Gentechnik: Die Rückkehr des Königs
Als der englische Seefahrer Henry Hudson – Entdecker und Namensgeber des Hudson-Rivers und der Hudson Bay – 1609 vor dem heutige Manhattan ankerte, erblickte er ein Imperium. Beherrscht wurde dieses Reich vom "König der Könige", wie es der Buchautor Eric Sanderson in seiner Naturgeschichte der New Yorker Insel beschrieb: der Amerikanischen Kastanie(Castanea dentata). Mehr als die Hälfte des üppigen Laubwalds rund um die Mündung des Hudson bestand damals aus den mächtigen Kastanien, die bis zu 30 Meter hoch und drei Meter dick werden konnten.
Mit dieser Pracht nahm es allerdings ab 1904 ein jähes Ende: Botaniker hatten aus Ostasien eine nahe verwandte Art als Zierpflanze eingeführt – und mit ihr ein gefährliches Mitbringsel. Rasch breitete sich der parasitäre Pilz Cryphonectria parasitica mit dem Wind aus dem Bronx Zoo, dem Epizentrum der Plage, über den Nordosten der USA aus. Im Gegensatz zu seinen chinesischen und japanischen Vettern, die sich im Lauf der Evolution an ihre Schlauchpilznemesis anpassen konnten, starben die amerikanischen Kastanien widerstandslos durch den Erreger, der bei ihnen einen tödlichen Krebs auslöste.
Biologischer Blitzkrieg gegen Bäume
Innerhalb weniger Jahrzehnte fraß sich die Krankheit durch die Laubwälder von Maine bis hinab nach Alabama und Georgia; geschätzte vier Milliarden Bäume fielen ihr zum Opfer. Und als Mel Tormé und Bob Wells in ihrem weltberühmten und vielfach kopierten "The Christmas Song (Chestnuts Roasting on an Open Fire)" der Kastanie 1944 ein letztes kulturelles Denkmal setzten, war ihr Schicksal bereits besiegelt: Zu diesem Zeitpunkt hatte kaum ein Baum die Schädlingsattacken überlebt. Heute existieren nur mehr vereinzelte erwachsene Exemplare in noch pilzfreien Tälern oder auf Bergrücken, ansonsten zeugen allenfalls historische Bilder und Stockausschläge von der Art, die sich immer noch aus abgestorbenen Baumstümpfen regenerieren kann. Sobald aber die Schösslinge ein bestimmtes Alter erreicht haben, sucht sie der allgegenwärtige Pilz wieder heim.
Verloren gegangen ist mit der Kastanie aber nicht nur ein amerikanisches Kulturerbe. "Sie war eine Schlüsselart in den nordostamerikanischen Wäldern", sagt der Pflanzenforscher William Powell von der State University of New York in Syracuse. In ihrem Verbreitungsgebiet machte die Art im Schnitt etwa ein Viertel der Wälder aus: Mit ihrem kräftigen Wuchs stellte sie viele andere Spezies in den Schatten. Im Gegensatz zu Eichen oder nordamerikanischen Hickorys lieferte sie nicht nur in so genannten Mastjahren, sondern regelmäßig große Mengen an Früchten für die Tierwelt und die Menschen, die ihren Geschmack nicht nur zur Weihnachtszeit schätzten. Ihr Holz war trotz des schnellen Wuchses beständig, so dass sich noch heute daraus gebaute, stabile Blockhäuser in den Appalachen finden. Und zeitweise stammten zwei Drittel der Gerbstoffe für die US-Lederindustrie aus den Kastanienwäldern der Region.
Aus all diesen Gründen möchte Powell zusammen mit seinem Kollegen Charles Maynard, ebenfalls von der State University, und einigen anderen Wissenschaftlern der Kastanie wieder auf die Beine helfen. "Wir wollen die Kastanie wirklich zurückbringen. Und der einzige Weg dahin führt über die Schaffung eines resistenten Baums, denn keine einzige andere Methode hat die Seuche bislang in den Griff bekommen", so Powell.
