Der Mathematische Monatskalender: Pedro Nunes (1502–1578): Erfinder der Nonius-Skala
Über seine Herkunft weiß man wenig: Er stammt aus einer ursprünglich jüdischen Familie, die zum Christentum gewechselt war. Sein Geburtsort ist die südportugiesische Stadt Alcácer do Sal – weswegen oft hinter seinem Namen auch der Zusatz »Salaciense« gestellt wird. Er studiert zunächst in Salamanca (Spanien), danach in Lissabon. 1525 schließt er sein Studium mit einer Prüfung in Medizin ab, was zur damaligen Zeit auch Kenntnisse in Astrologie (also auch in Astronomie und Mathematik) einschließt. Im Laufe der Jahre erhält er Lehraufträge für Moral, Philosophie, Logik und Metaphysik an der Universität Lissabon. 1537 wird diese wieder an ihren ursprünglichen Ort, nach Coimbra in Nordportugal, verlegt (gegründet wurde die Universität von Coimbra bereits im Jahr 1290 – sie ist eine der ältesten Universitäten in Europa); Pedro Nunes wird dort zum Professor für Mathematik ernannt. Neben der Lehre der Mathematik erhält er den Auftrag, die technischen Ausstattungen für die Navigation zu verbessern – eine Aufgabe, von deren Erfüllung es abhängt, ob Portugal seine bedeutende Stellung als Seemacht behaupten kann.
1531 bittet ihn der portugiesische König Johann III., die wissenschaftliche Erziehung seiner jüngeren Brüder und später auch die seines Enkels, des späteren Königs Sebastian, als deren »Hoflehrer« zu übernehmen. 1547 ernennt ihn der König zum obersten königlichen Kosmographen auf Lebenszeit (Kosmographie = Wissenschaft von der Beschreibung der Erde und des Weltalls).
Pedro Nunes gilt als einer der größten Mathematiker seiner Zeit. Sein berühmtester Schüler ist der aus Bamberg stammende Jesuit Christopher Clavius (1538–1612), der spätere Leiter der Gregorianischen Kalender-Kommission (1582); dieser ist auch der »Erfinder« des Dezimalpunkts (Abtrennung des ganzzahligen Teils einer Dezimalzahl vom Zehntel).
Nunes ist vermutlich der letzte Wissenschaftler von Bedeutung, der versucht, das geozentrische System des Ptolemäus zu verbessern. Zum heliozentrischen System des Nikolaus Kopernikus (1473–1543) nimmt er nicht Stellung, weist in einem Beitrag nur auf Rechenfehler in dessen Hauptwerk »De Revolutionibus Orbium Coelestium« (deutsche Fassung: Von den Umdrehungen der Himmelskörper) hin.
Pedro Nunes löst das mathematisch-astronomische Problem, wie man rechnerisch – für einen beliebigen Ort der Erde – den Tag und die Dauer der kürzesten Dämmerungszeit bestimmen kann (»De crepusculis«, 1542), eine Fragestellung, an der sich ein Jahrhundert später immerhin auch Johann und Jakob Bernoulli (1667–1748 beziehungsweise 1655–1705) mit Mitteln der neu entwickelten Differentialrechnung versuchen, allerdings mit geringerem Erfolg.
1532 verfasst er das »Libro de Algebra en Arithmetica y Geometria« in portugiesischer Sprache; es beschäftigt sich unter anderem mit der Lösung quadratischer und kubischer Gleichungen und gibt den Stand der damaligen Kenntnisse wieder. In ihm verwendet er konsequent die in Luca Paciolis Schrift »Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proportionalita« aus dem Jahr 1494 (dem ersten umfassenden Mathematikbuch in italienischer Sprache) enthaltenen Bezeichnungen und verkürzt sie weiter: co schreibt er anstelle von cosa (später schreibt man noch kürzer: x), ce für censo (x2), cu für cubo (x3). Das Buch wird nicht gedruckt, weil Nunes sich von einer spanischen Version eine höhere Auflage verspricht. Als diese dann endlich 1567 in Antwerpen erscheint (damals: Spanische Niederlande), ist dessen Inhalt bereits teilweise überholt, weil es in der Zwischenzeit Girolamo Cardano (1501–1576) gelungen ist, allgemeine Lösungsformeln für Gleichungen 3. Grades aufzustellen (Ars magna, 1545).
Wie alle Wissenschaftler seiner Zeit publiziert Pedro Nunes vor allem in lateinischer Sprache – sein latinisierter Name Petrus Nonius Salaciensis findet sich im Begriff »Nonius« wieder; so nennt man -auch heute noch – eine zusätzliche Skala an Messgeräten, die es ermöglicht, Längen und Winkel mit größerer Genauigkeit abzulesen. Nunes ist zwar nicht der Erfinder des »Nonius«, jedoch findet man in einer Schrift zur Navigationslehre (»Navigandi Libri Duo«) von 1546 einen Vorschlag, der dann von Christopher Clavius und anderen weiterentwickelt wird und 1631 zur Erfindung des heute bekannten Nonius durch den Franzosen Pierre Vernier führt.
Nunes schlägt vor: Man zeichne in einen Quadranten 45 konzentrische Viertelkreise, den ersten unterteile man in 90 gleich große Bogenstücke, den zweiten in 89, den dritten in 88 und so weiter und den letzten in 46 gleich große Abschnitte. Wenn man einen Winkel auf der äußeren Skala nicht genau ablesen kann, weil die Markierung zwischen zwei Teilstrichen der 1-Grad-Skalierung liegt, dann suche man denjenigen inneren Viertelkreis, bei dem die Markierung am ehesten auf einen Teilstrich verläuft, und rechne entsprechend die Bruchteile um. Auf der Briefmarke von 1978 ist links dieses System »o nonio« dargestellt. In der Abbildung oben rechts soll ein Beispiel das Verfahren illustrieren: Der Strahl verläuft ziemlich genau durch den 8. Strich des Viertelkreises mit 63 gleich großen Abschnitten; daher ist der eingeschlossene Winkel gleich \(8/63\cdot 90°\approx 11,43°\)
Nunes erkennt als Erster den Vorteil für die Navigation von Schiffen, wenn diese mit einem festen Kurs gesteuert werden können. Zwar legen diese dann nicht den kürzest möglichen Weg zwischen Start- und Zielpunkt zurück – dies wäre ein Weg längs eines Großkreises (Kreislinie auf einer Kugeloberfläche mit maximalem Umfang, vergleichbar der Äquatorlinie) – sondern fahren ein Stück auf einer Linie, die »spiralförmig« um die Erde verläuft und asymptotisch auf den Nord- oder Südpol der Erde zusteuert. Diese Linien, die in der rechten Hälfte der Briefmarke zu erkennen sind, werden als Loxodrome bezeichnet (griechisch loxos = schief, dromos = Lauf; portugiesisch curvas dos rumos; lateinisch rumbus). Bei einer Fahrt längs eines Großkreises muss ständig die Fahrtrichtung angepasst werden, weil sich die Winkel zu den – zu den Polen führenden Längenkreisen – ständig verändern. 1537 stellt Nunes in einer Abhandlung den Nutzen von Seekarten heraus, auf denen Längen- und Breitenkreise als ein rechtwinkliges Koordinatensystem eingetragen sind, weil dann die Loxodrome ebenfalls Geraden wären. Aber erst Gerhard Mercator (1512–1594) bewältigt die hiermit verbundenen mathematischen Probleme durch seine Erfindung einer Projektion der Kugel auf einen umgebenden Zylinder (so genannte Mercator-Projektion).
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