Elektromobilität: "Jeder kann selbst überlegen, was er haben will"
Rund eine halbe Milliarde Euro aus dem Konjunkturpaket II fließen derzeit in die Elektromobilität. Ist das sinnvoll? Keine Frage, sagt Dirk Uwe Sauer, Professor am Institut für Stromrichtertechnik und elektrische Antriebe (ISEA) der RWTH Aachen. Wer den Klimawandel ernst nimmt, kommt an Elektroautos nicht vorbei.
Dirk Uwe Sauer: Die Diskussionen über Energiedichten, Leistungsdichten und letztlich die Reichweite von E-Mobilen gehen meiner Ansicht nach in die falsche Richtung. Die Frage muss doch lauten: Was können wir uns wirtschaftlich leisten? Bei einem Liefer- oder Postauto mit festen Routen beispielsweise ist das keine Frage. Wenn es täglich 100 oder 200 Kilometer fährt, wird die Batterie eben entsprechend dimensioniert und einmal am Tag leer gefahren. Das amortisiert sich: Wenn so eine Batterie 300 Zyklen jährlich durchmacht, hält sie mindestens fünf, vielleicht auch zehn Jahre. Der Durchschnittsbürger hat ein anderes Nutzungsprofil, er fährt im Schnitt 37 Kilometer am Tag, und das meist auf kurzen Strecken. Selbst wenn sein Elektroauto über gerade einmal 100 Kilometer Reichweite verfügt, ist das ungünstig für die Wirtschaftlichkeit. Er muss die Batterie finanzieren und sie auch ständig durch die Gegend fahren. Doch zwei Drittel der Batterie stehen sich nur kaputt.
Spektrum: Selbst 100 Kilometer Reichweite wären den meisten zu wenig.
Sauer: Jeder kann sich selbst überlegen, was er haben will. Heutige Batterien für E-Mobile bringen es auf Energiedichten von 100 bis 120 Wattstunden pro Kilogramm. Ein umgebauter Polo beispielsweise verbraucht 15 oder 16 Kilowattstunden pro 100 Kilometer. Damit kommt man auf grob 65 oder 80 Kilometer Reichweite pro 100 Kilogramm. Bei einem Fahrzeuggewicht von 1,2 Tonnen sind vielleicht 300 Kilogramm für die Batterie okay, das entspricht dann immerhin 200 oder 240 Kilometern. Sinnvoll ist das in der Regel trotzdem nicht. Bislang sind ohnehin praktisch nur Einzelstücke auf dem Markt, bei denen die Kilowattstunde speicherbarer Energie rund 1000 bis 1500 Euro kostet. Realistischerweise könnten die Preise eines Tages auf 300 Euro pro Kilowattstunde heruntergehen. Bei 100 Kilometer Reichweite, also 15 Kilowattstunden Energie, sind für die Batterie dann 4500 Euro fällig. Hinzu kommen noch Mehrwertsteuer, Handling, Einbau, Garantie, da rechnen wir etwa mit dem Faktor 1,8. Refinanzieren lässt sich diese Investition zwar teilweise dadurch, dass Strom billiger ist als Benzin. Aber auch das gilt eben nur, wenn man tatsächlich fährt und die Batterie nicht nur altert.
Spektrum: Was also kann man sich von Elektroautos denn versprechen?
Sauer: Heute sind E-Mobile im Prinzip als Stadt- oder Zweitfahrzeuge sinnvoll einsetzbar. Und selbst in zehn Jahren werden wir keine Standardbatterien haben, die uns wirtschaftliche Reichweiten von 300 oder 500 Kilometern erlauben. Idealerweise besitzt die Durchschnittsfamilie im Jahr 2020 ein reines Elektromobil sowie einen Plug-in-Hybriden (dieser verfügt sowohl über einen Verbrennungsmotor als auch über einen Elektroantrieb mit am Stromnetz aufladbarer Batterie, Anm. d. Red.) mit 30 bis 50 Kilometer elektrischer Reichweite. Mit Letzterem kann sie dann auch problemlos in Urlaub fahren. Wenn die elektrische Infrastruktur flächendeckend vorhanden ist, wir also zum Beispiel während der Arbeit unsere Autos aufladen, können wir mit solchen Fahrzeugen problemlos zwei Drittel des Benzins einsparen, das die Deutschen heute im Verkehr verbrauchen. Serielle Hybride erlauben es zudem, den Benzinverbrauch und die Abgasreinigung zu optimieren, ähnlich wie in modernen Schiffen oder dieselelektrischen Zügen. Dabei läuft der Verbrennungsmotor ausschließlich, um Strom zu erzeugen, das aber an seinem optimalen Leistungspunkt.
