Erdsystemforschung: "Unsere neue Abschätzung wird weh tun"
Spektrum: Die Erwärmung der Erdatmosphäre lässt sich nur prognostizieren, wenn neben den CO2-Emissionen des Menschen auch der globale Kohlenstoffkreislauf berücksichtigt wird. Was wissen wir über diesen?
Markus Reichstein: Schon seit den 1960er, 1970er Jahren will man verstehen, welche Rolle die Biosphäre für das Klima spielt. Darum begann man zu untersuchen, wie viel Kohlendioxid Wälder und andere natürliche Systeme aufnehmen und als Biomasse binden. Das war nicht einfach: Anfangs musste man dazu ausgewählte Pflanzen einzeln ausgraben und aufwändig untersuchen, erst seit Anfang der 1990er Jahre können wir den CO2-Austausch zwischen Ökosystemen und Atmosphäre mit automatischen Sensoren messen, und mittlerweile existieren 500 mit Sensoren ausgestattete Messtürme, verteilt über alle Kontinente.
Christian Beer: Der Kohlenstoff wird ja durch Fotosynthese von der Biosphäre aufgenommen, und dann durch die Atmung der Pflanzen zu einem Teil wieder an die Atmosphäre abgegeben und zum anderen Teil in Biomasse verwandelt. Zwar gab es bereits Schätzungen für die Kohlenstoffaufnahme, doch sie beruhten auf zu wenigen Datenpunkten und sind zudem nicht sehr aussagekräftig, wenn man einzelne Regionen betrachten will. Unsere Sensordaten haben wir zudem mit Fernerkundungs- und Klimadatensätzen verrechnet, die jetzt in viel größerem Umfang als noch vor einigen Jahren zur Verfügung stehen. So konnten wir stark ins Detail gehen und zeigen, welchen Anteil etwa die Tundra oder der Regenwald an der Bruttoprimärproduktion haben und welche Rolle Strahlung, Niederschlag oder Temperatur für die Bilanz spielen.
Spektrum: Welcher dieser Faktoren ist denn nun entscheidend?
Beer: In Gebirgsregionen und in den hohen Breiten ist die Kohlenstoffaufnahme stark temperaturabhängig, aber in den Steppenregionen und den Grasländern, die einen sehr großen Anteil an der Bruttoprimärproduktion haben, ist die Bedeutung des Niederschlags viel größer. Die Fähigkeit dieser Flächen, Kohlenstoff zu binden, hängt zu bis zu 70 Prozent von der Wasserverfügbarkeit ab!
Spektrum: Herr Mahecha, Sie haben untersucht, wie empfindlich die CO2-Atmung von Ökosystemen auf kurzfristige Temperaturveränderungen reagiert. Müssen wir hier ebenfalls mit überholten Vorstellungen aufräumen?
Miguel Mahecha: Feld- und Modellstudien kamen bisher immer zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Experimente suggerierten, dass vieles von der geografischen Lage abhängt. Demnach würde im Zuge der globalen Erwärmung beispielsweise in den nördlichen Breiten eine sehr viel stärkere CO2-Freisetzung aus Pflanzen und Böden als in südlicheren Gebieten erfolgen. Computermodelle, die den globalen CO2-Kreislauf gut abbilden konnten, errechneten hingegen eine überall nahezu konstante Temperatursensitivität der Atmung. Wir selbst stellten nun fest, dass weltweit die Ökosystematmung tatsächlich relativ homogen auf Temperaturveränderungen reagiert (zur Originalveröffentlichung).
Spektrum: In welchem Maße geschieht das?
Reichstein: Die Reaktionsgeschwindigkeit-Temperatur-Regel besagt, dass sich die Geschwindigkeit biologischer Prozesse jedes Mal etwa verdoppelt, wenn die Temperatur um zehn Grad Celsius ansteigt. Diesen Zusammenhang nahm man zunächst auch für die Bodenatmung an. Seit den 1990er Jahren existieren Studien, in denen errechnet wird, dass sich die CO2-Freisetzung aus dem Boden vervierfacht, wenn die Temperatur um zehn Grad steigt. Doch beeinflussen neben der Temperatur auch Faktoren wie der Wasserhaushalt oder die je nach Jahreszeit unterschiedlich aktiven Pflanzenwurzeln die Bodenatmung.
Mit mathematisch-statistischen Methoden haben wir diese Faktoren herausgerechnet und kommen nun statt auf einen Faktor vier auf einen deutlich niedrigeren Faktor von nur 1,4. Unsere Ergebnisse zeigen unmissverständlich, dass man Faktoren von vier oder mehr auf keinen Fall einfach in Biosphärenmodelle übernehmen kann. Überdies sind weitere Studien mittlerweile zu Ergebnissen gelangt, die den unseren tendenziell ähneln. Es scheint, dass höhere Zahlen wohl auf Artefakten beruhen.