Säure löst Krebs aus
Ihre Bemühungen zielen vor allem darauf, ein wesentliches Stoffwechselprodukt des Pilzes in den Griff zu bekommen: Er scheidet große Mengen an Oxalsäure aus, die das Kambium des Baums angreift und damit die überlebensnotwendige Wachstumsschicht zwischen der Splintholzzone mit seinen Leitbahnen und der Rinde. Die aggressive Säure sorgt dafür, dass die Kastanien Wucherungen zur Abwehr ausbilden: Der Kastanienrindenkrebs entsteht. Nach und nach unterbindet er den Transport von Wasser und Nährstoffen zu den Blättern; sie welken, der Baum kann keine Fotosynthese mehr betreiben und stirbt langsam ab.
Die asiatischen Vertreter haben im Lauf der Zeit Abwehrmechanismen und Anpassungen entwickelt, so dass sie mit dem Eindringling umgehen können und ihn überleben. Um diese positiven Eigenschaften auf die amerikanischen Kastanien zu übertragen, haben Botaniker deshalb verschiedentlich beide Arten miteinander gepaart. Diese Hybriden, deren Erbgut zu je 50 Prozent aus einheimischen und exotischen Genen bestand, kreuzten sie dann immer wieder mit reinen Castanea dentata, in der Hoffnung, dass diese Nachkommen zum einen den Pilzbefall überleben und zum anderen alle Charaktereigenschaften der amerikanischen Kastanie tragen. Über diese Rückzüchtungen soll am Ende ein Laubbaum entstehen, der zu fünfzehn Sechzehnteln aus Castanea dentata und zum Rest aus dem ostasiatischen Vetter besteht – ein Prozess, der Jahrzehnte in Anspruch nimmt.
In einem zweiten Ansatz versuchten Biologen die Kastanien mit einer abgeschwächten Form des Parasiten zu impfen: Ein Hypovirus befällt den Rindenkrebspilz und mindert so dessen Gefährlichkeit, was wiederum dem Baum zugutekommt. Manche Haine konnten sich wieder etwas erholen, nachdem dort das Virus ihren Gegenspieler in Schach hielt. Doch Praxistests mit dem Virus schlugen fehl: Es gibt Hunderte von unterschiedlichen Pilzsträngen, mindestens vier Varianten des Hypovirus und unzählige genetische Abweichungen bei den einzelnen Populationen der Kastanie.
Gentechnik als letzte Rettung?
Powell und Co setzen deshalb auf eine Technik, die auf den ersten Blick vielleicht die komplizierteste ist, aber langfristig womöglich den größten Erfolg verspricht: transgene Bäume. "Wir fügen dem Genom der Kastanie nur drei bis fünf Gene hinzu – bei einem Erbgut, dass 45 000 Gene umfasst. Sie sollen die Resistenz der Art gegen das verheerende Pathogen erhöhen. Diese Technik ist viel präziser als traditionelle Züchtungen, bei der gleich Tausende von Genen auf einmal ausgetauscht werden", erzählt Powell.
Um die gewünschten Gene auf die Kastanie zu übertragen, setzt Powells Kollege Maynard auf den natürlichen Genvektor Agrobacterium tumefaciens, ein Bodenbakterium, das aktiv DNA in pflanzliche Zellen übertragen kann. Diese Mikrobe wird mit einer Reihe von potenziellen Resistenzgenen bepackt – die zumeist von chinesischen Kastanien, zum Teil aber auch aus Weizen stammen oder in einem Einzelbeispiel gar künstlich zusammengebaut wurden – und dann in Baumzellen eingeschleust. Als aussichtsreicher Kandidat gilt ein Gen aus Weizen, das die Oxalsäure unschädlich macht. "Es hat bereits gezeigt, dass es in Hybridpappeln die Resistenz gegenüber einem schädlichen Pilz steigern kann", so Maynard.