Sauer: Im Stadtverkehr sind Benziner wegen des sehr dynamischen Betriebs natürlich ineffizienter als bei konstanter Geschwindigkeit über Land oder auf der Autobahn. Außerdem können sie die Bremsenergie nicht per Rekuperation teilweise zurückgewinnen. Andererseits: Im städtischen E-Mobil schlagen dann zusätzliche Verbraucher wie Radio, Licht, vielleicht die Klimaanlage zu Buche, weil man für relativ kurze Strecken relativ lang unterwegs ist.
Spektrum: Zu unserem Artikel „Die Zukunft fährt elektrisch“ bemerkten einige Leser, dass offenbar noch keine Lösung für das Heizen des Innenraums existiere. Schließlich entfällt die Abwärme des Motors fast ersatzlos.
Sauer: Zu diesen thermischen Problemen ist in der Tat noch wenig geforscht worden. Heutige Fahrzeuge sind thermisch gesehen alles andere als optimal: Pro Stunde wird bis zu 30-mal die komplette Innenluft ausgetauscht. Ähnlich wie dies lange Zeit beim Hausbau der Fall war, hat sich über dieses Thema schlicht keiner Gedanken gemacht. Aber das entsprechende Instrumentarium, das für andere Einsatzzwecke entwickelt wurde, kann man natürlich auch auf das Auto loslassen: thermische Speicher, Fenster mit Beschichtungen, dünne Vakuumisolationselemente, Wärmetauscher und so weiter. Aber selbst bei Batterien und Elektromotoren geht rund 10 bis 15 Prozent der Energie in Form von Wärme verloren. Daraus ließe sich etwa ein Kilowatt Wärmeleistung gewinnen.
Sauer: Wenn man das Problem der CO2-Emissionen und den Klimawandel ernst nimmt, gibt es mittelfristig keine Alternative zum elektrischen Antrieb, zumindest wenn man das heutige Konzept des Individualverkehrs beibehalten will. Nur der Stromsektor hat die Chance, weitgehend kohlendioxidfrei Energie zu erzeugen, sei es über erneuerbare Energien, CO2-Sequestrierung oder Atomkraft. Ohnehin ist der Strombedarf geringer als mancher vermutet. Würde die gesamte Kilometerleistung der derzeit rund 46 Millionen Pkws, die auf deutschen Straßen unterwegs sind, komplett auf Elektrizität umgestellt, stiege der gesamte Stromverbrauch um 15 bis 20 Prozent. Selbst beim heutigen Strommix emittiert ein E-Fahrzeug in Deutschland bereits weniger Kohlendioxid als ein konventionelles. Und natürlich fallen auch Lärm und Feinstaubbelastung weg.
Spektrum: Welche Folgen hätte eine Umstellung in großem Stil für die Stromnetze?
Sauer: Eine intelligente Netzinfrastruktur könnte zu einigen nützlichen Effekten führen, vor allem im Zusammenhang mit der Regelleistung. Sobald eine hohe Quote von Fahrzeugen ans elektrische Netz angeschlossen ist, können sie zur Regulierung von Überschüssen oder Unterversorgung dienen. Ein für den Fahrzeughalter praktisch kostenloses Verfahren des Energiemanagements ist es, einfach den Bedarf zeitlich zu verlegen. Aufgeladen würde ein mit der Steckdose verbundenes Fahrzeug genau dann, wenn Überschüsse im Netz vorhanden sind. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass Batterien ihre Energie ins Netz abgeben, wenn dort Mangel herrscht, oder überschüssigen Strom aus den Netzen aufnehmen. Ihre Wirkungsgrade liegen bei rund 90 Prozent, hinzu kommen noch geringe Verluste durch die Umrichter. Damit ist die Batterie derzeit der Stromspeicher mit dem höchsten Wirkungsgrad und übertrifft auch die üblicherweise eingesetzten Pumpspeicherkraftwerke.
