Energiewende International: Fossil in die Zukunft
Als Barack Obama am 20. Januar 2009 als US-Präsident vereidigt wurde, erwarteten viele Mitteleuropäer eine Energiewende, die Nordamerika von den fossilen Energieträgern wegführen sollte. Diese Hoffnungen wurden enttäuscht: In den USA stehen nach wie vor die Dinosaurier der Branche wie Kohle und Erdgas an erster Stelle. Hat der Wahlkämpfer also nur ein grünes Jäckchen übergestreift, das der Amtsträger flugs wieder in den Schrank gehängt hat? Wohl kaum. Eher hat die alte Welt Amerika falsch eingeschätzt. Und zwar sowohl das Denken und die Gewohnheiten der Menschen wie auch die geologischen Voraussetzungen auf dem Kontinent.
Der wichtigste Begriff in diesem Zusammenhang lautet "Shale Gas". Mit diesem "Schiefergas" ist Erdgas gemeint, das in dichten Tonsteinen steckt, die in den letzten 550 Millionen Jahren aus Ablagerungen entstanden. An sich müsste Schiefergas als Tonsteingas bezeichnet werden, denn "Schiefer" ist im Deutschen eigentlich ein geologisch älteres Gestein, das kein Gas mehr enthält. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich der Begriff jedoch eingebürgert.
Bislang wird Erdgas vor allem aus porösem Gestein gefördert, unter dem eine dichte Schicht liegt, in der die Überreste winziger Organismen eingebettet sind. Bei den hohen Temperaturen und dem riesigen Druck in der Tiefe bilden sich aus diesen toten Lebewesen im Laufe der Jahrmillionen Erdöl und Erdgas. Der Druck treibt Öl und Gas aus diesem Muttergestein in die darüber liegende poröse Schicht. Wird diese weiter oben zum Beispiel durch eine Tonschicht abgedichtet, sammelt sich das Gas direkt darunter. Vereinfacht dargestellt bohren die Explorationsfirmen dann ein Loch durch diese Deckschicht, und schon schießt das unter Druck stehende Erdgas meist von selbst aus der Tiefe nach oben.
Fossiler Energieträger mit Zukunft?
Bei Shale Gas aber ist alles anders. Es hat das Muttergestein nie verlassen und sammelt sich dort in isolierten Hohlräumen und Spalten im Tonstein oder ist an die organischen Bestandteile der Schicht gebunden. Dieses Erdgas steckt daher im Gestein fest und konnte mit den bisher üblichen Fördermethoden nicht gewonnen werden. Deshalb lagern in vielen Regionen der Welt noch große Schiefergasreserven im Untergrund, die nie erschlossen wurden.
Als 2000 und 2001 die Energiepreise wieder einmal stiegen, entwickelten US-amerikanische Firmen für diese Lagerstätten neue Methoden: Nach einer konventionellen, senkrechten Bohrung dreht der Bohrmeißel an der Schiefergasschicht ab und bohrt unter Umständen einige Kilometer weit horizontal in ihr entlang. Anschließend pressen die Ingenieure Wasser in die Schicht, dessen Druck Spalten im Gestein öffnet, die von Sand oder Quarzkügelchen im Wasser dauerhaft stabilisiert werden. Durch diese Spalten kann das Erdgas entweichen und durch das Bohrloch an die Oberfläche gefördert werden. Der Gasfluss kann dann mehrere Monate oder sogar Jahre anhalten. In einigen Fällen aber muss die Stimulierung nach einiger Zeit wiederholt werden.
"Inzwischen deckt die USA rund 15 Prozent ihres Bedarfs an Energierohstoffen mit Shale Gas"
Ingo Kapp
"Inzwischen deckt die USA rund 15 Prozent ihres Bedarfs an Energierohstoffen mit Shale Gas", fasst Ingo Kapp vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam die rasante Entwicklung zusammen. "Bis zum Jahr 2030 soll dieser Anteil bis auf 30 Prozent steigen", berichtet der Physiker im wissenschaftlichen Vorstandsbereich des GFZ weiter.