Spektrum: Gerade die Arbeit von Miguel Mahecha ist in der Öffentlichkeit teilweise missverstanden worden.
Reichstein: Seine Arbeit scheint ein gefundenes Fressen für Klimaskeptiker zu sein: Die Rückkopplung über die Atmung ist geringer als gedacht, also wird wohl alles gar nicht so schlimm sein, wie es im Weltklimabericht stand. Solche Behauptungen sind schlichtweg falsch oder mutwillige Fehlinterpretationen. Allerdings darf uns das nicht davon abhalten, die Ergebnisse so darzustellen, wie sie sind – auch wenn sie vielleicht falsch interpretiert werden.
Mahecha: Mich haben Reaktionen dieser Art auch überrascht, zumal die positive CO2-Rückkopplung als ein sich selbst verstärkender Prozess doch weiterhin deutlich ausgeprägt ist. Man muss in diesem Zusammenhang zudem bedenken, dass die Temperatursensitivität nur ein Teilaspekt der Ökosystematmung ist.
Beer: Außerdem kam es zu Falschmeldungen. Kein Wunder: Kaum war die Pressemitteilung draußen, wurde in teilweise sehr kurzen Artikeln über zwei ziemlich komplizierte und schwer vermittelbare Arbeiten berichtet.
Reichstein: Die Ergebnisse der Erdsystemforschung alleine sind wohl nicht aufregend genug, um öffentliches Interesse zu wecken. Dabei sind sie schon aus Grundlagensicht spannend: Wir haben aus unseren Daten eine Weltkarte erstellt und können zum ersten Mal für viele Regionen und Ökosysteme eine gute Schätzung der Vorgänge im globalen Kohlenstoffkreislauf abgeben. Aber etliche Journalisten haben sofort versucht, sie in einen gesellschaftlichen Bezug zu setzen und ihre Konsequenzen für unseren Alltag darzustellen, was viel zu voreilig war.
Spektrum: Für den nächsten Weltklimabericht haben Ihre Ergebnisse aber dennoch Konsequenzen.
Mahecha: Im nächsten IPCC-Bericht kommt es zu einer fundamentalen Erneuerung: Erstmals werden dafür Klimamodelle, wie wir sie jetzt kennen, mit Modellen der terrestrischen Biosphäre gekoppelt.
Beer: Es gibt ja bereits Erdsystemmodelle, die den Kohlenstoffkreislauf berücksichtigen, aber mangels Daten benutzen sie an einigen Stellen schlecht geschätzte Parameter. Mit unseren datengetriebenen Berechnungen können wir jetzt erstmals überprüfen, ob bestehende Modelle die Prozesse in unterschiedlichen Ökosystemen und großen Vegetationsklimazonen überhaupt gut reproduzieren.
Spektrum: Wie haben denn Ihre Kollegen Ihre Ergebnisse aufgenommen?
Reichstein: Fernerkundungsleute, die mit Satelliten arbeiten, oder Modellierer sehen jetzt langsam den Wert dieser Ökosystemmessungen, weil wir endlich einen belastbaren Datensatz haben und Modelle vergleichen können.
Mahecha: Einigen Leuten wird die neue Abschätzung aber weh tun. Sie hinterfragt vor allem neuere Arbeiten, in welche die Vorstellung eingegangen ist, dass die Atmung je nach Region unterschiedlich stark auf die Temperatur reagiert, und bei denen diese Annahme direkt in die Biosphärenmodelle eingebaut wurde. Eine der Stärken unserer Arbeit liegt darin, eine ausgefeilte Methode auf global konsistente Daten anzuwenden. Wir waren daher in der Lage, die Temperatursensitivität verschiedenster Ökosysteme gleichzeitig zu analysieren. Daher überzeugen unsere Ergebnisse auch viele Kollegen.
Mahecha: Wir müssen sicherlich noch an der räumlichen Repräsentation arbeiten. In einigen Ländern sind wissenschaftliche Kooperationen ziemlich mühevoll. Von Afrika haben wir zu wenig Messdaten und generell benötigen wir noch mehr Daten aus den Tropen, Savannen und tropischen Regenwäldern.
