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Fit im Kopf ist, wer Turnschuhe trägt

Gehirnjogging
Konzentriert sitzt der 24-jährige Andreas mit seiner Spielkonsole in der Hand auf dem Sofa. Hin und wieder murmelt er Zahlen vor sich hin und hämmert währenddessen energisch mit seinem "Touchpen" auf den Monitor des Geräts ein. Hier hüpft ein virtuelles Männchen – Dr. Kawashima – umher, lobt ihn oder feuert ihn an. Laut Hersteller Nintendo sorgt die Software "Dr. Kawashimas Gehirnjogging" dafür, dass man schneller denken und reagieren kann, wodurch sich das "Hirnalter" verbessert, wie Nintento das nennt. Der Begriff Hirnalter soll dem Spieler suggerieren, dass sein Denkorgan unabhängig vom biologischen Alter "jünger", also agiler, oder auch älter und damit eingerosteter sein kann. Als Andreas mit dem Training begann, betrug sein virtuell errechnetes Hirnalter angeblich 65 Jahre. Inzwischen hat er es durch regelmäßige Benutzung der Software schon fast seinem realen Alter angepasst – sagt Nintendo. Denn wie viele andere Menschen macht Andreas Gehirnjogging – dank seinem Nintendo DS, dem Gameboy der modernen Generation, im Bus, im Wartezimmer oder in einer langweiligen Vorlesung.

Gehirnjogging | Trotz täglichem Training mit Dr. Kawashimas Gehirnjogging vergisst Andreas ständig, wohin er seine Schlüssel gelegt hat.
Doch Dr. Ryuta Kawashima existiert nicht nur in Andreas Spielkonsole, sondern ist tatsächlich ein japanischer Neurologe. Im Jahr 2003 veröffentlichte Kawashima das Buch "Train Your Brain: 60 Days to a Better Brain", in dem er erklärt, dass nicht das intensive Nachdenken über die Lösung komplexer Probleme unser Gehirn besonders stark aktiviert, sondern vielmehr sind einfache, schnelle Rechenaufgaben, Vorlesen oder Gedächtnisübungen der Schlüssel zur Gehirn-Fitness. Daraufhin brach zuerst in Japan ein Hype um die grauen Zellen und deren Aktivierung aus. Später in den USA und auch in Deutschland – überall hieß es, Gehirnjogging könne das Gedächtnis verbessern. Laut Werbung der Anbieter steigern die Knobelspiele die geistige Fitness, man ist dank ihren im Alltag kreativer und kann sogar leichter Kontakte zu anderen Menschen aufbauen.

Ob die versprochenen Wirkungen wirklich eintreten, ist inzwischen fraglich. Dreißig Neuro- und Kognitionswissenschaftler sowie Altersforscher aus der ganzen Welt haben im Mai 2009 ein Memorandum verfasst und zu einer kritischeren Überprüfung der Gehirnjoggingprodukte aufgefordert. Zu groß seien die Verheißungen der kommerziellen Anbieter, schreiben sie darin." Es gibt bisher noch kein Zaubermittel gegen die altersbedingte Minderung der Hirnleistung", sagt Laura Carstensen, Direktorin vom Stanford Center in Longevity.

"Die maximale Leistungsfähigkeit nimmt in Bereichen der Wahrnehmungsgeschwindigkeit, der Merkfähigkeit und des schlussfolgernden Denkens mit dem Alter stetig ab", erläutert Florian Schmiedek, Professor für Methoden der empirischen Bildungsforschung am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung und der Goethe-Universität in Frankfurt. Anatomische Veränderungen seien Schuld am Leistungsnachlass der grauen Zellen. So schrumpft im Laufe der Jahre der präfrontale Kortex – ein Teil des Frontallappens in der Großhirnrinde. Ebenfalls verkleinert sich der Hipokampus im Alter, eine der evolutionär ältesten Gehirnstrukturen im Temporallappen. Und auch die nachlassende Aktivität von Neurotransmittern – also Botenstoffen wie Dopamin – wirken sich nach einigen Jahrzehnten auf die Gehirnleistung aus. Der Abfall der Gehirnleistung findet also schon im frühen Erwachsenenalter statt. Man könne zwar in dieser einen, vom Computer abgefragten, Übung eine durchschnittliche Leistung wie die meisten 23-Jährigen erbringen, trotzdem werde das Gehirn eines 60-Jährigen deswegen nicht allgemein verjüngt, erklärt Schmiedek.

Aber machen Trainingsprogramme wirklich kein bisschen klüger?
"Wer viel Sudoku spielt, wird auch nur im Sudoku spielen besser", meint Ulman Lindenberger, Altersforscher am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. "Möchte man die logische Denkfähigkeit fördern, indem man beispielsweise das Vervollständigen von Zahlenreihen übt, kann man möglicherweise strukturell ähnliche Buchstabenfolgen schneller bearbeiten", sagt auch Schmiedek. In Bezug auf andere Leistungen wie des induktiven Denkens oder des deduktiven Denkens wird jedoch keine Verbesserung zu spüren sein. Das induktive Denken hilft beispielsweise beim abstrahierenden Erschließen von Gesetzmäßigkeiten, während das deduktive Denken unter anderem beim Schlussfolgern von allgemeinen Aussagen auf konkrete Beispiele angewendet wird. Denn die gelernten Regeln der Programme sind zu spezifisch und nicht auf andere Denkleistungen übertragbar. Wer schnell Kopfrechnen kann, ist deswegen noch lange nicht besser für andere Intelligenzleistungen im Alltag gewappnet und wird deswegen auch den Autoschlüssel nicht schneller finden. Eine kurzzeitige Verbesserung einzelner Fertigkeiten dürfe nicht verwechselt werden mit dem langfristigen Erhalt der geistigen Fähigkeiten, sind sich die Forscher einig. Derzeit erhältliche Produkte und Methoden können den geistigen Leistungsabbau weder über mehrere Jahre noch über Jahrzehnte verhindern.