Ein Jahr nach Fukushima und dem deutschen Atomausstieg ist die Energiewende hier zu Lande in vollem Gang. Aber wie sieht es in anderen wichtigen Industriestaaten oder aufstrebenden Nationen wie China aus? Steht die Kernkraft auch dort vor dem Aus? Wie verknüpfen Brasilien oder die USA Ökonomie und Ökologie? In einer mehrteiligen Serie werfen wir einen Blick auf diese Staaten.
Die USA haben gute Gründe, auf diesen fossilen Brennstoff zu setzen. Weltweit soll es in solchen unkonventionellen Lagerstätten mit rund 900 Billionen Kubikmetern etwa fünfmal mehr Erdgas als in herkömmlichen Gasfeldern geben. Allein im Gestein unter den USA soll genug Shale Gas stecken, um den 30-Prozent-Anteil nach 2030 einige Jahrzehnte lang zu decken. Das war dann auch ein ganz entscheidender Punkt, die Erschließung des fest im Gestein sitzenden Gases voranzutreiben: Weil die Lagerstätten im eigenen Land sind, kann niemand den USA den Gashahn zudrehen. Versorgungssicherheit ist nicht nur in Nordamerika ein entscheidendes Argument in der Energiepolitik.
Andere Prioritäten in der Klimapolitik
Im Westen Europas aber ist die geologische Situation völlig anders. Zwar werden dort immerhin rund 14 Billionen Kubikmeter Erdgas vermutet, die einzelnen Lagerstätten aber scheinen deutlich kleiner als in den USA. So dürfte unter deutschen Böden allenfalls genug Erdgas lagern, um zweieinhalb Jahre lang den einheimischen Verbrauch zu decken. Eine wichtige Rolle wird Shale Gas hierzulande also kaum und schon gar nicht auf Dauer spielen. Obendrein packen Mitteleuropäer solche Großprojekte ganz anders an als Nordamerikaner. In der alten Welt werden Chancen und Risiken sorgfältig und lange bewertet, bis nach vielen Jahren eine Entscheidung getroffen wird. Ganz anders dagegen der amerikanische Pioniergeist: Da werden die Ärmel hochgekrempelt, und man fängt schon einmal an. "Dabei passieren natürlich auch einige Fehler, die später wieder ausgebessert werden", erklärt Ingo Kapp.
Einmal dahingestellt, welche Vorgehensweise am Ende erfolgreicher ist: Schneller sind die Amerikaner auf alle Fälle. "Aber auf Kosten der Umwelt", kontern manche Europäer dieses Argument gern. GFZ-Forscher Ingo Kapp sieht das anders: "Auch in den USA gibt es immer wieder heftige öffentliche Diskussionen, da werden auch schon mal Projekte gestoppt." Das hierzulande gern gezeichnete Bild eines Nordamerika, das alles auf die Karte fossile Brennstoffe setzt und dazu vielleicht noch ein wenig Kernenergie mischt, ist ohnehin falsch: "Verschiedene Bundesstaaten fördern nachhaltige Energien stark", berichtet Ingo Kapp und denkt dabei an Kalifornien oder auch an einige Staaten im Nordosten des Landes.
Aber auch Shale Gas kommt eine wichtige Rolle in der Klimaschutzpolitik der USA zu, die das Land auch ohne Unterzeichnung internationaler Verträge betreibt. Schließlich wird der Umbau auf nachhaltige Energiequellen viele Jahre dauern. Zumindest in dieser Übergangszeit werden daher fossile Brennstoffe weiter verwendet werden. Und da ist Erdgas die erste Wahl, weil es beim Erzeugen der gleichen Nutzenergie 40 bis 50 Prozent weniger des Klimagases Kohlendioxid freisetzt als Kohle. Obendrein kann man in die geleerten Speichergesteine für Erdgas und Erdöl später Kohlendioxid einlagern, das aus der Abluft von Kraftwerken stammt – ein Verfahren, das als CCS (für "Carbon Capture and Storage") bekannt ist. Jede Tonne Kohlendioxid, die nicht in die Atmosphäre gelangt, entlastet aber das Klima.