Reichstein: Vor allem brauchen wir längerfristige Zeitreihen. Nur zum Vergleich: die atmosphärische CO2-Konzentration wird seit den 1950er Jahren gemessen, während unser Beobachtungszeitraum maximal 20 Jahre umfasst. Wir wissen also schlicht noch nicht, wie sich Ökosysteme langfristig verhalten und auf den Klimawandel reagieren. Aber in den nächsten 10 bis 20 Jahren werden wir auf jeden Fall so weit sein.
Beer: Wir haben jetzt die jährliche Menge an CO2 bestimmt, die von den Pflanzen weltweit aufgenommen wird: Die Bruttoprimärproduktion beträgt 123 Milliarden Tonnen Kohlenstoff beziehungsweise 450 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid. Da die Ökosysteme Kohlenstoff aber auch wieder veratmen, werden zur Zeit netto nur etwa zwei Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Dies genauer zu bestimmen erlauben unsere Datensätze bislang aber auch nicht, denn der Messfehler bei der Bruttoprimärproduktion liegt zwar unter zehn Prozent, aber das sind immer noch acht Milliarden Tonnen. Damit stecken wir in einem erheblichen Dilemma.
Reichstein: Außerdem gibt es noch weitere wichtige Kenngrößen. Die Fluxnet-Stationen messen ja auch den Wasseraustausch und den Austausch von Energie in Form von Wärme. Auch andere wichtige Aspekte, unter denen sich die Eigenschaften der Landoberfläche beschreiben lassen, sind kaum global untersucht wurden. Wie viel Prozent der Sonnenenergie wird beispielsweise für Evaporation und Wasser verwendet und wie viel Wärme nimmt die Atmosphäre direkt auf? Bevor wir das nicht wissen, werden Klimasimulationen immer mit Unsicherheiten behaftet sein.
Das Gespräch führte Nicole Wedemeyer.
Markus Reichstein: Schon seit den 1960er, 1970er Jahren will man verstehen, welche Rolle die Biosphäre für das Klima spielt. Darum begann man zu untersuchen, wie viel Kohlendioxid Wälder und andere natürliche Systeme aufnehmen und als Biomasse binden. Das war nicht einfach: Anfangs musste man dazu ausgewählte Pflanzen einzeln ausgraben und aufwändig untersuchen, erst seit Anfang der 1990er Jahre können wir den CO2-Austausch zwischen Ökosystemen und Atmosphäre mit automatischen Sensoren messen, und mittlerweile existieren 500 mit Sensoren ausgestattete Messtürme, verteilt über alle Kontinente.
Unsere Arbeitsgruppe hatte nun eine einzigartige Gelegenheit: Wir gehörten zu den Ersten, die auf neue, weltweit harmonisierte Datensätze von bis zu 253 Stationen zurückgreifen konnten. Diese sehr gut miteinander vergleichbaren Daten ließen sich dann statistisch auswerten (zur Originalveröffentlichung), um auf diesem Wege die so genannte Bruttoprimärproduktion abzuschätzen, also die Menge an Kohlenstoff, die von terrestrischen Ökosystemen "eingeatmet" wird.
Christian Beer: Der Kohlenstoff wird ja durch Fotosynthese von der Biosphäre aufgenommen, und dann durch die Atmung der Pflanzen zu einem Teil wieder an die Atmosphäre abgegeben und zum anderen Teil in Biomasse verwandelt. Zwar gab es bereits Schätzungen für die Kohlenstoffaufnahme, doch sie beruhten auf zu wenigen Datenpunkten und sind zudem nicht sehr aussagekräftig, wenn man einzelne Regionen betrachten will. Unsere Sensordaten haben wir zudem mit Fernerkundungs- und Klimadatensätzen verrechnet, die jetzt in viel größerem Umfang als noch vor einigen Jahren zur Verfügung stehen. So konnten wir stark ins Detail gehen und zeigen, welchen Anteil etwa die Tundra oder der Regenwald an der Bruttoprimärproduktion haben und welche Rolle Strahlung, Niederschlag oder Temperatur für die Bilanz spielen.
Spektrum: Welcher dieser Faktoren ist denn nun entscheidend?
Beer: In Gebirgsregionen und in den hohen Breiten ist die Kohlenstoffaufnahme stark temperaturabhängig, aber in den Steppenregionen und den Grasländern, die einen sehr großen Anteil an der Bruttoprimärproduktion haben, ist die Bedeutung des Niederschlags viel größer. Die Fähigkeit dieser Flächen, Kohlenstoff zu binden, hängt zu bis zu 70 Prozent von der Wasserverfügbarkeit ab!