Sauer: Lohnen könnte sich das tatsächlich. Wenn die Netzbetreiber für die Nutzung solcher Zwischenspeicher bezahlen, hätte der Autobesitzer außerdem die Gewähr, dass sich seine Batterien nicht einfach kaputt stehen. Im Mittel werden Elektrofahrzeuge über zehn Jahre kaum 1500-mal den Energieinhalt der Batterie verbrauchen. Die Batterien können aber je nach Betriebsweise sicher 3000- bis 5000-mal ihren Energieinhalt abgeben. Jeder Cent, der durch den Einsatz dieser zusätzlichen Lebensdauer verdient werden kann, mindert die Kosten des Fahrzeughalters. Ein dreistufiges Management, das die Bedürfnisse vom Individualnutzer über die regionalen Niederspannungsnetze bis zum Hochspannungsnetz abdeckt, würde auch dafür sorgen können, dass jeder bei Bedarf einen vollen Tank hat. Und das Problem der Lebensdauerverkürzung hat sich bei der Lithiumionentechnik im Wesentlichen erledigt, man kann die Lithiumbatterien bei praktisch jedem Ladezustand be- oder entladen.
Spektrum: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hofft, dass schon 2020 eine Million Elektroautos – Hybride ebenso wie reine E-Mobile – auf Deutschlands Straßen fahren. Ist das realistisch?
Sauer: Ich denke, es werden mehr sein. Den Prognosen liegt ein zu einfacher Ansatz zu Grunde. Ich gehe davon aus, dass vor allem viele kleine Stadtfahrzeuge und Plug-in-Hybride auf den Markt kommen werden. Diese Stadtfahrzeuge bilden eine Klasse von Fahrzeugen, die es im Prinzip so heute noch nicht gibt. Sie werden die Grundbedürfnisse der Mobilität in der Stadt erfüllen, also zum Beispiel Fahrten zur Arbeit, zur Uni, zum Kindergarten oder zum Spielkreis am Nachmittag. Sie sind aber nicht dafür ausgelegt, dass man mit ihnen zweimal im Jahr lange Strecken in den Urlaub fährt. Auf dem asiatischen Markt sehen wir genau solche Entwicklungen, die zu günstigen Fahrzeugen führen – und sie werden hier auf den Markt kommen. Die Frage ist, wer dieses Geschäft künftig machen wird. Stichwort Tata Nano: Der indische Kleinwagen lässt sich für 3000 Euro bauen, und für weitere 3000 bis 5000 Euro kann man im Prinzip sofort ein Elektrofahrzeug mit einer Reichweite von vielleicht 80 Kilometern herstellen. Für den Erfolg solcher Autos werden auch veränderte gesellschaftliche Strukturen sorgen, denn die Schere zwischen Gering- und Höherverdienenden wird größer. Immer mehr Menschen, die sich einen Golf, Focus oder Astra nicht mehr leisten können, werden ihre Mobilitätsansprüche zurückschrauben. Dass jemand ein großes Auto vorhält, das er nur selten wirklich ausnutzt, wird immer seltener vorkommen.
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Dirk Uwe Sauer ist Professor für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik am Institut für Stromrichtertechnik und elektrische Antriebe (ISEA) der RWTH Aachen. Schwerpunkt seiner aktuellen Arbeiten ist die Batterietechnik für Mobilitätsanwendungen aller Art. Die Forschungsprojekte werden in den meisten Fällen in direkter Kooperation oder im Auftrag der Industrie durchgeführt. Außerdem veranstaltet Sauer Fortbildungsveranstaltungen für Industriemitarbeiter und Konferenzen.
Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor Sauer, wenn die Rede in diesen Tagen auf Elektroautos kommt, stehen schnell die Schwächen heutiger Batterien im Zentrum der Diskussion. Wie leistungsfähig sind sie denn mittlerweile?
Dirk Uwe Sauer: Die Diskussionen über Energiedichten, Leistungsdichten und letztlich die Reichweite von E-Mobilen gehen meiner Ansicht nach in die falsche Richtung. Die Frage muss doch lauten: Was können wir uns wirtschaftlich leisten? Bei einem Liefer- oder Postauto mit festen Routen beispielsweise ist das keine Frage. Wenn es täglich 100 oder 200 Kilometer fährt, wird die Batterie eben entsprechend dimensioniert und einmal am Tag leer gefahren. Das amortisiert sich: Wenn so eine Batterie 300 Zyklen jährlich durchmacht, hält sie mindestens fünf, vielleicht auch zehn Jahre. Der Durchschnittsbürger hat ein anderes Nutzungsprofil, er fährt im Schnitt 37 Kilometer am Tag, und das meist auf kurzen Strecken. Selbst wenn sein Elektroauto über gerade einmal 100 Kilometer Reichweite verfügt, ist das ungünstig für die Wirtschaftlichkeit. Er muss die Batterie finanzieren und sie auch ständig durch die Gegend fahren. Doch zwei Drittel der Batterie stehen sich nur kaputt.
Spektrum: Selbst 100 Kilometer Reichweite wären den meisten zu wenig.
Sauer: Jeder kann sich selbst überlegen, was er haben will. Heutige Batterien für E-Mobile bringen es auf Energiedichten von 100 bis 120 Wattstunden pro Kilogramm. Ein umgebauter Polo beispielsweise verbraucht 15 oder 16 Kilowattstunden pro 100 Kilometer. Damit kommt man auf grob 65 oder 80 Kilometer Reichweite pro 100 Kilogramm. Bei einem Fahrzeuggewicht von 1,2 Tonnen sind vielleicht 300 Kilogramm für die Batterie okay, das entspricht dann immerhin 200 oder 240 Kilometern. Sinnvoll ist das in der Regel trotzdem nicht. Bislang sind ohnehin praktisch nur Einzelstücke auf dem Markt, bei denen die Kilowattstunde speicherbarer Energie rund 1000 bis 1500 Euro kostet. Realistischerweise könnten die Preise eines Tages auf 300 Euro pro Kilowattstunde heruntergehen. Bei 100 Kilometer Reichweite, also 15 Kilowattstunden Energie, sind für die Batterie dann 4500 Euro fällig. Hinzu kommen noch Mehrwertsteuer, Handling, Einbau, Garantie, da rechnen wir etwa mit dem Faktor 1,8. Refinanzieren lässt sich diese Investition zwar teilweise dadurch, dass Strom billiger ist als Benzin. Aber auch das gilt eben nur, wenn man tatsächlich fährt und die Batterie nicht nur altert.
Spektrum: Was also kann man sich von Elektroautos denn versprechen?
Sauer: Heute sind E-Mobile im Prinzip als Stadt- oder Zweitfahrzeuge sinnvoll einsetzbar. Und selbst in zehn Jahren werden wir keine Standardbatterien haben, die uns wirtschaftliche Reichweiten von 300 oder 500 Kilometern erlauben. Idealerweise besitzt die Durchschnittsfamilie im Jahr 2020 ein reines Elektromobil sowie einen Plug-in-Hybriden (dieser verfügt sowohl über einen Verbrennungsmotor als auch über einen Elektroantrieb mit am Stromnetz aufladbarer Batterie, Anm. d. Red.) mit 30 bis 50 Kilometer elektrischer Reichweite. Mit Letzterem kann sie dann auch problemlos in Urlaub fahren. Wenn die elektrische Infrastruktur flächendeckend vorhanden ist, wir also zum Beispiel während der Arbeit unsere Autos aufladen, können wir mit solchen Fahrzeugen problemlos zwei Drittel des Benzins einsparen, das die Deutschen heute im Verkehr verbrauchen. Serielle Hybride erlauben es zudem, den Benzinverbrauch und die Abgasreinigung zu optimieren, ähnlich wie in modernen Schiffen oder dieselelektrischen Zügen. Dabei läuft der Verbrennungsmotor ausschließlich, um Strom zu erzeugen, das aber an seinem optimalen Leistungspunkt.
