; auf Portugal (1759) folgen Frankreich, Spanien, das Königreich beider Sizilien. Spanien verbietet Bošković die Einreise nach Kalifornien. Der neu gewählte Papst befürchtet eine Kirchenspaltung und löst den Orden 1773 (vorübergehend) auf.

Bošković verliert seine Ämter in Pavia und Mailand, wandert nach Frankreich aus und übernimmt in Paris das Amt als »Direktor der Optik« bei der französischen Kriegsmarine (»Optique Militaire de la Marine Royale de France«). Bald wird er jedoch in einen unerfreulichen Prioritätenstreit bzgl. der von ihm entwickelten astronomischen Geräte verwickelt und auch vom jungen Pierre Simon Laplace (1749–1827) massiv wegen der von ihm entwickelten Methoden zur Ausgleichsrechnung angegriffen.

1782 resigniert er, beendet die für ihn nicht mehr befriedigende Tätigkeit und kehrt nach Italien (was er immer als seine Heimat angesehen hat) zurück. 1785 gibt er noch seine Beiträge zur Astronomie als fünfbändiges Werk heraus; dann aber lassen seine körperlichen und geistigen Kräfte dramatisch schnell nach; er stirbt in geistiger Verwirrung in Mailand. Ein englischer Musikwissenschaftler, der Bošković in Mailand kennen lernt, schreibt: »...if all Jesuits were like this father, who uses the higher science and the work of mind to advance science for the happiness of mankind, then it were to be wished that this society were as durable as is this world.«

Ruđer Josip Bošković (1711 – 1787)

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