Energiewende International: Roter Drache auf grünem Kurs
Vor fünf Jahren machte Dongtan weltweit Schlagzeilen: Die Stadt am Rande Schanghais sollte die erste Ökometropole der Welt werden. 500 000 Menschen würden hier einmal leben, CO2-neutral und autofrei. Zur Expo 2010 hätten die ersten 30 000 Menschen die Planstadt bewohnen sollen. 2010 kam, doch in Dongtan standen nicht mehr als ein halbes Dutzend Windräder und ein ökologischer Landwirtschaftsbetrieb. Heute gibt es keine Hinweise mehr auf eine Ökokapitale. Projekt Dongtan wurde eingestellt.
Ein Bild mit Symbolwert: Die Volksrepublik China denkt groß, eigentlich immer; und entgegen der verbreiteten Wahrnehmung in Deutschland gilt das ebenso für den Klimaschutz. Vielleicht sind es aber Fälle wie Dongtan, die das Land davon abhalten, in Sachen Energiewende zu groß zu denken. Denn was vielen westlichen Ländern nicht weit genug geht, ist für China tatsächlich eine Herkulesaufgabe, die weltweit ihresgleichen sucht.
China ist verantwortlich für rund ein Fünftel der globalen Treibhausgasemissionen, was zunächst enorm klingt. Andererseits lebt in der Volksrepublik auch fast ein Fünftel der Weltbevölkerung. Pro Kopf verursacht sie mit 5,5 Tonnen CO2-Äquivalenten nur ein Fünftel der australischen Emissionen – die allerdings globaler Rekord sind. Nur: Australien hat bereits das fünfthöchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt. China liegt auf Platz 90, und die Wirtschaft wächst rasant, zuletzt um rund neun Prozent pro Jahr.
Die Einsparungen werden aufgefressen
Die Zentralregierung hat das Problem erkannt. Und so liest sich ein Bericht vom letzten November auch sehr gut, den das Institute of Global Low-carbon Economy, die Unversity of International Business and Economics und die Social Sciences Academy Press gemeinsam veröffentlicht haben: Um 1,5 Milliarden Tonnen hat China demnach seinen Treibhausgasausstoß zwischen 2006 und 2010 verringert, stattliche 19,1 Prozent (auch wenn 20 Prozent die Zielvorgabe des elften Fünfjahresplans für diesen Zeitraum waren). Tatsächlich hat kein Land in den letzten 20 Jahren den CO2-Ausstoß stärker gesenkt als China – gemessen am Bruttoinlandsprodukt.
Denn die eindrucksvollen Zahlen der Chinesen sind keine absoluten Werte, sondern beziehen sich stets auf eine Einheit des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das allerdings stieg in diesem Zeitraum im jährlichen Mittel um 11,2 Prozent. Und da liegt der Knackpunkt der gesamten chinesischen Energiewende: Das enorme Wirtschaftswachstum konterkariert einen Großteil von Chinas Bemühungen, den Energieverbrauch in absoluten Zahlen zu senken. Zwischen 2001 und 2010 hat der sich nämlich insgesamt verdreifacht und stieg zwischen 2006 und 2010 noch um jährlich durchschnittlich 6,6 Prozent. Mehr als die Hälfte des weltweiten Anstiegs beim Energieverbrauch entfiel damit auf die Volksrepublik. Tatsächlich stieg Chinas CO2-Ausstoß allein im Jahr 2010 um zehn Prozent.
Umso stärker setzt die Zentralregierung deshalb auf klimafreundliche Wege der Energiegewinnung. In den letzten beiden Jahren hat China Deutschland, Dänemark, Spanien und die USA als größter Hersteller von Solaranlagen und Windkraftwerken überholt. In keinem Land ist die installierte Leistung aus Windenergie höher: Zwischen 2005 und 2009 verdoppelte sie sich jährlich, Ende 2010 betrug sie 44,7 Gigawatt, berichtet die staatliche Energieaufsichtsbehörde SERG. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2011 entstanden so 58,3 Terawattstunden Strom. Fotovoltaikkraftwerke wuchsen 2011 um 1,8 Gigawatt. Hinzu kommen Installationen auf Wohnhäusern, die bislang aber nur ein Zehntel des chinesischen Sonnenstroms ausmachen. Besonders die Wasserkraft war 2010 mit 216 Gigawatt installierter Leistung eindrucksvoll, wie der Kraftwerkshersteller Andritz berichtet – fast ein Fünftel des chinesischen Stroms stammten daraus. Im vergangenen Jahr kamen nach Angaben des Chinesischen Elektrizitätsrates weitere 12,25 Gigawatt hinzu. Manches Gigawatt ist allerdings mit Stauseen erkauft, bei deren Bau wenig Rücksicht auf Mensch und Natur genommen wurde.
