Forschungsgeschichte: 30 Jahre Prionen ein Blick zurück nach vorn
Wenn man über etwas reden will, braucht es einen Namen. "Prion", so schlug Stanley Prusiner in einer Veröffentlichung am 9. April 1982 in der Zeitschrift "Science" vor, solle ein neuartiger, mysteriöser Erreger heißen, der die Krankheit Scrapie bei Schafen oder Creutzfeldt-Jakob bei Menschen auslöst [1]. Alles deute darauf hin, so meinte Prusiner, dass der Erreger aus Protein bestehe und keine DNA oder RNA, also keine Erbsubstanz, enthalte. Damit unterscheide er sich grundlegend von allen bisher bekannten Erregern wie Viren, Bakterien oder Parasiten. Prion steht für "proteinaceous infectious particle" – und müsste also genau genommen "Proin" heißen. Prusiner aber meinte wohl, dass das nicht so gut klingt.
Mit der Veröffentlichung im April 1982 hatte der Scrapie-Erreger einen Namen – aber wie ein Protein infektiös sein kann, war noch alles andere als klar. Wie sollte sich ein Protein in Zellen vermehren? Dass ein Protein die genetische Information zu seiner eigenen Herstellung enthält, "widerspricht dem zentralen Dogma der Molekularbiologie", schrieb Prusiner in der Publikation. Die Reaktion auf die Ankündigung eines solchen Paradigmenwechsels blieb nicht aus. Das Paper "hat einen Feuersturm ausgelöst", wie Prusiner wenig bescheiden später über seine eigene Publikation äußerte. Die Fachkollegen waren äußerst skeptisch. Heute ist klar: Das Prion ist in der Tat ein Protein.
Eine Entdeckungsgeschichte mit Hindernissen
Im Jahr 1972, Prusiner arbeitete als Neurologe an der University of California, San Francisco, wurde dort eine Patientin aufgenommen, die nach und nach ihr Gedächtnis verlor. Sie litt an der seltenen Creutzfeldt-Jakob Erkrankung, die, so glaubte man damals, von einem langsam arbeitenden Virus verursacht wird. Creutzfeldt-Jakob schien mit der Schafkrankheit Scrapie und der unter der Bevölkerung von Neuguinea auftretenden Kuru-Erkrankung verwandt zu sein. Die erstaunlichen Eigenschaften dieses merkwürdigen Erregers hatten es Prusiner angetan, und in den kommenden Jahren las er "jedes Paper, das ich finden konnte" zu Creutzfeldt-Jakob, Kuru und Scrapie. Er begann, den Scrapieerreger zu isolieren, um dessen Zusammensetzung zu bestimmen – ein mühsames Unterfangen, das fast zehn Jahre dauerte. Was er fand, war kein Virus. Der Erreger bestand im Wesentlichen, wenn nicht sogar ausschließlich, aus Protein.
Der Erste war Prusiner nicht mit seiner Vermutung, bei dem Scrapieerreger würde es sich womöglich um ein Protein handeln. Schon in den 1960er Jahren hatten Tikvah Alper und John Stanley Griffith Hinweise darauf gefunden, dass der Erreger keine DNA oder RNA enthält. Allerdings war Prusiner wohl der hartnäckigste Verfechter der Prion-Hypothese, und mit zahlreichen Experimenten konnte er schließlich ein klares Bild der infektiösen Eigenschaften des Prions schaffen. Die Aufklärung des Mechanismus war ein Hindernislauf. Etliche Schritte warfen zunächst mehr Fragen auf, als Antworten zu liefern, und schienen eher gegen die Theorie zu sprechen als dafür. Noch im Jahr 1997, als Prusiner für die Entdeckung des Prions den Nobelpreis bekam, war seine Prion-Hypothese nicht eindeutig bewiesen.
Wenn der Erreger ein Protein ist, wo ist dann das dazugehörige Gen, das dieses Protein kodiert? Im Jahr 1984 gelang Prusiner gemeinsam mit Kollegen die Bestimmung der Sequenz eines Teils des Prion-Proteins. Dies ermöglichte es nun, nach dem passenden Gen zu suchen. Wie sich herausstellte, hatten Menschen und sämtliche getesteten Säugetierarten ein Prion-Gen. Wie aber kann das Prion eine Krankheit auslösen, wenn es in Organismen ganz natürlich vorkommt? In Mensch und Tier werden große Mengen des Proteins im Gehirn produziert, ohne dass diese daran erkranken – wie kann das Prion dann schädlich sein? Das schien Prusiners Hypothese zu widerlegen. Hatten er und seine Kollegen einen großen Fehler gemacht? Den scheinbaren Widerspruch löste Prusiner selbst, als er gemeinsam mit Kollegen zeigte, dass das Protein in zwei verschiedenen Formen mit unterschiedlichen dreidimensionalen Strukturen auftritt – eine gesunde und eine krankhafte. Nein, Prusiner hatte keinen Fehler gemacht.