Spektrum: In der Stadt bringen E-Mobile ihre Energie auch effizienter auf die Straße als bisherige Fahrzeuge.
Sauer: Im Stadtverkehr sind Benziner wegen des sehr dynamischen Betriebs natürlich ineffizienter als bei konstanter Geschwindigkeit über Land oder auf der Autobahn. Außerdem können sie die Bremsenergie nicht per Rekuperation teilweise zurückgewinnen. Andererseits: Im städtischen E-Mobil schlagen dann zusätzliche Verbraucher wie Radio, Licht, vielleicht die Klimaanlage zu Buche, weil man für relativ kurze Strecken relativ lang unterwegs ist.
Spektrum: Zu unserem Artikel „Die Zukunft fährt elektrisch“ bemerkten einige Leser, dass offenbar noch keine Lösung für das Heizen des Innenraums existiere. Schließlich entfällt die Abwärme des Motors fast ersatzlos.
Sauer: Zu diesen thermischen Problemen ist in der Tat noch wenig geforscht worden. Heutige Fahrzeuge sind thermisch gesehen alles andere als optimal: Pro Stunde wird bis zu 30-mal die komplette Innenluft ausgetauscht. Ähnlich wie dies lange Zeit beim Hausbau der Fall war, hat sich über dieses Thema schlicht keiner Gedanken gemacht. Aber das entsprechende Instrumentarium, das für andere Einsatzzwecke entwickelt wurde, kann man natürlich auch auf das Auto loslassen: thermische Speicher, Fenster mit Beschichtungen, dünne Vakuumisolationselemente, Wärmetauscher und so weiter. Aber selbst bei Batterien und Elektromotoren geht rund 10 bis 15 Prozent der Energie in Form von Wärme verloren. Daraus ließe sich etwa ein Kilowatt Wärmeleistung gewinnen.
Spektrum: Wie wünschenswert ist es denn überhaupt, dass sich Elektrofahrzeuge auf breiter Front durchsetzen?
Sauer: Wenn man das Problem der CO2-Emissionen und den Klimawandel ernst nimmt, gibt es mittelfristig keine Alternative zum elektrischen Antrieb, zumindest wenn man das heutige Konzept des Individualverkehrs beibehalten will. Nur der Stromsektor hat die Chance, weitgehend kohlendioxidfrei Energie zu erzeugen, sei es über erneuerbare Energien, CO2-Sequestrierung oder Atomkraft. Ohnehin ist der Strombedarf geringer als mancher vermutet. Würde die gesamte Kilometerleistung der derzeit rund 46 Millionen Pkws, die auf deutschen Straßen unterwegs sind, komplett auf Elektrizität umgestellt, stiege der gesamte Stromverbrauch um 15 bis 20 Prozent. Selbst beim heutigen Strommix emittiert ein E-Fahrzeug in Deutschland bereits weniger Kohlendioxid als ein konventionelles. Und natürlich fallen auch Lärm und Feinstaubbelastung weg.
Spektrum: Welche Folgen hätte eine Umstellung in großem Stil für die Stromnetze?
Sauer: Eine intelligente Netzinfrastruktur könnte zu einigen nützlichen Effekten führen, vor allem im Zusammenhang mit der Regelleistung. Sobald eine hohe Quote von Fahrzeugen ans elektrische Netz angeschlossen ist, können sie zur Regulierung von Überschüssen oder Unterversorgung dienen. Ein für den Fahrzeughalter praktisch kostenloses Verfahren des Energiemanagements ist es, einfach den Bedarf zeitlich zu verlegen. Aufgeladen würde ein mit der Steckdose verbundenes Fahrzeug genau dann, wenn Überschüsse im Netz vorhanden sind. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass Batterien ihre Energie ins Netz abgeben, wenn dort Mangel herrscht, oder überschüssigen Strom aus den Netzen aufnehmen. Ihre Wirkungsgrade liegen bei rund 90 Prozent, hinzu kommen noch geringe Verluste durch die Umrichter. Damit ist die Batterie derzeit der Stromspeicher mit dem höchsten Wirkungsgrad und übertrifft auch die üblicherweise eingesetzten Pumpspeicherkraftwerke.