"Bei diesem Verfahren waren die USA immer an der vordersten Forschungsfront", berichtet Michael Kühn, der am GeoForschungsZentrum in Potsdam das Zentrum für CO2-Speicherung leitet. Weltweiter Spitzenreiter in der CCS-Forschung war bisher das GFZ, allerdings ist die Zukunft dieser Aktivitäten aus politischen Gründen gefährdet.
"Dabei gibt es gute Gründe für das Speichern von Kohlendioxid im Gestein der Tiefe", erklärt Kühn. Er denkt dabei zum Beispiel an die Herstellung von Zement und Stahl. Bläst schon die Energiebranche in Deutschland jedes Jahr rund 300 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft, liefert die Zementherstellung noch einmal ein Drittel dieser Treibhausgasmenge zusätzlich. Selbst wenn die Umrüstung auf nachhaltige Energiequellen optimal funktioniert, bleiben also immer noch diese Emissionen, für die es bisher keine nachhaltigen Ersatzmethoden gibt. Möglich wäre es aber, das in der Betonbranche anfallende Kohlendioxid abzuscheiden und in geeignete Tiefengesteine zu pressen. So könnte auch die Zementindustrie ihre Treibhausgasemissionen reduzieren.
"Es gibt es gute Gründe für das Speichern von Kohlendioxid im Gestein der Tiefe"
Michael Kühn
Presst man zudem das aus Erdgas- und Kohlekraftwerken anfallende Kohlendioxid in die Gesteine tief unter der Erde, können auch diese fossilen Brennstoffe klimaneutral genutzt werden. In den USA verfolgen einige CCS-Projekte sogar noch eine weitere Strategie: Abgeschiedenes Kohlendioxid wird in Lagerstätten von Erdöl oder Erdgas geleitet, die mit konventionellen Methoden bereits geleert wurden, aber immer noch große Mengen fossiler Brennstoffe enthalten. Das Kohlendioxid drückt dort die Öl- und Gasreste heraus und ersetzt sie. Auf diese Weise fördert man auch noch diese Energierohstoffe, an die man anders nur schwer herankommt.
Anschließend werden die ehemaligen Lagerstätten vollständig mit Kohlendioxid gefüllt, das so die Klimabilanz entlastet. Da die Gesteine vorher etliche Jahrmillionen Erdgas zuverlässig unter der Erde gehalten haben, sollten sie auch die Treibhausgase lange Zeit sicher speichern, meinen die US-Forscher.
Auch hier hat Nordamerika einen großen Vorteil gegenüber der alten Welt. In den riesigen Sedimentbecken des Kontinents können 3400 Milliarden Tonnen Kohlendioxid gelagert werden, während der Untergrund in Europa nur Platz für 400 Milliarden Tonnen bietet. Da weltweit zur Zeit jedes Jahr etwa 30 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Luft geblasen werden, könnte Nordamerika also mehr als ein Jahrhundert lang diese Menge entsorgen. US-Präsident Barack Obama scheint sein grünes Klimaschutzjäckchen also nicht abgelegt zu haben. Nur betreiben die USA Klimaschutz aus guten Gründen anders als die Europäer.
Kanadischer Sand
Auch Kanada hat triftige Gründe, weiter auf fossile Brennstoffe zu setzen: In der Provinz Alberta gibt es weltweit neben Venezuela die größten Vorkommen von Ölsand. Diese Mischung aus Rohöl, Tonen, Silikaten und Wasser könnte zwei Drittel der gesamten Erdöl-Vorkommen auf der Erde enthalten. Zwar ist die Gewinnung viel aufwändiger als herkömmliche Fördertechniken. Da Rohöl aber eher knapp ist und daher immer teurer wird, rentiert sich der Abbau solcher Ölsande. Und da nachhaltig betriebene Fahrzeugantriebe die heute üblichen Otto- und Dieselmotoren nur im Laufe einiger Jahrzehnte ersetzen dürften, muss Kanada sich um die Nachfrage kaum sorgen.
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