Geigenbau: Wunderbares Wimmerholz
Wie viel Chemie steckt im Holz einer Stradivari? Forscher fanden verräterische Spuren an Instrumenten der lombardischen Meister - Spuren, die bei anderen fehlen. Doch liegt darin wirklich das Geheimnis der begehrten Klangwunder begründet?
"Man nehme das Holz eines bei Neumond gefällten Baums und ein Quäntchen aus Boraxkristall. Dazu drei Tropfen vom Urin einer Jungfrau ..." Nein, dies ist kein Auszug aus der Bauanleitung für einen Hexenbesen, sondern die Liste der Zutaten für eine Stradivari – jedenfalls in der Vorstellung einiger fantasiebegabter Geigen-Enthusiasten. Manchem kann es gar nicht mysteriös genug zugegangen sein, als die großen Meister aus dem lobardischen Cremona ihre kostbaren Instrumente herstellten. Was immer auch den Klang ihrer Geigen so unverwechselbar macht, als sicher kann gelten, dass Antonio Stradivari, Andrea Guaneri und die anderen ihr Wissen mit ins Grab genommen haben.
Den alten Meistern wäre allerdings wohl die Methodik mysteriös vorgekommen, mit der Wissenschaftler heute dem Kunsthandwerk von damals mit Hochtechnologie auf die Spur zu kommen versuchen. Vom Computertomografen über Lasermeßgeräte bis hin zur Infrarot-Spektroskopie – kaum ein Analysegerät, unter dem noch nicht eine der Geigen aus der Blütezeit von 1520 bis 1750 lag. Denn niemand kann es sich leisten, allein aus Forschungsgründen eines der seltenen Instrumente zu zerlegen. Moderne Messapparaturen erlauben auch, die Bestandteile weitgehend zerstörungsfrei anhand kleinster Proben zu analysieren.
Vor allem die Lackierung gilt in den Augen vieler als des Rätsels Lösung, wenn auch entscheidende Fragen offen bleiben. Der ortsansässige Apotheker, mutmaßen einige, habe die Instrumentenbauer mit damals neu entdeckten Substanzen beliefert. So hätten sie das Schwingungsverhalten der Instrumente positiv beeinflussen können – doch wie genau ist unklar. Im Gespräch ist beispielsweise eine netzartige Verknüpfung von langkettigen Zuckermolekülen und Boraxsalzen auf der Holzoberfläche. Aber ob sich das tatsächlich auf die Klangeigenschaften auswirken würde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Auch die Ascheschicht, die sich unter dem Lack befindet, kann man in ihrer Funktion nicht eindeutig bestimmen. Sollte sie das Holz womöglich nur vor Pilzbefall schützen?
Das Holz der Stradivaris ist extrem biegesteif und trotzdem leicht und von geringer Dichte – genau so, wie sich auch moderne Geigenbauer den idealen Werkstoff vorstellen. Doch reicht das aus als Erklärung für den Wohlklang der Instrumente? Experten wie Joseph Nagyvary von der A&M-Universität in Texas sind da skeptisch. Seine Hypothese: Die akustischen Eigenschaften der Klanghölzer sind durch chemische Vorbehandlung nachträglich verbessert worden.
Stützen kann sich Nagyvary auf eine Untersuchung von Materialproben aus verschiedenen historischen Klanghölzern. Mittels Kernspinresonanztomografie und Infrarotspektroskopie wies er Rückstände nach, die auf oxidative und hydrolytische Umwandlungsprozesse hindeuten – Prozesse, die die Feinstruktur des Holzes ändern und es dadurch nicht nur haltbarer machen, sondern auch seine akustischen Eigenschaften verändert haben könnten. Gut möglich, dass sich die Geigenbauer eine regionale Tradition der Holzkonservierung zu eigen machten und für ihre eigenen Zwecke übernahmen, behauptet Nagyvary.
Das Überzeugende an seiner Studie ist, dass sich entsprechende Substanzspuren nur in genau zwei der Violinen nachweisen ließen: die erste eine Stradivari, die andere eine Guarneri del Gesù. Beide Instrumente stammen aus den berühmten Manufakturen in Cremona, während Bratschen und Violinen aus englischer und französischer Produktion einen ebenso negativen Befund lieferten wie aus Vergleichsgründen mitgeprüftes modernes Geigenbauholz. Ein Stradivari-Cello erwies sich als Mittelding mit nur geringsten Resten der fraglichen Substanzen.