Weitere Verwirrung stiftete in den späten 1980er Jahren die Entdeckung aus dem Labor von Prusiner, dass es auch erbliche Formen von Prionenerkrankungen gibt. Die Wissenschaftler zeigten, dass genetische Mutationen im zellulären Prion-Gen Krankheiten auslösen können. Prionen sollten also sowohl für Infektionskrankheiten als auch für erbliche Erkrankungen verantwortlich sein? Ein solches duales Verhalten war der Medizin bisher noch nicht bekannt und löste weitere Diskussionen aus.
Heute hat man eine recht gute Vorstellung davon, wie sich Prionen ausbreiten und warum genetische Mutationen ähnliche Erkrankungen hervorrufen. Der Infektionsmechanismus der Prionen besticht durch seine Einfachheit: Das krank machende Prion hat eine andere dreidimensionale Faltungsstruktur als sein gesundes, zelluläres Gegenstück. Gelangt infektiöses Prion in den Körper und trifft mit dem gesunden Protein zusammen, veranlasst es dieses, sich umzufalten und ebenfalls die krankhafte Struktur anzunehmen. So wird eine Kettenreaktion ausgelöst, und immer mehr fehlgefaltetes Protein reichert sich an. Größere Mengen fehlgefalteter Prionen bilden Klumpen von Prion-Proteinen, die sich im Gehirn ablagern. Dies schädigt die Nervenzellen, und sie sterben schließlich ab. Genetische Mutationen in der zellulären Form des Prion-Gens verändern das Protein vermutlich dahingehend, dass es leichter die fehlgefaltete, krankhafte Form annimmt.
Prionen und andere Proteine
Sind Prionenerkrankungen die großen Sonderlinge unter den Krankheiten, die einen ganz eigenen Mechanismus für sich beanspruchen? Neueste Erkenntnisse zeigen: vermutlich nicht. Verschiedene neuronale Erkrankungen scheinen auf einem ähnlichen Mechanismus zu beruhen, der Begriff "prion-like" (prionenähnlich) tritt in der wissenschaftlichen Literatur immer häufiger auf.
Dass es gewisse Parallelen zwischen Prionenerkrankungen und der Alzheimerkrankheit gibt, wurde schon vor längerer Zeit erkannt. Auch bei Alzheimer tritt ein Protein, in diesem Fall Amyloid-Beta, in einer krankhaften, fehlgefalteten Form auf, die Proteinklumpen – so genannte Aggregate – bildet. Auch hier können Mutationen im Amyloid-Beta-Gen zu erblichen Formen der sonst sporadisch auftretenden Krankheit führen. Neuere Erkenntnisse zeigen sogar, dass die Parallele noch ein Stück weitergeht: Auch der Mechanismus, durch den sich die fehlgefalteten Proteine im Gehirn ausbreiten, so vermutet man heute, ähnelt dem Verhalten von Prionen. Viele Experimente deuten darauf hin, dass Amyloid-Beta-Aggregate die Fehlfaltung weiterer Gegenstücke im Gehirn hervorrufen. In den letzten Jahren häufen sich die Hinweise darauf, dass das Konzept der prionenähnlichen Verbreitung auch auf eine ganze Hand voll weiterer Proteine zutrifft – auf Proteine, die bei verschiedenen neuronalen Erkrankungen wie Parkinson, Chorea Huntington, amyotropher Lateralsklerose oder frontotemporaler Demenz eine zentrale Rolle spielen.
Diese Erkenntnisse sind ein Hoffnungsschimmer in der Entwicklung neuer Therapien. Der Verbreitungsmechanismus rückt stärker ins Zentrum des Interesses vieler Wissenschaftler. Wenn man genauer versteht, wie es zur Fehlfaltung der Proteine kommt und wie diese sich im Gehirn ausbreiten, wie sie von einer Gehirnregion zur nächsten gelangen, so kann das der Entwicklung von Therapien verschiedener Erkrankungen zugutekommen.
"Erkenntnisse über die Struktur des Scrapieerregers könnten für ein besseres Verständnis der Ursachen mehrerer neurodegenerativer Erkrankungen von Bedeutung sein", schrieb Prusiner schon in seiner Publikation vor 30 Jahren. Dass er damit Recht haben würde, war damals noch nicht abzusehen, und seine Generalisierung wurde mitunter als Überheblichkeit kritisiert. Damals konnte man noch nicht wissen, dass das Prion-Protein in zwei verschiedenen Formen mit unterschiedlicher biologischer Aktivität vorkommt. Auch hatte man noch keine Vorstellung von der biologischen Wirkungsweise des krank machenden Proteins. Erst heute gibt es Hinweise darauf, dass das Prinzip der Ausbreitung fehlgefalteter Proteine eine allgemeinere Gültigkeit hat und nicht nur auf Prionen zutrifft. Prusiner hat also – wie wir jetzt wissen – nicht nur für die Erforschung von Scrapie oder Creutzfeldt-Jakob Großes geleistet. Auch die Forschung an Alzheimer, Parkinson und anderen neuronalen Erkrankungen wird in den nächsten Jahren noch von den Erkenntnissen aus der Prionenforschung profitieren.
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