Doch der Weg dahin sei nicht einfach, beschreibt Powell die große Schwierigkeit ihres Ansatzes. Denn Agrobacterium kann immer nur eine Zelle pro Versuch umbauen, deshalb müssen die Forscher danach die gesamte Pflanze aus dieser transformierten Zelle entwickeln. Da Kastanien sich im Gegensatz zu beispielsweise Pappeln nicht aus Blattgewebe regenerieren können, mussten die Wissenschaftler auf embryonale Zellen zurückgreifen, die noch nicht ausgereift sind. "Wir haben 22 Jahre daran gearbeitet. Die größte Schwierigkeit bestand darin, ein geeignetes Vektor- und Regenerationssystem für die Amerikanische Kastanie zu entwickeln. Wir mussten quasi erst das Boot bauen, bevor wir angeln gehen konnten." Selbst heute noch brauchen sie zwei Jahre, um ein Gen an die richtige Stelle in die zelluläre DNA zu schleusen, und danach muss man vier Jahre den Baum großziehen, bevor man sieht, ob er widerstandsfähig genug ist.
Breite Unterstützung
Insgesamt haben die Biologen schon mehr als 140 transgene Kastanienvarianten in ihrer Pipeline, 300 sollen es insgesamt werden – in der Hoffnung, dass sich darunter tatsächlich ein resistenter Stamm befindet, der diese Resistenz an seine Nachkommen weitergibt. Proteste besorgter Gentechnikgegner fürchtet Powell dabei nicht: "Es melden sich kaum Gegner unseres Projekts zu Wort, im Gegensatz zu anderen transgenen Pflanzenversuchen – wohl aus verschiedenen Gründen: Zum einen wollen wir einen von Menschenhand begangenen Fehler korrigieren, zum anderen verfolgen wir keine kommerziellen Interessen mit unseren Bäumen." Tatsächlich gestehen auch Kritiker wie Doug Gurian-Sherman von der Union of Concerned Scientists, dass die Gefahr schädlicher Nebenwirkungen durch transgene Kastanien relativ klein ist: "Der Einbau eines Resistenzgens für ein Enzym, das dann die Oxalsäure neutralisiert, ist offensichtlich weniger gravierend als der Übertrag eines potenziellen Insektizids wie des Bt-Toxins. Das könnte neben Schädlingen auch ungezielt zahllose Nutzinsekten töten." Dazu kommt, dass praktisch keine wild lebenden ausgewachsenen Amerikanischen Kastanien mehr in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet überlebt haben – eine Florenverfälschung durch wilde Auskreuzungen ist also ausgeschlossen.
Selbst eine ausgewiesene Kritikerin von Freisetzungsversuchen mit transgenen Bäumen wie Faith Campbell, Senior Policy Representative der großen US-amerikanischen Naturschutzorganistion The Nature Conservancy, kann den Zielen von Powell und Maynard etwas abgewinnen: "Dieser Fall überzeugt mich deutlich stärker als das Bestreben, einen Baum dadurch einfach nur etwas schneller wachsen zu lassen. Eine gefährdete Art zu retten, ist für mich ein höheres Ziel, für das man auch ein paar Risiken eingehen darf", äußerte sie sich gegenüber Susan Freinkel im Buch "American Chestnut. The Life, death, and rebirth of a perfect tree". Gleichzeitig testen Powell und Co ihre Schösslinge auch darauf, ob sie negative Folgen für die Umwelt haben: "Gleich ob Insektenfraß, Pilzgemeinschaften oder die Ansiedlungen von anderen Pflanzen rund um die Bäume – wir konnten keine negativen Einflüsse durch unsere transgenen Kastanien beobachten."
Symbolisch wollen sie nun – getragen von einer breiten öffentlichen Unterstützung – die ersten potenziell resistenten Amerikanischen Kastanien fast genau dorthin zurückbringen, wo deren Niedergang einst begann: Im New York Botanical Garden in der Bronx pflanzen sie die ersten zehn transgenen Bäume hinaus in die Freiheit – "nur einen Steinwurf entfernt von dem Ort, an dem die Plage 1904 erstmals bemerkt wurde", so Maynard. Haben sie Erfolg, wird von dort die Rückkehr des "Königs" beginnen, hofft Powell: "Ich prophezeihe: Die Menschen werden unsere größte Hilfe sein, um der Kastanie wieder zu alter Stärke zu helfen."
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