Doch welche waren die geheimen Ingredienzien, die für die entdeckten Rückstände verantwortlich sind? Nichts Genaues weiß man nicht, gibt auch Nagyvary zu. Selbst die Frage, ob die alten Meister überhaupt vorsätzlich das Holz behandelten, muss offen bleiben. Denn schon länger ist bekannt, dass die Hölzer nach dem Transport oft monatelang im Wasser der Lagune von Venedig trieben. Dass ihnen dabei das eine oder andere geheimnisvolle Molekül über den Weg schwamm, wird niemand bezweifeln, der die Lagune schon einmal in Augenschein nehmen konnte – heute wie vor dreihundert Jahren.
Und es gibt noch etwas, dass Herr Nagyvary nicht erklären kann: warum er noch immer nach dem ultimativen Kniff der alten Meister sucht. Denn nicht nur sein Name klingt nach Stradivari, auch seine Geigen tun es. Seit einigen Jahren baut er Instrumente, die dem Vorbild zum Verwechseln ähnlich sind. Schon vor längerem stellte er sich dem direkten Test: Abwechselnd wurden seine und Stradivaris Geigen verdeckt einem Publikum aus Experten und Nicht-Experten vorgespielt. Unentschieden, ergab die Befragung der Zuschauer. Vielleicht schnitt die Nagyvary sogar noch einen Deut besser ab.
Auch deutsche Instrumentenbauer kopieren erfolgreich den Klang der begehrten Geigen und das ganz ohne mysteriöse Wundermittel. Der Bonner Stefan-Peter Greiner beispielsweise analysiert gemeinsam mit dem Physiker Heinrich Dünnwald die historischen Vorbilder und setzt seine Erkenntnisse in Instrumente um, die zu den besten der Welt zählen – alle Stradivaris, Guarneris und Amatis miteingerechnet.
Solide, wenn auch hervorragende Handwerkskunst und über Jahrhunderte gesammelte Erfahrungen mögen daher als – zugegeben nüchterne – Erklärung für ihren faszinierenden Klang völlig ausreichen. Warum seit den Zeiten der alten Meister niemand mehr eine vergleichbare Spitzengeige baute? Kein Bedarf, es gab ja bereits welche.
Den alten Meistern wäre allerdings wohl die Methodik mysteriös vorgekommen, mit der Wissenschaftler heute dem Kunsthandwerk von damals mit Hochtechnologie auf die Spur zu kommen versuchen. Vom Computertomografen über Lasermeßgeräte bis hin zur Infrarot-Spektroskopie – kaum ein Analysegerät, unter dem noch nicht eine der Geigen aus der Blütezeit von 1520 bis 1750 lag. Denn niemand kann es sich leisten, allein aus Forschungsgründen eines der seltenen Instrumente zu zerlegen. Moderne Messapparaturen erlauben auch, die Bestandteile weitgehend zerstörungsfrei anhand kleinster Proben zu analysieren.
Vor allem die Lackierung gilt in den Augen vieler als des Rätsels Lösung, wenn auch entscheidende Fragen offen bleiben. Der ortsansässige Apotheker, mutmaßen einige, habe die Instrumentenbauer mit damals neu entdeckten Substanzen beliefert. So hätten sie das Schwingungsverhalten der Instrumente positiv beeinflussen können – doch wie genau ist unklar. Im Gespräch ist beispielsweise eine netzartige Verknüpfung von langkettigen Zuckermolekülen und Boraxsalzen auf der Holzoberfläche. Aber ob sich das tatsächlich auf die Klangeigenschaften auswirken würde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Auch die Ascheschicht, die sich unter dem Lack befindet, kann man in ihrer Funktion nicht eindeutig bestimmen. Sollte sie das Holz womöglich nur vor Pilzbefall schützen?
Da scheint es vielleicht plausibler, das ominöse "Geheimnis" im Holz selbst zu verorten. Natürlich stammt es weder aus alten Kathedralen, wie gelegentlich behauptet, noch von ausgestorbenen Baumarten, so viel haben Untersuchungen gezeigt. Mit einer Reihe interessanter Eigenschaften kann es dennoch aufwarten: Weil es während einer besonders kalten Phase der "kleinen Eiszeit" wuchs, die Europa vom 14. bis ins 19. Jahrhundert kalte Sommer und strenge Winter bescherte, hatte es eine andere Struktur als heutige, vergleichsweise schnell wachsende Hölzer. Und sicherlich griffen die großen Geigenbaumeister zum Hochwertigsten was an Material zur Verfügung stand. Die damals übliche lange Lagerzeit tat dann das Ihrige, um die Qualität noch zu verbessern.