Reichstein: Das widerspricht den Abpufferungseffekten, über die einige Publikationen Anfang der Jahrtausendwende sehr optimistisch spekuliert hatten: Weil es wärmer wird, wachsen die Bäume länger und nehmen mehr CO2 auf, so dass es der Atmosphäre entzogen und deshalb die Klimaerwärmung begrenzt wird. Doch dieser Gedanke, auch wenn er in vielen Köpfen herumschwirrt, ist nur ein Teil der Wahrheit, denn die Verfügbarkeit von Wasser spielt eine ebenso wichtige Rolle. Fällt kein Niederschlag, sinkt die Fotosyntheserate der Pflanzen und damit ihre Aufnahme von CO2. Das ist auch eine Botschaft an Klimamodellierer und Forschungsgeldgeber: Wir müssen wesentlich intensiver erforschen, wie sich der Wasserkreislauf verändert, wenn die Temperaturen steigen, und wie die Ökosysteme darauf reagieren.
Spektrum: Herr Mahecha, Sie haben untersucht, wie empfindlich die CO2-Atmung von Ökosystemen auf kurzfristige Temperaturveränderungen reagiert. Müssen wir hier ebenfalls mit überholten Vorstellungen aufräumen?
Miguel Mahecha: Feld- und Modellstudien kamen bisher immer zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Experimente suggerierten, dass vieles von der geografischen Lage abhängt. Demnach würde im Zuge der globalen Erwärmung beispielsweise in den nördlichen Breiten eine sehr viel stärkere CO2-Freisetzung aus Pflanzen und Böden als in südlicheren Gebieten erfolgen. Computermodelle, die den globalen CO2-Kreislauf gut abbilden konnten, errechneten hingegen eine überall nahezu konstante Temperatursensitivität der Atmung. Wir selbst stellten nun fest, dass weltweit die Ökosystematmung tatsächlich relativ homogen auf Temperaturveränderungen reagiert (zur Originalveröffentlichung).
Spektrum: In welchem Maße geschieht das?
Reichstein: Die Reaktionsgeschwindigkeit-Temperatur-Regel besagt, dass sich die Geschwindigkeit biologischer Prozesse jedes Mal etwa verdoppelt, wenn die Temperatur um zehn Grad Celsius ansteigt. Diesen Zusammenhang nahm man zunächst auch für die Bodenatmung an. Seit den 1990er Jahren existieren Studien, in denen errechnet wird, dass sich die CO2-Freisetzung aus dem Boden vervierfacht, wenn die Temperatur um zehn Grad steigt. Doch beeinflussen neben der Temperatur auch Faktoren wie der Wasserhaushalt oder die je nach Jahreszeit unterschiedlich aktiven Pflanzenwurzeln die Bodenatmung.
Mit mathematisch-statistischen Methoden haben wir diese Faktoren herausgerechnet und kommen nun statt auf einen Faktor vier auf einen deutlich niedrigeren Faktor von nur 1,4. Unsere Ergebnisse zeigen unmissverständlich, dass man Faktoren von vier oder mehr auf keinen Fall einfach in Biosphärenmodelle übernehmen kann. Überdies sind weitere Studien mittlerweile zu Ergebnissen gelangt, die den unseren tendenziell ähneln. Es scheint, dass höhere Zahlen wohl auf Artefakten beruhen.
Spektrum: Gerade die Arbeit von Miguel Mahecha ist in der Öffentlichkeit teilweise missverstanden worden.
Reichstein: Seine Arbeit scheint ein gefundenes Fressen für Klimaskeptiker zu sein: Die Rückkopplung über die Atmung ist geringer als gedacht, also wird wohl alles gar nicht so schlimm sein, wie es im Weltklimabericht stand. Solche Behauptungen sind schlichtweg falsch oder mutwillige Fehlinterpretationen. Allerdings darf uns das nicht davon abhalten, die Ergebnisse so darzustellen, wie sie sind – auch wenn sie vielleicht falsch interpretiert werden.
Mahecha: Mich haben Reaktionen dieser Art auch überrascht, zumal die positive CO2-Rückkopplung als ein sich selbst verstärkender Prozess doch weiterhin deutlich ausgeprägt ist. Man muss in diesem Zusammenhang zudem bedenken, dass die Temperatursensitivität nur ein Teilaspekt der Ökosystematmung ist.
Beer: Außerdem kam es zu Falschmeldungen. Kein Wunder: Kaum war die Pressemitteilung draußen, wurde in teilweise sehr kurzen Artikeln über zwei ziemlich komplizierte und schwer vermittelbare Arbeiten berichtet.
