: Erdbeben, die die Welt verändern
Erdbeben erschüttern immer wieder die Welt. Katastrophale Folgen hatte zuletzt das Beben in dem karibischen Inselstaat Haiti mit einer Stärke von 7,0. 300 000 Menschen starben. Wenige Wochen später folgte ein Beben der Stärke 8,8, dessen Epizentrum vor der Küste Chiles lag. Einige hundert Menschen kamen dabei ums Leben. Und erst im Januar warnte das Deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam wieder vor einem Erdbeben entlang der Nordanatolischen Verwerfungszone. Istanbul habe "ein bedrohliches Erdbebenrisiko". In der Türkei hatte schon das Izmit-Erdbeben im Jahr 1999 18 000 Tote gefordert.
Eine der von Erdbebenforschern bestuntersuchten Regionen ist die US-Westküste. Hier rechnen Wissenschaftler ebenso wie kalifornische Bürger schon seit langem mit größeren seismischen Aktivitäten. Jede größere Erschütterung entlang der San-Andreas-Verwerfung wird den westlichen Teil von Los Angeles einige Meter an San Francisco heranrücken. Der U. S. Geological Survey (USGS) schätzt, dass Kalifornien bis 2038 mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent von mindestens einem Beben der Stärke 6,7 erschüttert wird – das entspricht der Stärke des Northridge-Bebens im Jahre 1994, dessen Epizentrum ebenfalls bei Los Angeles lag. Dabei starben 57 Menschen, der Sachschaden belief sich auf rund zwanzig Milliarden Dollar. Wenn größere Bereiche der San-Andreas-Verwerfung "in einem Rutsch" verschoben werden, könnte das Beben aber auch die Stärke 8,2 erreichen, sagt Lucy Jones, leitende Projektwissenschaftlerin am USGS.
Die Zeit für seismische Aktivität ist gekommen
Die über 1000 Kilometer lange San-Andreas-Verwerfung, die von Mexiko her kommend einen Großteil von Kalifornien der Länge nach in zwei Teile zerschneidet, bildet die Grenze zwischen der Nordamerikanischen Kontinentalplatte, die sich in südöstlicher Richtung bewegt, und der Pazifischen Platte, die nordwestlich vorrückt. Auf Grund geologischer Hinweise vermuten Seismologen, dass der Graben im Schnitt alle 150 Jahre aufbricht. Die letzte große Verschiebung liegt jedoch bereits 300 Jahre zurück und die nächste wäre damit überfällig.
Ein Erdbeben der Stärke 7,8, das vom USGS modelliert und als "plausibler Fall" eingestuft wurde, würde 10 Millionen Kalifornier treffen. Rund 1800 würden getötet und 50 000 verletzt. Durch eine Erschütterung dieser Stärke verschöbe sich der Graben um 13 Meter. Sie zerrisse Straßen, Rohrleitungen, Schienen und Telekommunikationskabel; auch Erdrutsche wären die Folge. Nachbeben, die ihrerseits eine Stärke von bis zu 7,2 erreichen könnten, dürften die betroffene Region noch wochenlang erschüttern. Die Sachschäden könnten sich auf bis zu 200 Milliarden Dollar belaufen, und Folgekosten, wie sie aus der defekten Infrastruktur und wirtschaftlichen Einbußen zu erwarten sind, schlügen mit weiteren Milliarden zu Buche, so Jones.
Beben der Stärke 9
Darüber hinaus können seismische Aktivitäten an einem Ort dazu führen, dass sich auch in Tausenden Kilometer Entfernung plötzlich Spannungen in Störungszonen der Erdkruste abbauen. Auch von der 80 Kilometer vor der US-Pazifikküste gelegenen Cascadia-Subduktionszone ging jüngst wieder ein kleineres Seebeben aus. An dieser Plattengrenze könnte aber auch ein Beben von mindestens 9,0 auf der Richterskala entstehen – so stark wie die Erschütterung vor Sumatra, die im Jahr 2004 einen zerstörerischen Tsunami auslöste. Auch über historische Belege verfügen die Forscher: Bereits vor 300 Jahren, so zeigen geologische Aufzeichnungen, hatte ein Erdbeben in dieser Region einen Tsunami verursacht, dessen Ausläufer bis nach Japan gelangten. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 10 ist auch innerhalb der nächsten Jahrzehnte mit einer vergleichbaren Erschütterung zu rechnen.
Doch Vorhersagen von Erdbeben bleiben schwierig. Sie gleichen dem Versuch, auf Basis von Klimadaten das Wetter in einer bestimmten Woche zu prognostizieren, sagt Robert Yeats, Physiker an der Oregon State University. Wenn die Bevölkerung erfährt, dass möglicherweise ein Erdbeben bevorsteht, verändert dies daher "vermutlich nicht die Urlaubspläne, doch es beeinflusst die Bauplanung". Hier hat der Bundesstaat schon einige Vorsorge getroffen. Größere Gebäude können sogar unter den sichersten sein – einige Hochhäuser in Kalifornien sind so ausgelegt, dass sie einem Beben bis zu einer Stärke von 7,8 standhalten.
Auch wenn ein großes Erdbeben überfällig erscheint, kann es doch vorher zu kleineren Verwerfungen kommen. Aus historischen Daten, anhand derer sie die Häufigkeit großer Beben mit Stärken ab 6 ermittelten, haben Wissenschaftler mittlerweile sogar den Schluss gezogen, dass im San-Andreas-Graben möglicherweise eher kleinere Beben die Norm sein könnten. Ohnehin haben die Kalifornier zumindest in einer Hinsicht mehr Glück als andere: Neben den architektonischen Maßnahmen werden auch ausgeklügelte Notfallprogramme die Folgen eines Bebens deutlich verringern helfen. Haiti hingegen hatte sich solchen Luxus nicht leisten können.
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