Direkt zum Inhalt

Dichteste Kugelpackung: Chaos mit System

Mit Murmeln spielen ist ein Kinderspiel? Von wegen - seit mindestens vierhundert Jahren beschäftigen sich gestandene Mathematiker und Physiker mit den bunten Kugeln und ihrer Fähigkeit, den Raum auszufüllen. Fast drei Viertel belegen sie im besten Fall. Lässt man sie aber zufällig in eine Kiste plumpsen, scheint bei etwas über sechzig Prozent eine magische Grenze zu liegen. Warum?
Bei der Inventur in einem Kaufhaus heißt es zählen, zählen und nochmals zählen – jeden noch so kleinen Gegenstand vom Haargummi bis zur Kekstüte. Gern gesehen ist da gut sortierte Ware, etwa Paletten voller Milchtüten, die sich leicht überschlagen lässt. Umso schwieriger wird es hingegen, wenn die Ordnung fehlt. Ähnliche Probleme plagten im späten 16. Jahrhundert auch einen englischen Seefahrer: Sir Walter Raleigh wollte möglichst schnell und zuverlässig abschätzen können, wie viele Kanonenkugeln an Bord seines Schiffes lagerten.

Der Mathematiker Thomas Harriot sollte ihm dafür eine Formel entwerfen. Er stapelte also die Kugeln in allen denkbaren Weisen übereinander und grübelte über den tauglichsten Munitionshaufen. Per Briefkontakt verwickelte er auch den deutschen Astronomen Johannes Kepler in die Kugelproblematik. Beide interessierten sich statt der Inventurhilfe allerdings vielmehr für dasjenige Arrangement, bei der die Kugeln möglichst viel Raum ausfüllten. Kepler glaubte, dass die kubisch-flächenzentrierte oder die hexagonale Packung von gleich großen Kugeln die größte mittlere Dichte von allen möglichen Konfigurationen besitzt.

In Reih und Glied

Dichteste Kugelpackungen | In einer dichtesten Kugelpackung hat jede Kugel 12 nächste Nachbarn, sechs davon in der eigenen Schicht. Die kubisch-flächenzentrierte Packung hat die Schichtfolge ABC, während die hexagonale Packung die Schichtfolge ABA zeigt. In beiden Fällen sind etwa 74 Prozent des Raumes ausgefüllt.
In der untersten Schicht hat jede Kugel dabei sechs enge Nachbarn – es ergeben sich so Reihen, die gegeneinander um jeweils einen Radius versetzt sind. Die zweite Lage wird nach selbem System angelegt und auf die entstandenen Hohlräume gesetzt, sodass jede Kugel auf drei anderen zu liegen kommt. Die nächste Schicht platziert man nun entweder genau über der untersten (Stapelfolge ABA) oder man wählt etwas verschoben die einzigen anderen verbleibenden Lücken (Stapelfolge ABC). Auf diese Weise wird mehr als 74 Prozent des Volumens von den Kugeln eingenommen. Auch Harriot hatte seinem Auftraggeber diese Methode präsentiert, und noch heute wird sie von Obsthändlern sehr geschätzt.

So trivial die Anordnung erscheinen mag, der mathematische Beleg für die dichteste Kugelpackung ließ fast 400 Jahre auf sich warten: 1998 legte Thomas Hales von der Universität Pittsburgh auf etwa 250 Seiten einen glaubwürdigen Beweis vor. Doch damit war das Kugelproblem noch längst nicht abgeschlossen. Experimente zeigen, dass ein zufälliges Wirrwarr an Kugeln eine Dichte von etwa 64 Prozent nicht übersteigt – egal wie man es auch schüttelt. Physikern und Mathematikern war das unerklärlich.

Ordnung im Kleinen

Alexey Anikeenko und Nikolai Medvedev vom Institute of Chemical Kinetics and Combustion in Novosibirsk nahmen sich nun der Sache an. Sie erforschten die Struktur von computersimulierten Kugelpackungen bei verschiedenen Dichten. Anhand von einigen hundert verschiedenen Konfigurationen stellten sie fest, dass sich mal mehr und mal weniger Kugeln in etwas verformten dreiseitigen Pyramiden, quasireguläre Tetraeder genannt, formierten.

Je näher sich die Volumenausbeute an die magischen 64 Prozent annäherte, desto mehr solcher vierflächigen Konfigurationen bildeten sich aus, bis am Limit nahezu alle Kugeln Teil einer solchen Pyramide waren. Im Lokalen scheint dieses Arrangement also durchaus günstig zu sein, für das gesamte System ist es aber eben nicht ideal. Die Dichte weiter zu steigern und somit das Limit zu überschreiten war nur möglich, wenn sich einige der Kugeln in den von Kepler gefundenen Ordnungen versammelten.

Die Ergebnisse von Anikeenko und Medvedev sind zwar noch fernab von einer mathematischen Beschreibung des Kugelgewirrs, aber dennoch haben sie ein bisschen Ordnung ins Chaos gebracht. Die Bestandsaufnahme von ungeordneten Orangen, Tischtennisbällen oder ähnlich Rundem wird aber dessen ungeachtet müßige Handarbeit bleiben.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.