Gewaltige Investitionen
Die Bilanz: Stammten 2005 noch 7,5 Prozent der Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen, waren es 2010 bereits 8,3 Prozent. Unlängst gab das chinesische Komitee für Bevölkerung, Rohstoffe und Umwelt bekannt, dass allein im Jahr 2010 der Staat 300 Milliarden Yuan (rund 36 Milliarden Euro) in erneuerbare Energien investiert hat – mehr als jede andere Nation der Erde. Und zwischen 2011 und 2015 soll insgesamt das Zehnfache davon in Umwelttechnologien fließen, so der zwölfte Fünfjahresplan der regierenden Staatspartei.
Ein Jahr nach Fukushima und dem deutschen Atomausstieg ist die Energiewende hier zu Lande in vollem Gang. Aber wie sieht es in anderen wichtigen Industriestaaten oder aufstrebenden Nationen wie China aus? Steht die Kernkraft auch dort vor dem Aus? Wie verknüpfen Brasilien oder die USA Ökonomie und Ökologie? In einer mehrteiligen Serie werfen wir einen Blick auf diese Staaten.
Demnach soll der Anteil nichtfossiler Quellen am Energieverbrauch bis 2015 auf 11,4 Prozent steigen und der Gesamtumsatz gemessen am Bruttoinlandsprodukt um 16 Prozent sinken, mit entsprechenden Einsparungen auch bei den CO2-Emissionen. Entsprechend hängt es vom Wirtschaftswachstum ab, ob China damit seine Zusagen einhalten kann, die das Land 2009 bei der Klimakonferenz in Kopenhagen gegeben hat. Damals hat sich China verpflichtet, den Anteil sauberer Energien am Primärenergieverbrauch bis 2020 auf ein knappes Sechstel zu steigern und den Kohlendioxidausstoß je BIP-Einheit gegenüber dem Jahr 2005 um etwas weniger als die Hälfte zu senken.
Die Pläne und Prognosen zumindest sind viel versprechend, mit der Wasserkraft als weiterhin wichtigster "sauberer" Energiequelle – ein Bericht der Deutschen Bank rechnet damit, dass in China bis 2020 etwa 350 Gigawatt am Netz sein werden. Stark im Kommen und im Ausbau ist auch die Windkraft: Bereits 2015 sollen drei Prozent des Stroms so erzeugt werden, doppelt so viel wie heute. Bis 2050 sollen 1000 Gigawatt Windkraftleistung installiert sein und damit 40 Prozent des chinesischen Windpotenzials ausschöpfen – das nur zu einem kleinen Teil in den Küstengewässern liegt.
Ganz problemlos schreitet dieser Ausbau jedoch nicht voran, denn viele Windräder sind defekt: Die Produktion boomt auf Kosten von Qualität und Sicherheit. Im letzten Jahr ergriff die Nationale Energiebehörde daraufhin zahlreiche Maßnahmen, um die Probleme in den Griff zu bekommen, darunter Qualitätsnormen, zentralisierte Zulassungen von Windkraftprojekten und klare Anforderungen für den Netzanschluss.
Potemkinsche Windmühlen
Denn auch da liegt manches im Argen: Ein Drittel der Windräder aus dem Jahr 2010 hätten noch nie Strom produziert, berichtete im März Chu Junhao, Abgeordneter der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes. Die Energieverordnung aus dem Jahr 1996 verlangt, dass Anlagen zur Stromerzeugung eine Spannung von zehn Kilovolt erreichen müssen, um ans Netz angeschlossen werden zu dürfen. Für Wind- und Solarenergie ist das eine hohe Hürde. Jetzt werden Änderungen diskutiert.