Spektrum: Wenn ein Fahrer den Netzen Speicherkapazität zur Verfügung stellt, muss sich das für ihn aber lohnen, zumal sich seine Batterien ja auch abnutzen.
Sauer: Lohnen könnte sich das tatsächlich. Wenn die Netzbetreiber für die Nutzung solcher Zwischenspeicher bezahlen, hätte der Autobesitzer außerdem die Gewähr, dass sich seine Batterien nicht einfach kaputt stehen. Im Mittel werden Elektrofahrzeuge über zehn Jahre kaum 1500-mal den Energieinhalt der Batterie verbrauchen. Die Batterien können aber je nach Betriebsweise sicher 3000- bis 5000-mal ihren Energieinhalt abgeben. Jeder Cent, der durch den Einsatz dieser zusätzlichen Lebensdauer verdient werden kann, mindert die Kosten des Fahrzeughalters. Ein dreistufiges Management, das die Bedürfnisse vom Individualnutzer über die regionalen Niederspannungsnetze bis zum Hochspannungsnetz abdeckt, würde auch dafür sorgen können, dass jeder bei Bedarf einen vollen Tank hat. Und das Problem der Lebensdauerverkürzung hat sich bei der Lithiumionentechnik im Wesentlichen erledigt, man kann die Lithiumbatterien bei praktisch jedem Ladezustand be- oder entladen.
Spektrum: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hofft, dass schon 2020 eine Million Elektroautos – Hybride ebenso wie reine E-Mobile – auf Deutschlands Straßen fahren. Ist das realistisch?
Sauer: Ich denke, es werden mehr sein. Den Prognosen liegt ein zu einfacher Ansatz zu Grunde. Ich gehe davon aus, dass vor allem viele kleine Stadtfahrzeuge und Plug-in-Hybride auf den Markt kommen werden. Diese Stadtfahrzeuge bilden eine Klasse von Fahrzeugen, die es im Prinzip so heute noch nicht gibt. Sie werden die Grundbedürfnisse der Mobilität in der Stadt erfüllen, also zum Beispiel Fahrten zur Arbeit, zur Uni, zum Kindergarten oder zum Spielkreis am Nachmittag. Sie sind aber nicht dafür ausgelegt, dass man mit ihnen zweimal im Jahr lange Strecken in den Urlaub fährt. Auf dem asiatischen Markt sehen wir genau solche Entwicklungen, die zu günstigen Fahrzeugen führen – und sie werden hier auf den Markt kommen. Die Frage ist, wer dieses Geschäft künftig machen wird. Stichwort Tata Nano: Der indische Kleinwagen lässt sich für 3000 Euro bauen, und für weitere 3000 bis 5000 Euro kann man im Prinzip sofort ein Elektrofahrzeug mit einer Reichweite von vielleicht 80 Kilometern herstellen. Für den Erfolg solcher Autos werden auch veränderte gesellschaftliche Strukturen sorgen, denn die Schere zwischen Gering- und Höherverdienenden wird größer. Immer mehr Menschen, die sich einen Golf, Focus oder Astra nicht mehr leisten können, werden ihre Mobilitätsansprüche zurückschrauben. Dass jemand ein großes Auto vorhält, das er nur selten wirklich ausnutzt, wird immer seltener vorkommen.
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Dirk Uwe Sauer ist Professor für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik am Institut für Stromrichtertechnik und elektrische Antriebe (ISEA) der RWTH Aachen. Schwerpunkt seiner aktuellen Arbeiten ist die Batterietechnik für Mobilitätsanwendungen aller Art. Die Forschungsprojekte werden in den meisten Fällen in direkter Kooperation oder im Auftrag der Industrie durchgeführt. Außerdem veranstaltet Sauer Fortbildungsveranstaltungen für Industriemitarbeiter und Konferenzen.
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