Jogging | Die tägliche körperliche Bewegung macht Andreas nicht nur schlank – sondern hilft ihm auch, sich zu merken, wo der Schlüssel ist!
Dem Trend tut dies dennoch keinen Abbruch. Inzwischen haben sich auch Praxen etwa für "Mentales Aktivierungstraining" etabliert. In Frankfurt kann man unter Leitung der Lerntrainerin Cornelia Ehrlich-Beck spielerisch sein Gehirn trainieren – dessen Leistungsfähigkeit nehme nämlich "wegen der geistigen Unterforderung" stetig ab. Mit ihren Teilnehmern macht die Trainerin Übungen, die die Konzentration fördern oder das Gedächtnis trainieren sollen. Eine Spezialität von Cornelia Ehrlich-Beck ist das sogenannte "Brain Walking". Für sechs Euro gibt es einen 90-minütigen Spaziergang, beispielweise durch den Frankfurter Ostpark. Wer hier eine munter drein marschierende, Bälle fangende und Denksportaufgaben lösende Gruppe beobachtet, muss sich nicht wundern. Es wird Gehirn-Sport betrieben.

"Die verbreitete Ansicht ist, das Gehirn sei ein großer Muskel, für dessen Leistungsfähigkeit es entscheidend sei, dass er regelmäßig bewegt wird – egal wie", sagt Florian Schmiedek. Wenn, dann müsse man das Gehirn nicht als einen einzigen, sondern eher als Ansammlung vieler Muskeln sehen, die unterschiedlich stark trainiert werden. Da das Gehirn ein hochkomplexes System sei, welches adaptiv reagiere, also sich an veränderte Anforderungen anpasse, müssten die Trainingsprogramme viel besser auf die Rezipienten zugeschnitten sein. Schmiedek schlägt vor, Programme vom Schwierigkeitsniveau her an die individuelle Leistungssteigerung der Nutzer anzupassen und den Übenden permanent an seine Leistungsgrenze zu bringen. Studien zeigen überdies, dass Trainingsprogramme besser auf den Alltag übertragen werden können, wenn grundlegende kognitive Ressourcen angesprochen werden, wie zum Beispiel das Arbeitsgedächtnis – es hilft dabei, mehrere Dinge gleichzeitig im Kopf zu behalten.

Oft sinnvoller als teure Gehirnjogging-Produkte sind ganz simple Methoden, zum Beispiel: etwas lernen. Statt Zeit und Geld mit Gehirnjogging-Programmen zu vertun, kann man ebenso eine Fremdsprache erlernen, ein neues Kochrezept ausprobieren oder wandern gehen. "Individuelle Präferenzen und Interessen sollten im Vordergrund stehen, solange die Wirksamkeit von Programmen noch nicht hinreichend untersucht ist", findet Schmiedek.

Körperliche Fitness gleich geistige Fitness

Körperliche Bewegung ist ohnehin die kostengünstigste und wirksamste Methode zur Verbesserung der Gesundheit, und genau diese trägt auch zur Hirnfitness bei. Viele Studien haben das bewiesen. Die Neuropsychologin Kristine Yaffe veröffentlichte im Jahr 2001 folgendes Ergebnis: Es gibt einen Zusammenhang zwischen körperlicher und geistiger Fitness. An ihrer Studie nahmen rund 6000 Frauen im Alter von 65 Jahren oder älter teil. Keine hatte körperliche oder geistige Einschränkungen. Die Forscher schätzten die körperliche Fitness der Probandinnen ein, indem sie sie Fragebögen ausfüllen ließen. Aus 33 verschiedenen körperlichen Aktivitäten konnten die Damen auswählen und damit ihren persönlichen täglichen Bewegungs-Level festhalten, beispielsweise die Anzahl der bewältigten Treppenstufen oder umwanderten Häuserblocks. Nach acht Jahren beurteilten die Forscher die kognitive Leistungsfähigkeit – die Frauen, die sich wenig bewegten, hatten ein 30 Prozent höheres Risiko, auch ihre geistigen Fähigkeiten einzubüßen. Ihre sportlichen Altersgenossinnen hingegen blieben auch im Kopf fit. Vor allem langes und ausdauerndes Laufen erhält die geistige Fitness – nicht die besonders schnellen Spurts. Durch die regelmäßige Bewegung wird die Durchblutung des Hirns angeregt, neue Blutgefäße und Nervenverbindungen entstehen. Ausdauertraining steigert also die Gedächtnisleistung, die Aufmerksamkeit und das Denkvermögen.

Wie Oma schon wusste: Ein Spaziergang oder ein bisschen Sport macht den Kopf wieder frei! Andreas, der unterdessen immer noch an seinem Hirntrainer sitzt, sollte ihn also lieber weglegen und eine Runde um den Block laufen. Die "Brain-Walker" hingegen machen schon jetzt alles richtig – auch wenn herumfliegende Bälle und Denksportaufgaben damit eher weniger zu tun haben.

Vivien Kring studiert Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt.

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