Das Holz der Stradivaris ist extrem biegesteif und trotzdem leicht und von geringer Dichte – genau so, wie sich auch moderne Geigenbauer den idealen Werkstoff vorstellen. Doch reicht das aus als Erklärung für den Wohlklang der Instrumente? Experten wie Joseph Nagyvary von der A&M-Universität in Texas sind da skeptisch. Seine Hypothese: Die akustischen Eigenschaften der Klanghölzer sind durch chemische Vorbehandlung nachträglich verbessert worden.
Stützen kann sich Nagyvary auf eine Untersuchung von Materialproben aus verschiedenen historischen Klanghölzern. Mittels Kernspinresonanztomografie und Infrarotspektroskopie wies er Rückstände nach, die auf oxidative und hydrolytische Umwandlungsprozesse hindeuten – Prozesse, die die Feinstruktur des Holzes ändern und es dadurch nicht nur haltbarer machen, sondern auch seine akustischen Eigenschaften verändert haben könnten. Gut möglich, dass sich die Geigenbauer eine regionale Tradition der Holzkonservierung zu eigen machten und für ihre eigenen Zwecke übernahmen, behauptet Nagyvary.
Das Überzeugende an seiner Studie ist, dass sich entsprechende Substanzspuren nur in genau zwei der Violinen nachweisen ließen: die erste eine Stradivari, die andere eine Guarneri del Gesù. Beide Instrumente stammen aus den berühmten Manufakturen in Cremona, während Bratschen und Violinen aus englischer und französischer Produktion einen ebenso negativen Befund lieferten wie aus Vergleichsgründen mitgeprüftes modernes Geigenbauholz. Ein Stradivari-Cello erwies sich als Mittelding mit nur geringsten Resten der fraglichen Substanzen.
Doch welche waren die geheimen Ingredienzien, die für die entdeckten Rückstände verantwortlich sind? Nichts Genaues weiß man nicht, gibt auch Nagyvary zu. Selbst die Frage, ob die alten Meister überhaupt vorsätzlich das Holz behandelten, muss offen bleiben. Denn schon länger ist bekannt, dass die Hölzer nach dem Transport oft monatelang im Wasser der Lagune von Venedig trieben. Dass ihnen dabei das eine oder andere geheimnisvolle Molekül über den Weg schwamm, wird niemand bezweifeln, der die Lagune schon einmal in Augenschein nehmen konnte – heute wie vor dreihundert Jahren.
Und es gibt noch etwas, dass Herr Nagyvary nicht erklären kann: warum er noch immer nach dem ultimativen Kniff der alten Meister sucht. Denn nicht nur sein Name klingt nach Stradivari, auch seine Geigen tun es. Seit einigen Jahren baut er Instrumente, die dem Vorbild zum Verwechseln ähnlich sind. Schon vor längerem stellte er sich dem direkten Test: Abwechselnd wurden seine und Stradivaris Geigen verdeckt einem Publikum aus Experten und Nicht-Experten vorgespielt. Unentschieden, ergab die Befragung der Zuschauer. Vielleicht schnitt die Nagyvary sogar noch einen Deut besser ab.
Auch deutsche Instrumentenbauer kopieren erfolgreich den Klang der begehrten Geigen und das ganz ohne mysteriöse Wundermittel. Der Bonner Stefan-Peter Greiner beispielsweise analysiert gemeinsam mit dem Physiker Heinrich Dünnwald die historischen Vorbilder und setzt seine Erkenntnisse in Instrumente um, die zu den besten der Welt zählen – alle Stradivaris, Guarneris und Amatis miteingerechnet.
Solide, wenn auch hervorragende Handwerkskunst und über Jahrhunderte gesammelte Erfahrungen mögen daher als – zugegeben nüchterne – Erklärung für ihren faszinierenden Klang völlig ausreichen. Warum seit den Zeiten der alten Meister niemand mehr eine vergleichbare Spitzengeige baute? Kein Bedarf, es gab ja bereits welche.
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