Aus Sicht vieler Umweltschützer hat die Energiewende in China zudem zwei grundlegende Haken: Zum einen spielen Kernkraftwerke als CO2-freie Stromerzeuger eine signifikante Rolle. Nach dem Baustopp infolge der Fukushima-Katastrophe soll ihr Bau jetzt mit verschärften Sicherheitsvorgaben wieder voranschreiten: Industrieanalysten schätzen den Wert neuer Bauprojekte in den nächsten fünf Jahren auf 300 Milliarden Yuan (36 Milliarden Euro). Wann immer von Zielen und Zahlen für nichtfossile Energien die Rede ist, wird Kernenergie eingerechnet.
Zum anderen setzt China bei Kohlekraftwerken auf CO2-Abscheider statt grüne Alternativen, denn das Land besitzt die drittgrößten Kohlevorräte der Welt. Mehr als 70 Prozent ihres Energiebedarfs deckt die Volksrepublik auf diese Weise (Öl und Gas liefern ein weiteres Fünftel). Gleichzeitig weiß die Regierung, dass selbst die gigantischen Kohlevorräte nicht mehr als eine Übergangslösung sein können: Der Konzern BP kam 2011 in seinem Weltenergiebericht zu dem Ergebnis, dass China seine Kohle in 35 Jahren aufgebraucht haben wird (Öl in 9,9 Jahren, Erdgas in 29 Jahren). Bereits 2010 deckte das Land seine Ölbedarf zu mehr als der Hälfte aus dem Ausland.
Energiewende wegen der Versorgungssicherheit
Deshalb ist auch in China die grüne Wende weit mehr als der Ausbau erneuerbarer Energien. Für jede Region wurden Quoten erlassen für den Anteil erneuerbarer Energien wie für den Energieverbrauch an sich. Im November gab China bekannt, eine landesweite Rohstoffsteuer einzuführen. Eben erst hat das Land einen Emissionshandel nach europäischem Vorbild beschlossen, der jetzt in sieben Metropolregionen erprobt werden soll, bevor er auf das ganze Land ausgeweitet wird. Dessen Erfolg dürfte davon abhängen, ob China besser als bislang in der Lage ist, CO2-Emissionen korrekt und umfänglich zu ermitteln.
Als weitere Effizienzmaßnahme wurden die Energiesparvorschriften für die 1000 energieintensivsten Industrieanlagen aus dem elften Fünfjahresplan in den folgenden Vorgaben auf 10 000 Unternehmen ausgeweitet. Allein die ersten 1000 Firmen waren für ein Drittel des chinesischen Stromverbrauchs verantwortlich. Zwischen 2007 und 2010 hat China zudem veraltete Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von weit mehr als 140 Gigawatt abgeschaltet und außerdem zahlreiche energieineffiziente Stahl- und Zementfabriken geschlossen
Selbst der notorische und boomende Individualverkehr wird angegangen: Schon in drei Jahren sollen eine halbe Million Fahrzeuge mit Elektro-, Hybrid- oder Brennstoffzellenantrieb fahren, fünf Jahre später dann schon fünf Millionen. Erst im Januar hat in Peking die größte Ladestation Chinas eröffnet. Der Clou: Hier können selbst die gängigsten Akkus in vier bis sechs Minuten gegen volle ausgetauscht werden. Acht solcher Austauschplätze hat die Tankstelle. In drei Jahren soll es allein in Peking 250 solcher Einrichtungen geben, hinzu kommen Hunderte einzelner Ladestellen.
Weitere Investitionen gelten den Agrarkraftstoffen für die Luftfahrt und der gesteigerten Attraktivität des Schienenverkehrs: 35 000 Kilometer Hochgeschwindigkeitsnetz will das Land bauen und jede Stadt mit mindestens 500 000 Einwohnern anbinden. Und weiterhin anfallendes Kohlendioxid sollen neu angepflanzte Wälder zumindest teilweise schlucken: Ebenfalls bis 2015 will die Staatsmacht ihre Fläche um ein Fünftel ausweiten. Und das wird auch bitter notwendig sein, wie eine gerade von "Nature" veröffentlichte Studie zeigt: Das Reich der Mitte stößt wohl jetzt schon 20 Prozent mehr Kohlendioxid aus, als bislang von offiziellen Stellen zugegeben wurde. Offensichtlich hatten regionale Statistikbehörden einfach zu niedrige Zahlen zum Kohleverbrauch an die Zentrale gemeldet – um besser dazustehen.
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