Reichstein: Die Ergebnisse der Erdsystemforschung alleine sind wohl nicht aufregend genug, um öffentliches Interesse zu wecken. Dabei sind sie schon aus Grundlagensicht spannend: Wir haben aus unseren Daten eine Weltkarte erstellt und können zum ersten Mal für viele Regionen und Ökosysteme eine gute Schätzung der Vorgänge im globalen Kohlenstoffkreislauf abgeben. Aber etliche Journalisten haben sofort versucht, sie in einen gesellschaftlichen Bezug zu setzen und ihre Konsequenzen für unseren Alltag darzustellen, was viel zu voreilig war.
Spektrum: Für den nächsten Weltklimabericht haben Ihre Ergebnisse aber dennoch Konsequenzen.
Mahecha: Im nächsten IPCC-Bericht kommt es zu einer fundamentalen Erneuerung: Erstmals werden dafür Klimamodelle, wie wir sie jetzt kennen, mit Modellen der terrestrischen Biosphäre gekoppelt.
Beer: Es gibt ja bereits Erdsystemmodelle, die den Kohlenstoffkreislauf berücksichtigen, aber mangels Daten benutzen sie an einigen Stellen schlecht geschätzte Parameter. Mit unseren datengetriebenen Berechnungen können wir jetzt erstmals überprüfen, ob bestehende Modelle die Prozesse in unterschiedlichen Ökosystemen und großen Vegetationsklimazonen überhaupt gut reproduzieren.
Spektrum: Wie haben denn Ihre Kollegen Ihre Ergebnisse aufgenommen?
Reichstein: Fernerkundungsleute, die mit Satelliten arbeiten, oder Modellierer sehen jetzt langsam den Wert dieser Ökosystemmessungen, weil wir endlich einen belastbaren Datensatz haben und Modelle vergleichen können.
Mahecha: Einigen Leuten wird die neue Abschätzung aber weh tun. Sie hinterfragt vor allem neuere Arbeiten, in welche die Vorstellung eingegangen ist, dass die Atmung je nach Region unterschiedlich stark auf die Temperatur reagiert, und bei denen diese Annahme direkt in die Biosphärenmodelle eingebaut wurde. Eine der Stärken unserer Arbeit liegt darin, eine ausgefeilte Methode auf global konsistente Daten anzuwenden. Wir waren daher in der Lage, die Temperatursensitivität verschiedenster Ökosysteme gleichzeitig zu analysieren. Daher überzeugen unsere Ergebnisse auch viele Kollegen.
Spektrum: Sind Ihre Datensätze denn schon so umfassend, wie Sie sich das wünschen?
Mahecha: Wir müssen sicherlich noch an der räumlichen Repräsentation arbeiten. In einigen Ländern sind wissenschaftliche Kooperationen ziemlich mühevoll. Von Afrika haben wir zu wenig Messdaten und generell benötigen wir noch mehr Daten aus den Tropen, Savannen und tropischen Regenwäldern.
Reichstein: Vor allem brauchen wir längerfristige Zeitreihen. Nur zum Vergleich: die atmosphärische CO2-Konzentration wird seit den 1950er Jahren gemessen, während unser Beobachtungszeitraum maximal 20 Jahre umfasst. Wir wissen also schlicht noch nicht, wie sich Ökosysteme langfristig verhalten und auf den Klimawandel reagieren. Aber in den nächsten 10 bis 20 Jahren werden wir auf jeden Fall so weit sein.
Beer: Wir haben jetzt die jährliche Menge an CO2 bestimmt, die von den Pflanzen weltweit aufgenommen wird: Die Bruttoprimärproduktion beträgt 123 Milliarden Tonnen Kohlenstoff beziehungsweise 450 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid. Da die Ökosysteme Kohlenstoff aber auch wieder veratmen, werden zur Zeit netto nur etwa zwei Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Dies genauer zu bestimmen erlauben unsere Datensätze bislang aber auch nicht, denn der Messfehler bei der Bruttoprimärproduktion liegt zwar unter zehn Prozent, aber das sind immer noch acht Milliarden Tonnen. Damit stecken wir in einem erheblichen Dilemma.
Reichstein: Außerdem gibt es noch weitere wichtige Kenngrößen. Die Fluxnet-Stationen messen ja auch den Wasseraustausch und den Austausch von Energie in Form von Wärme. Auch andere wichtige Aspekte, unter denen sich die Eigenschaften der Landoberfläche beschreiben lassen, sind kaum global untersucht wurden. Wie viel Prozent der Sonnenenergie wird beispielsweise für Evaporation und Wasser verwendet und wie viel Wärme nimmt die Atmosphäre direkt auf? Bevor wir das nicht wissen, werden Klimasimulationen immer mit Unsicherheiten behaftet sein.
Das Gespräch führte Nicole Wedemeyer.
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